Februar 2011 - Ausgabe 124
Kreuzberger
Niels Unbehagen Ich habe ein gestörtes Verhältnis zum Konsum
von Hans W. Korfmann
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s ist ein trüber Januarvormittag. Fast lautlos gleiten die Filzpantoffeln über die dicken Dielen der Wohnung in der Fidicinstraße, in der Niels Unbehagen seit einem Jahrzehnt zuhause ist. Er wollte in die Nähe des Yorckschlösschens, wo er so oft am Piano saß, wo er noch immer auftritt und viele Freunde hat. »Aber die Wohnung ist zu groß«, sagt er und weist ratlos mit der Hand in die vier Zimmer mit ihren Schränken, Regalen, Schubladen, Tischen, auf denen sich die Vergangenheit des Künstlers ausbreitet: Siebdrucke, Selbstbildnisse, Plakate, Dokumente, Fotografien, Zeitungsausschnitte, lauter Teilchen aus dem Puzzle eines Künstlerlebens, von denen er sich nicht trennen kann. Selbst da, wo vor drei Jahren noch ein großes Ehebett stand, stapeln sich jetzt Papiere, baut sich Vergangenheit auf, ungenutzt steht in einer Ecke eine Matratze, vielleicht die zweite Hälfte zum Doppelbett. Er könnte jederzeit auf sie zurückgreifen, wenn ihn das lautlose Gleiten der Pantoffeln zu stören beginnt. Wenn es unbehaglich wird. Niels Unbehagen hat ein blasses, freundliches Gesicht, weiße Härchen bekränzen den alterskahlen Schädel. Hinter der großen, runden, Ruhe vermittelnden Brille steckt ein aufmerksamer, unruhiger Blick. So, als hätte Unbehagen gerade etwas verloren, etwas verlegt. Er steht vor einem Schrank mit 68 hölzernen Schubladen, auf die man einst mit schwarzer Farbe und Schablonen Nummern malte, um Ordnung in die Welt zu bringen. Vielleicht ist es kein Zufall, wenn der langjährige Dozent an der Hochschule der Künste den alten Fabrikschrank aus der Konkursmasse der zerfallenden DDR freigekauft und in die Gegenwart gerettet hat: In der linken Ladenreihe hat er den Alltag der DDR untergebracht, einen hellblauen Haarfön namens »Heißluftdusche LD7«, einen rosafarbenen Eierbecher und einen blassgelben Salzstreuer – alle aus Plaste. In der Reihe daneben hat er das verstaut, was er aus irgendwelchen Gründen nicht in den Kisten der Flohmärkte liegen lassen konnte, riesige Brillen aus den Siebzigerjahren, Postkarten, Kinderspielzeug. In den meisten Fächern aber sind seine Haushaltswaren und Werkzeuge. All diese kleinen, liebenswürdigen »Symbole menschlichen Erfindungsreichtums«, Wäscheklammern, Feuerzeuge, Dosenöffner. Das Alltägliche faszinierte ihn, »vertraute Gegenstände aus Küche und Bad« zogen ihn an, immer wieder spürte Unbehagen Unbehagliches im Alltäglichen auf und beschäftigte sich mit der »Verfremdung des Gewohnten«, ließ Surreales in die Bilder einfließen, und forschte die »Gesetze des Sehens und der Wahrnehmung« aus, wie es im Katalog zu einer Ausstellung heißt, in der er riesige Kartoffelschäler, Dosenöffner und Wäscheklammern aus Holz präsentierte. Unbehagen hatte Erfolg mit der Unbehaglichkeit. Doch etwas fehlt ihm. Er sucht, zieht eine Lade nach der anderen heraus und schiebt sie wieder zurück. Es gibt so vieles in dieser Wohnung, das er nicht mehr finden kann. Wann er mit dem Sammeln begann, das weiß er nicht mehr so genau. Er ist »kein systematischer Sammler. Was schön ist, kommt eben mit.« Es geht ihm nicht um Vollständigkeit wie Philatelisten und Münzsammlern. »Vielleicht sammle ich, weil ich ein Kriegskind bin«. 1940 ist er in Berlin geboren. Es mangelte an allem, am Alltäglichsten, manchmal am Dosenöffner. Es fällt ihm schwer, etwas wegzuwerfen, etwas aufzugeben. Sich zu trennen. Die Möbel seiner Wohnung, Stühle, Sessel, Tische, Schränke, sie kamen von der Straße, waren aufgegeben worden. Von einer Nachkriegsgeneration, die alles neu haben wollte. Niels Unbehagen will nichts Neues. Er hat »ein gestörtes Verhältnis zum Konsum.« Eines der wenigen Möbel, die neu in Unbehagens Wohnung kamen, ist das Klavier. Es ist ein Geschenk seiner Mutter, Mally. Neben der Kunst und dem Sammeln war es vor allem die Musik, die eine wichtige Rolle im Leben von Niels Unbehagen spielte. Schon in Jena, in der Villa der Großmutter, stand ein Klavier. An ihm gab seine Großmutter, die bei Ignaz Paderewski, einem berühmten polnischen Komponisten, das Klavierspielen lernte, ihrem sechsjährigen Enkel Unterricht. Auch Niels´ Vater spielte im Jenaer Kammerorchester, und einmal in der Woche kam Paul Klee zum Musizieren in die Villa, »bei uns hingen zwanzig echte Klees.