Dez. 2011/Jan. 2012 - Ausgabe 133
Reportagen, Gespräche, Interviews
Zimmer zu vermieten von Horst Unsold |
Nach dem Krieg wurden aus Hotels Wohnhäuser. Heute werden aus Wohnhäusern Hotels. »Günstiges Appartement in trendiger Kiez-Lage in Kreuzberg Bergmannkiez.« – »Im Mai zieht der Karneval der Kulturen direkt am Haus vorbei und lädt zum tanzen und mitfeiern ein.« – »Am nahen Platz der Luftbrücke können Sie den historischen Flughafen Tempelhof besichtigen, wo auch die Modemesse Bread & Butter stattfindet. Der in unmittelbarer Nähe gelegene Viktoriapark mit seinem Wasserfall lädt zum Verweilen ein.« Mit derartigen Lockrufen werben nicht nur die Immobilienvertreter der Baywobau, sondern auch jene Neukreuzberger, die sich eine Altbauwohnung im trendigen Kiez gekauft haben. Nicht, um selbst dort einzuziehen und am Wasserfall zu verweilen, sondern um Geld zu verdienen. Nach dem Kauf der Immobilie werfen sie die Bewohner auf die Straße und vermieten ihre 52 hellen Quadratmeter mit den vom Vormieter abgeschliffenen Dielen an Touristen. Die zahlen ein Vielfaches von dem, was ein gemeiner Mieter zahlt. Über die Weihnachtsfeiertage kosten elf Übernachtungen im Einzelzimmer-Appartement »Rita« 1030 Euro, die kleineren Appartements »Willi« und »Heinz« sind seit Mitte November »leider schon ausgebucht.« Das Geschäft mit den Unterkünften boomt. Sogar Berliner Schmuddelviertel wie Neukölln und Pankow werden mit doppelseitigen Reportagen auf den Reiseseiten der ZEIT geadelt. Nicht nur, weil Berlin mit durchschnittlich Foto: Dieter Peters
Die Vertreter der Tourismusbranche stört es auch nicht, wenn in der Landsberger Allee ein Jugendhotel mit 1000 Betten und Security-Personal eröffnet und sich als »ultimatives Party-Hostel« anpreist. Es stört sie nicht, wenn in Wohnvierteln wie Friedrichshain, Prenzlauerberg oder Kreuzberg die Wohnhäuser reihenweise zu Ferienhäusern werden. Wenn Kreuzberg an der Tourismusbörse als »Renner« gehandelt wird. Hauptsache, der Euro rollt. Auch die vielen neuen Restaurantbesitzer in der Bergmannstraße sind zufrieden. So viele Menschen wie in diesem Sommer zogen noch nie durch das Viertel. Sogar die Händler der Markthalle, die zuvor wegen der hohen Renovierungskosten und neuen Mietverträge noch meckerten, sind leiser geworden. »Als ich anfing, gab es hier noch gar keine Touristen!«, erinnert sich Michalis Pantos, der vor zwanzig Jahren damit begann, in der Markthalle Schafkäse, Oliven und andere »griechischen Spezialitäten« zu verkaufen. Die Kunden waren »Gastarbeiter« und Kreuzberger, die im Urlaub in Griechenland waren. »Wenn Leute aus Westdeutschland vor der Theke standen, dann junge Leute, die zu Besuch bei Freunden waren und einkaufen kamen, um am Abend zusammen zu kochen.« Das ist heute anders. Die neuen Gäste wohnen in Hotels und essen in Lokalen. Doch das ist noch kein Indiz für den wachsenden Wohlstand unter den Reisenden. Es gab in den Achtzigern gar keine andere Möglichkeit, als sich bei Freunden einzuquartieren, denn Restaurants und Hotels waren Mangelware. Die Hotels waren zerstört, und die wenigen, die den Krieg überstanden hatten, wurden zu Miethäusern umfunktioniert. Touristen kamen ohnehin keine in die Ruinenstadt. Das hat sich inzwischen geändert. »Berlin ist geil«, sagt eine blonde Studentin aus London, »so billig, and so much fun…« – »Yes, it´s grazy, everybody´s so charming. And the Tempelhof-Airport, so much fun…« Die Blonden sitzen bei »Lola« in der Markthalle und essen Kichererbsen mit Chorizo. – «Ich kann mich gar nicht erinnern, wo wir gestern waren. Aber wir haben getanzt, soviel weiß ich noch… – hihi – Berlin ist einfach Party…« So jung und neumodisch die Begeisterung der jungen Reisenden auch klingen mag: Partys wurden auch früher schon gefeiert. In der Hagelberger Straße eröffnete bereits Ende der Achtziger eines der ersten Nachkriegshotels. Weil die meisten Gäste Durchreisende waren, Geschäftsleute, die auf der Transitautobahn den Osten durchqueren mussten, nannten sie es schlicht und schmucklos »Hotel Transit«. Albert steht seit damals in der Hagelberger Straße an der Rezeption, und Albert sagt: »Das Publikum hat sich nicht verändert. Das ist gleich geblieben. Auch das Balzverhalten: genau wie damals! Nur, dass damals die Haare violett und die Ringe in den Ohren waren, und heute sind die Ringe in der Nase und die Haare sind blond. Früher gingen sie ins Huxleys, heute sind sie im Tresor. Aber Rauchen und Trinken tun sie damals genau so viel wie heute. Wer nach Berlin kommt, der will etwas erleben.