Dez. 2011/Jan. 2012 - Ausgabe 133
Kreuzberger
Barbara Klehr Man spielt immer auch das, was einen gerade bewegt
von Saskia Vogel
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»Man spielt immer auch das, was einen gerade bewegt« So ein Lampenfieber wie damals hat sie nie wieder gehabt. In ganzen Karriere nicht. Barbara Klehr musste eine Kollegin beim Improvisationstheater der Gorillas vertreten. Eigentlich hatte sie singen sollen, Gesang hat sie schließlich gelernt, das war ihr Metier, da fühlte sie sich sicher.Aber jetzt hieß das Stück plötzlich »Gurke und Banane«, und sie hatte von nichts eine Ahnung. »Barbara, es geht nicht anders. Das Haus ist voll, die Zuschauer warten. Du musst jetzt ran«. Barbara Klehr betrat die Bühne, und sie legt auch heute noch, zehn Jahre danach, die Hand auf ihre Brust, um sich zu vergewissern, dass das wild gewordene Herz endlich wieder seinen normalen Takt gefunden hat. Der Sprung ins kalte Bühnenwasser war ein Schock. »Da stand ich plötzlich auf der Bühne und sollte eine Szene aufführen, die noch gar nicht existierte.« Von der niemand wusste, wie sie anfängt, geschweige denn, wie sie aufhört. Das Prinzip: Alle Darsteller gehen auf die Bühne, als seien sie ein weißes Blatt. Der erste Schauspieler wirft seinem Gegenüber eine Idee zu. Das geht dann zum Beispiel so: »Du, ich habe mich heute in eine junge Frau verliebt.« Darauf antwortet ein zweiter Schauspieler: »Tatsächlich? In wen denn?« – »In eine Punkerin am Schlesischen Tor«, sagt der erste Schauspieler und umarmt eine dritte Schauspielerin. Und diese, jetzt in ihrer Rolle als Punkerin, sagt: »Ja, und jetzt wollen wir heiraten.« Und so weiter und so fort. Oder auch ganz anders. Niemand weiß, wie es weitergeht, aber der Anfang für die Geschichte steht. Die meisten Zuschauer können kaum glauben, dass beim Improvisationstheater wirklich nichts abgesprochen wird. Sie vermuten, »dass irgendwo ein Drehbuch versteckt ist. Aber das stimmt nicht, die komplette Handlung ist frei erfunden.« Barbara Kehr muss lachen, wenn sie daran zurückdenkt, wie wichtig es ihr gewesen war, in ihren Rollen immer auch »gut auszusehen«. Und jetzt, bei dieser blöden »Gurke oder Banane« Show, da sollte die klassische Theaterschauspielerin sich vor versammelter Mannschaft einfach zum Affen machen. Doch das Affentheater war wunderbar: Barbara Klehr wurde zum Gorilla der fast allerersten Stunde. Sie wurde Mitglied eines Theater-Ensembles, das sich vor über zehn Jahren gründete und seither im Ratibor-Theater regelmäßig für Beifallsstürme sorgt. 12 Gorillas zählt die Meute heute, »die Truppe ist wie eine Familie« und über all die Jahre zusammengeblieben. »Improtheater: Das bedeutet, Szenen zu erfinden, für die es keine Regeln gibt«, erklärt Barbara in ihren Theaterworkshops den Frischlingen und den Wiederholungstätern. Doch auch das Improvisieren ginge nicht ohne Grundregeln: »Eine der wichtigsten ist, die Ideen anderer nicht abzuwürgen. Auf der Bühne wird nicht bewertet und nicht kommentiert«, da wird gespielt. Und wenn Barbara Klehr zu einem Kollegen sagt: »Ich würde gerne Goldschmiedin werden«, dann wird der Kollege eben nicht mit »Nein« antworten. Beim Improvisationstheater geht es darum, die Ideen anderer aufzugreifen und voranzutreiben. Dieses Theater ist ein konstruktives Zusammenspiel, und deshalb lässt der Kollege die Kollegin dann eben auch Goldschmiedin sein. Ganz anders als im wirklichen Leben. In dem Barbara Klehr tatsächlich einmal Goldschmiedin werden wollte. Aber der Goldschmiedemeister war mit den Ideen der Barbara Klehr eben nicht einverstanden. Er trieb sie nicht voran, sondern er bremste sie aus. Und weil »die Barbara«, wie er sie nannte, nicht so wollte, wie er wollte, überließ er ihr bald nur noch die Sklavenarbeiten. Da reichte es »der Barbara«. Es war ohnehin immer schon etwas seltsam gewesen, wenn der Meister nur in der dritten Person von ihr sprach – so, als sei sie gar nicht anwesend. Angst, dass die Stimme versagt Foto: Privatarchiv