« Der Vater spielte Bratsche, Onkel Karl Cello, und Paul Klee Violine. »Der Vater«, sagt Unbehagen, »hat mich beeinflusst«. Doch viel von ihm ist nicht zu finden in dem großen Archiv des Niels Unbehagen. Ein paar alte Fotografien, eine Kinderzeichnung -eines der ersten Bilder des Künstlers Unbehagen: Es zeigt Leo Grebe, den Vater, beim Musizieren. Ein paar verstreute Erinnerungen sind noch geblieben an einen Ausflug im Sommer, oder an das Müsli, das Vater morgens aß. Und an die Kröte, die er ihm einmal in die Hand setzte, eine glitschige, kalte, eklige Kröte. Und an das Bundesverdienstkreuz, dass der Vater für die Rettung zweier Juden erhalten sollte, aber nicht annahm. Geblieben ist auch die Erinnerung daran, das der Vater sich trotz der Geburt des unehelichen Niels nicht trennen konnte von seiner ersten Frau. Weil auch sie eine Jüdin war. Weshalb Niels nicht den Namen des Vaters, sondern der Mutter erhielt: Unbehagen. Auch Niels´ Halbschwestern tragen fremde Namen und leben in fernen Ländern, Maria in Kanada, Cornelia in Amerika. Ein Vierteljahrhundert nach dem Tod des Vaters haben sie sich alle in New York getroffen, auch Arvid kam, der Letztgeborene und der einzige, der noch den Namen des Vaters trägt: Grebe. Aber Niels Unbehagen hat mit seinem Namen leben können. Einen ganzen Ordner hat der Freund der Skurrilität gesammelt mit Schriftstücken an »Prof. Unbehangen«, an »Herrn Umbehagen« oder »Herrn Ungehaben«, aber auch Zeitungsausschnitte, in denen er neben Prominenten auftauchte: »Unbehagen in der Gauckbehörde« oder »Merkel blickt mit Unbehagen auf Berlin-Wahl«. Auch der Ordner mit der Familiengeschichte wiegt schwer. Doch am dicksten sind die Ordner mit Zeitungsausschnitten von Konzerten. Schon als Gymnasiast kam Niels mit dem »Jazz-Bazillus« in Kontakt, vermutlich durch »Summertime« von Sidney Bechet. Also besann er sich auf sein zweites Talent, studierte Grafik in Essen und Freie Kunst in Berlin, gehörte zur KWARZ-Gruppe, über deren politisch korrektes Motto der Stern schrieb: »Hirsche sollen weg von der Wand«. Niels mischte sich ein in die Politik, vertrat, als die HDK ihm einen Lehrauftrag erteilte, Rechte und Meinungen der Studenten, und war immer dabei, wenn sie auf die Straße gingen. Auf einer der Demonstrationen traf er einen Freund aus Kindertagen wieder, in der Paradiesschule in Jena hatten sie nebeneinander gesessen und Seifenkisten gebaut. Doch Rainer Langhans hatte gerade etwas ganz anderes als Politik im Sinn. Auch Niels Unbehagen traf eine schöne Frau. 1970 brachte Bärbel einen Sohn zur Welt: Géza. Sein Bild hat einen Ehrenplatz in der kleinen Ahnengalerie über dem Klavier, ganz nah bei jenem Instrument, das den Vater durchs Leben und über all die Bühnen begleitet hat, auf denen er mit Dexter Gordon oder mit Coco Schumann spielte, im Quasimodo oder in der Philharmonie. 13 Jahre war er ständiges Mitglied in »Nolles Salonorchester« über den Gleisen auf dem stillgelegten U-Bahnhof am Nollendorfplatz, und die BZ titelte: »Det janze Bistro war ne Wolke...« Er war viel unterwegs, wohnte in der Adalbertstraße, der Wrangelstraße, der Gneisenaustraße, am Carl-Herz-Ufer, war ein ständiger Gast in der Nulpe, im Leierkasten und im La Boheme. Er spielte mit Gerhard Tenzer, Wolfgang Rügner und Rudy Stevenson, trank Persico, Feige Sau und Kümmerling, und trinkt und spielt und erzählt immer noch. Er ist ein Kreuzberger. Aber hinter der großen Brille, die blauen Augen, sie suchen. So, als hätte er irgendwo einmal etwas verloren. Auf diesem langen Weg durchs Leben. Niels Unbehagen steht vor seinen 68 Schubladen. Es muss etwas längst Vergangenes sein, das er sucht. Er müsste einmal aufräumen, Ordnung bringen in dieses Leben aus Grafiken, Noten, Fotografien, Zeitungsausschnitten, Hunderten von Selbstporträts. Etwas ganz persönliches muss es sein. Er wirft einen Blick hinüber zur Matratze in der Ecke, zum Tisch mit der Familiengeschichte, »ich weiß nicht, woher diese Sammelleidenschaft kommt«, sagt er, zieht die 17 auf, die 11, die 3. Und dann die 21. Da sind sie. Die Krokodile. Krokodile aus Plastik, aus Eisen, aus Holz, aus Stoff. Lauter Spielzeugamphibien. «Meine Frau sammelte solche Krokodile.« Er lächelt, und dann sagt er: »Auch mein Vater sammelte Amphibien! Aber echte! Er hatte Terrarien mit Eidechsen, Schlangen, was weiß ich - Kröten. Glitschige, kalte.« Schon damals war ihm unbehaglich. • |