« Doch auch, wenn die Menschen gleich geblieben sind: Die Stadt hat sich verändert. Und das wieder aufgebaute Berlin zieht ganz andere Gäste an als die alte Ruinenstadt. Während die Besucher der Achtziger noch auf der Suche nach Subkultur, Secondhandläden und verrauchten Kneipen waren, fahren sie heute zum Reichstag und in die Museen. Aus Secondhandläden sind Boutiken geworden, die Hinterhoftheater verschwunden, und in den Fabriketagen haben sich Clubs angesiedelt. An den Rezeptionen fragen die Gäste nach dem »Tresor«, dem »Berghain« oder dem »Icon Club«, der vom Prenzlauerberg zur LPG an den Mehringdamm gezogen ist. Was früher die Feten in den Fünfzimmerwohnungen alter Kommunarden waren, sind heute Events und Partys in großem Stil. Auch am Tempelhofer Ufer, wo sich einst André Worons Teatr Kreatur verbarg -ein unvergessliches Highlight der Berliner Hinterhofkultur -, befinden sich heute gleich zwei neue Hostels: Während es • im klein geschriebenen aletto mit seinem EC-Automaten, den Bären, Foto: Dieter Peters
»Die Besucherzahlen in Berlin«, sagt der Geschäftsführer von Visit Berlin, »haben sich seit 1995 verdreifacht«. Die deutsche Hauptstadt hat inzwischen sogar Barcelona überflügelt. Auch in Kreuzberg sind die Besucherzahlen gewachsen: Über 100.000 waren es allein im August dieses Jahres. Nur der Bezirk Mitte, unangefochtener Spitzenreiter, und die Gegend am Ku´damm verzeichnen höhere Besucherzahlen als Friedrichshein-Kreuzberg. Im Hotel Transit steht die Uhr auf fünf vor zwölf. Los Angeles-Zeit. In Tokio ist es vier, und auf der Uhr in der Mitte, um die sich alles dreht, ist es fünf vor acht: »Kreuzberg«-Zeit. Alle Tische sind leer im Frühstücksraum des Hinterhof-Fabriketagen-Hotels. Die Schülergruppen aus Frankreich, England, Dänemark sind am Sonntag alle wieder abgereist. Albert trinkt in aller Seelenruhe Kaffee und kann die viele Aufregung um die Touristen nicht verstehen. Natürlich ärgert auch er sich, wenn die Schlangen vor Curry 36 so lang sind, dass einem der Appetit vergeht. »Aber das sind ja nicht alles Touristen, die kommen ja nicht alle aus den 200 Betten des Metropol Hostels gegenüber. Vor Curry 36 standen schon immer lange Schlangen.« Albert hat auch kein Verständnis dafür, wenn alt gewordene »Altlinke« sich darüber aufregen, dass Reisegruppen an der Warteschlange vor der Nationalgalerie einfach vorbeigeführt werden und sofort Einlass bekommen, während der gemeine Berliner warten muss. »Die da meckern, das sind die gleichen, die nach Venedig zum Karneval fahren und die Straßen verstopfen und in New York grinsen, wenn der Reiseführer sie an der Warteschlange vorbei ins Moma führt.« Albert sagt, nicht die Touristen hätten sich verändert, sondern die Berliner. Der Berliner wird alt. Kürzlich beschwerte sich ein Nachbar wegen der lärmenden Jugendlichen im Hof. »Als wir in den Siebzigern auf Klassenfahrt fuhren, waren wir noch lauter. Und wir haben genau wie diese jungen Leute heute unser erstes Bier auf der Klassenfahrt getrunken.« Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass sich der einst so nachtaktive Berliner allmählich zum Spießer und Spaßverderber entwickelt. Insbesondere der Kreuzberger genoss seit den Siebzigern den Ruf des toleranten, weltoffenen Kosmopoliten. Die Touristenströme, die seine Stadt jetzt heimsuchen, sind eine Herausforderung für ihn. Jetzt kann er beweisen, wie weltoffen er tatsächlich ist. Vorausgesetzt, er wird nicht vorher noch vertrieben aus seinem Lebensraum. Von jenen, die aus Wohnungen Hotels machen. • |