Kreuzberger Chronik
Februar 2011 - Ausgabe 124

Die Geschäfte

Heimat Berlin


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von Michael Unfried

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Der Postkartenladen Ararat lockt schon lange Touristen in die Bergmannstraße. Jetzt ist ein Souvenirshop hinzugekommen.


Heimat über einen Laden zu schreiben, in dem sich vor noch gar nicht langer Zeit die letzte Kurzwarenhandlung in der Bergmannstraße und damit eines jener Geschäfte befand, das für alle Altbewohner ein Stückchen Heimat ausmachte, und in dem Berlin-Postkarten, Berliner Mode und Berliner Mauerbilder verkauft werden, das ist merkwürdig.

»Heimat« aber, so kontert der Geschäftsmann Sebastian Mücke schon auf seiner Homepage, »verweist auf eine Beziehung zwischen Menschen und Raum. Allerdings ist die geographisch-historische Eingrenzung der Bezugsräume keine feststehende, sondern situationsbedingt verschiebbar. (...) Heimat bezeichnet somit keinen konkreten Ort, sondern Identifikation.«

Mit diesem philosophischen Gedanken hat Mücke etwas allgemein Gültiges zum Thema »Heimat« gesagt. Zu seinem neuen Laden in der Bergmannstraße hat er damit nichts gesagt. Auch nicht zu seinem alten – dem in der Kastanienallee. Der auch »Heimat Berlin« heißt. Vielleicht wollte Mücke zum Ausdruck bringen, dass man sowohl in Prenzlauer Berg als auch in Kreuzberg heimisch sein kann. Oder dass all diese Berliner Postkarten, diese Berlin-Buttons oder das hurtig ausschreitende Ampelmännchen auf dem Kalender an der Wand seines Ladens eben jene Dinge sind, mit denen sich der Berliner identifizieren kann. Es sind dies jedoch eher jene Dinge, mit denen der Tourist Berlin identifiziert, nicht der Berliner selbst. Es sind die Klischees, die in der neuen Berliner »Heimat« heraufbeschworen werden. So wie in jedem anderen Souvenirladen auf der Welt auch.

Da hängt ein Foto von der Berliner Mauer an der Wand, großformatig wie ein Gemälde auf Leinwand. Auf die Mauer hat jemand geschrieben: »Her mit dem schönen Leben!« Auch die Fotografie von einem Tisch und zwei Stühlen vor einer mit Graffiti verzierten Häuserwand soll das Leben auf der Straße und ein Stück Berliner Lebensgefühl vermitteln. Ebenso wie die Umhängetaschen im olivgrünen Mili-tary-Look der Siebziger- oder spätestens der Achtzigerjahre, die aus irgendeinem Grund alle Modetrends überlebt haben, ins Berliner Straßenbild passen. All das steht für Berlin, gehört zum marktüblichen Klischee.

Schwieriger allerdings wird es mit der großen Einkaufstasche und ihrem orange-roten und gelben Blümchendekor. Nur, wer die alten Berlinerinnen mit ihren großen Einkaufstaschen beim Einholen gesehen hat, wird mit dieser Tragetasche Berlin assoziieren – ansonsten eher die Geschmacklosigkeit der Sechzigerjahre mit ihren bunten und großblumigen Tapeten.
Doch auch diese bunte Tasche passt noch immer ins Klischee und damit in den Laden.

Vollkommen fehl am Platz aber ist ein Artikel, der eher schüchtern unter einem Regal hervorlukt. Da hat nämlich Herr Mücke - anstatt eines der wichtigsten Berliner Modeaccessoires zu zitieren, anstatt einem der erfolgreichsten Exportschlager der Berliner Flohmärkte zu huldigen, einem Dauerbrenner sämtlicher Berliner Secondhandläden – da hat Herr Mücke also statt der Springerstiefel winzige Pantoffeln unter dem Regal hervorluken lassen, hübsche, bunte, wahrscheinlich von einer lächelnden Kunsthandwerkerin beim Matetee handgefertigte Filzpantoffeln. Das dürfte in einem Kreuzberger Heimatladen schlicht nicht sein.

Womöglich würde der Philosoph im Herrn Mücke erwidern, dass alles berlinerisch ist, was schräg aussieht und irgendwie auffällt. Auch damit hätte der Herr Mücke nicht unbedingt Unrecht. Die Berliner Straßenmode war bis vor wenigen Jahren geprägt von orange-grünen Frisuren, gestreiften Hosen, zu großen Schuhen und zerrissenen Strumpfhosen. Sie war Ausdruck des Widerstandes gegen den Mainstream. Und deshalb passen irgendwie sogar diese Pantoffeln, diese ganzen bunten, ausgefallenen Kleider durchaus in das Regal des neuen Heimatladens in der Bergmannstraße. Doch bei der Pariser Haute Couture oder österreichischer Brautmode hatte selbst die Berliner Toleranz ihre Grenze erreicht. In der neuen Heimat Berlin aber ist die Freiheit unendlich. Hier gibt es auch das noch: Zünftige Dirndl der Firma Stockerpoint mit Spitzen und Rüschchen und weißen Kragen.

Auch der Dirndlverkäufer aus Bayern kommt auf seiner Homepage auf die Vokabel »Heimat« zu sprechen und möchte sich gern der »eindeutigen Festlegung, dass Trachten- und Landhausmode mit Brauchtum, Tradition und Heimatzugehörigkeit gleichzusetzen ist, entziehen.«

Bei Heimat Berlin ist der Entzug bereits gelungen. Berlin ist eben tolerant, Berlin ist Multikulti, vor allem in der Bergmannstraße. Da ist selbst für die Bayern noch Platz. Und für die Briten. Deshalb hängt bei Heimat Berlin auch ein echter »Stetson-Sherlock« mit bieder braunkariertem Muster, Reiterhelmhöhe und weit vorragendem Schirm am Hutständer. Ein originaler Meisterdetektiv-Hut, ein Hut, der ganz wunderbar in einen Londoner Heimatladen passen würde, in die Nähe der nebligen Ufer der Themse. In Heimat Berlin hat er eine neue Heimat gefunden.

Zur Freude der Besucher im neuen Heimatladen. Sie setzen ihn auf, sehen sich im Spiegel an, kichern und fotografieren sich, stöbern weiter neugierig in den Regalen, sprechen Spanisch, Italienisch, manchmal Deutsch, und rufen »Oh, thats great«, und murmeln, »oh, how beautiful...« – und nehmen am Ende irgendeine dieser Berliner Erinnerungen mit nach Hause, – ganz so wie überall sonst auf der Welt, wo Touristen spazieren gehen. •


Der Marmeladenladen


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von Hans W. Korfmann

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