Und trampte erst mal nach Sardinien. Allerdings musste sie schon bald feststellen, dass auch das Hippie-Dasein auf der Straße keine wirkliche Freiheit war. Barbara Klehr hatte schon nach wenigen Wochen genug von den Abbruchhäusern und all den silbernen Kettchen, die sie den Touristen verkauften. Und dann nahm sie eine Bekannte mit nach Berlin und zeigte ihr eine Schule für Bühnenkunst. Und da begann Barbara Klehr sich mit Schauspiel, Gesang und Tanz zu beschäftigen. »Die Schule war in der Bernburgerstraße, genau gegenüber von der Mauer!« Barbara Klehr erinnert sich noch gut an die Mauerspechte im Kreuzberg der 80er Jahre, und an den Flohmarkt auf dem heutigen Potsdamer Platz, »im Sommer immer staubig und rappelvoll, im Winter immer matschig, aber immer noch voll. Später war das dann der Polenmarkt«, wo es für kleines Geld so ziemlich alles gab, was der Mensch zum Leben braucht. Berlin hatte es ihr angetan. In Berlin wollte sie bleiben. Tatsächlich fand sie ein Engagement am Theater des Westens, doch spielte sie auch schon bald in den Hinterhöfen der Subkultur, im Kreuzberger Mehringhoftheater und im S036. »Als ich mit Impro anfing, hatte ich erst mal Angst, dass mir die Stimme versagt.« Aber das legte sich dann bald, und Barbara Klehr, die anfangs so gar nicht wusste, wohin sie gehen, was sie eigentlich anfangen sollte mit diesem Leben, wurde allmählich selbstbewusster. Nicht nur auf der Bühne, sondern auch im wirklichen Leben. Heute ist sie Musiktherapeutin, gibt Impro-Workshops für stotternde Erwachsene. »Es hilft, wenn die Leute sich weniger mit sich selbst«, sondern mit dem Stück beschäftigen. Das Improvisieren auf der Bühne, sagt Barbara Klehr, hätte auch ihr geholfen, flexibler zu sein, wenn es einmal schwierig wurde. Wenn ihr etwas Sorgen bereitete. Foto: Privatarchiv
So wie das Älterwerden zum Beispiel. Das sei ein Thema, über das sie sich Gedanken mache. Letztens habe sie mit einem jungen Kollegen eine Liebesszene improvisiert. Im Publikum saß eine Schulklasse, und irgendeinem Pubertierenden entfuhr ein »Oh neee!« Das hatte ihr einen Stich versetzt. Manchmal ist sie müde, hat kaum noch Lust, in die U-Bahn zu steigen und zum Theater zu fahren. Aber wenn sie »auf der Bühne« steht, dann ist alles ganz anders. Und wenn sich ein Stück gut entwickelt, dann sei dieses Improtheater tatsächlich »ein wahres Lebenselixier«. Ein Elixier, das Kraft gibt. »Denn man spielt schließlich immer auch das, was einen gerade bewegt. Improvisationstheater ist etwas sehr Privates.« Man schlüpft in eine Rolle, aber man kann sich nicht hinter ihr verstecken. Irgendwie bringt man immer sein ganzes Leben mit auf die Bühne. Und das befreit. Vor zehn, fünfzehn Jahren, da hatte sie eine schwer Zeit. Als die meisten Frauen in ihrem Alter sich sagten, dass es jetzt an der Zeit sei, ein Kind zu bekommen, da kam bei ihr keins. Jetzt haben Barbara Klehr und ihr Mann die Pflegschaft für einen Jungen übernommen. Er hat sofort gefragt, ob er »Mama und Papa« sagen dürfe. Er hat sich an sie geschmiegt, er war glücklich, in einer richtigen Familie angekommen zu sein Dieser Junge hat etwas verändert im Leben der Barbara Klehr, die es nie fertig gebracht hat, die Kunst des Schauspiels auch im Alltag anzuwenden. In eine »Bäckerei reinzumarschieren und so zu tun, als sei ich eine cholerische Kundin – einfach nur zum Spaß - das konnte ich nie.“ Improvisieren konnte sie immer nur auf der Bühne. Jetzt aber spielt sie manchmal Puppentheater für ihren Sohn. Nur so zum Spaß. Impropuppentheater. • |