Dez. 2011/Jan. 2012 - Ausgabe 133
Geschichten & Geschichte
Die Hökerinnen vom Anhalter von Werner von Westhafen |
Sie hatten nur eine Waffe gegen die Arroganz der Bourgeoisie: Ihre Berliner Schnauze Berlin war noch ein namenloser Marktfleck am Ufer eines träge dahin fließenden Flusses, da tauchten die ersten Marktfrauen auf: Überall, wo die Schiffer anlegten und Waren feilboten, später auf jedem kleinen Platz, der zwischen den Häusen erhalten blieb, sah man sie im Regen und im Schlamm stehen, im Herbst und im Winter, zwischen an den Beinen zusammengebundenen Hühnern, stinkenden, von Katzen umschlichenen Fischen: Die Hökerinnen in ihren weiten, warmen Röcken, die ihre billige Ware anboten. Naturgemäß waren sie keine zarten Naturen, sie brauchten ein dickes Fell, des Wetters und der Kundschaft wegen. Die Sprache war ihre einzige Waffe, mit ihr schlugen sie die feinen Feinde in die Flucht. Als der berühmte Henry Bethel Strousberg, der es mit seinen Eisenbahnlinien zu weltweitem Ruhm und einigem Reichtum gebracht hatte, auf die Idee kam, die Märkte zu überdachen und in der Nähe der Bahnhöfe Markthallen zu bauen, gefiel die neue Idee des so genannten »Eisenbahnkönig« den Hökerinnen überhaupt nicht. Sie fürchteten um ihren Arbeitsplatz. Eine gewisse Elsbeth, Wortführerin unter den Marktweibern, revoltierte gegen die Pläne des Strousbergs, denn jedes zartbesaitete Flittchen könne sich fortan in seidener Unterwäsche auf den Markt stellen und Konkurrenz machen. Wenn die Märkte ein Dach bekämen, dann hätte es bald ein Ende mit den segenreichen Regentagen, an denen sie für kleines Geld die Reste der Markthändler aufkauften, um sie am nächsten Tag oder zu späterer Stunde weiterzuverhökern. Es muss um die Weihnachtszeit gewesen sein, als die Hökerinnen in Ermangelung frischen Gemüses und Obstes wieder unter den Laternenpfählen des kleinen Marktes in der Nähe des Anhalterbahnhofs standen, um ihre weihnachtlichen Glückwunschkarten zu verkaufen, als Adolf Glasbrenner des Weges kam, der sich gern auf den Märkten herumtrieb und die Dialoge der Marktweiber belauschte. Da soll, so erzählten sich damals die Hökerinnen auf allen Marktplätzen der Stadt, auf dem Spittelmarkt, auf dem Köllnischen Fischmarkt, dem Markt vor dem Anhalter, dass die alte, dicke Elsbeth so flink aus dem Schein ihrer Laterne hervorgeeilt sei wie sonst nur Feen und andere leichtfüßige geistige Erscheinungen, und dass sie den Volksdichter am Rockzipfel gepackt, freundlich gelächelt und gesagt haben soll: »Glasbrennerchen, lass Dir jetze nich verblüffen, aber Du isst doch so jerne Stinte. Wie wärs, wenn ick Dir die ab jetze jratis jeben täte. Und kostenlos jeb ick Dir noch Kostproben aus unserem Jargong. Nur drucken lassen musst du das – damit die Berliner Herrschaften mal sehn, was se an uns haben… .« Der weitere Wortlaut dieses Gesprächs wurde nicht überliefert, doch das Gerücht vom Beistand dieses Zeitungsschreibers machte unter den Hökerinnen bald die Runde. Auch Rodenwald und andere volksnahe Dichternaturen erhoben die Sprache des Marktes zur Kunstform, und Glasbrenner druckte tatsächlich einige ihrer schönsten Dialoge ab, die fast immer dann entstanden, wenn jemand den Damen zu Nahe trat. Dann konterten sie: »Gericken, mach mir nich tücksch, det sich nicht meene Fäuste mit Deene Backenzähne familiär machen.« Standen sie zu Zweit am Stand waren, dann lästerten sie: »Seh ‘mal, Willichen, den Pucklichen, der da hinlooft, is det nich der adlije Herr?« – »Ja, det is een Ast von seinem Stammboom.« Und als eine feine Dame für drei Apfelsinen nur sechs Silbergroschen zahlen will, ruft die Marktfau: »Sehn Se mal da oben ruf, Schönste! Sehen Se mal da oben uf´t Dach ruf!« – »Na, was soll da sein?« – »Sehn Se mal ruf, sag ick Ihnen! Sehn Se mal da oben! Sehn Se da det kleene Jewächs? Det is een Appelsinenboom, Schönste. Nu warten Se mal noch so lange, und lassen Se den Boom wachsen, un wenn er jroß is, und de Appelsinen sind reif, dann soll´n Se drei Stück für sechs Silbergroschen haben«…Am Ende freilich konnte auch Glasbrenner den Lauf der Geschichte nicht aufhalten. Elsbeth lag auf dem Totenbett, Glasbrenner hielt fest, wie der Gemahl sie zu trösten versuchte, »eenmal« müssten alle sterben. »Schafskopp« erwiderte die Alte, » det is et ja eben. Wenn ick zehn oder zwölf mal sterben müßte, dann würd ick mir aus det eenmal nix machen.« Auch die anderen Hökerinnen mit ihren Kopftüchern und ihren Faltenröcken, mit ihren billigen Heringen, stinkenden Stinten, sauren Bieren und sauren Gurken, mit ihren »Äppeln«, »Kwerlen« und »Zimtbrezeln«, dem ganzen Kleinkram und »Hähnekens«, wie das Kinderspielzeug hieß, das sie Weihnachten verkauften, starben aus. Wie Elsbeth es vorhergesagt hatte. Zwar hielten sich die legendärsten Redewendungen unter den Marktfrauen noch eine ganze Weile, doch der Biss fehlte, nur der Witz blieb. Überliefert ist auch ein Dialog aus einer der neuen Markthallen: Der Schupo: »Sie haben keine Preistafel an ihrem Stand« – Die Händlerin: »Ne, ick traute ma nich. Ick bin zu billig, da hätte ma die Konkurrenz verdroschen.« Heute ist die Schlagfertigkeit der Marktweiber nur noch Legende. In der Markthalle am Marheinekeplatz, wo vor der Renovierung die Gemüsehändlerin Lorenzen und die Haushaltswarenkönigin Spreu noch eine Spur der Berliner Eloquenz erahnen ließen, lächeln manche Verkäuferinnen heute bereits so freundlich wie die Stewardessen. Auch von den vielen Markthallen sind nur noch drei erhalten, und von den denkwürdigen Erscheinungen der Hökerinnen, die in den eingenähten Seitentäschchen ihrer Kattunschürzen das mit viel Kleinkram und Mühe verdientes kleines Geld verstauten, ist nur ein Wort geblieben. Ein Wort, das längst einen schlechten Klang bekommen hat: Noch immer spricht man vom »Verhökern«. • |