Kreuzberger Chronik
April 2011 - Ausgabe 126

Die Geschichte

Geschichten um den 18. März (3):
Ernst Litfaß und der Krakehler



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von Werner von Westhafen

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Von und für Bummler, stand in der Unterschrift des Kladderadatsch. Gemeint waren mit den Bummlern nicht die üblichen Flaneure mit Frack und Spazierstock, sondern jene aufgeklärten Bürger, die in den wenigen Monaten der Pressefreiheit nach den Ereignissen im März 1848 an den überall angeschlagenen Zeitungen entlangspazierten, um sich über die politische Entwicklung zu informieren. Die wilden Blätter hingen an Laternenpfählen, Bäumen und Häuserwänden, sie waren die Flugblätter der 48er-Generation, und natürlich waren sie den Regierenden ein Dorn im Auge. In den feineren Gegenden der Stadt waren sie schnell wieder entfernt, doch in den Arbeitervierteln, vor allem im Süden der Stadt, kam man den Plakatierern nicht nach.

Auch der Kladderadatsch und der Krakehler wurden von den Freunden der Revolution an die Wände der Häuser vor dem Halleschen Tor geklebt. Doch während der Kladderadatsch sich anpasste und trotz eines Verbotes alle politischen Wirren überlebte, wurde der Druck des Krakehlers schon im November 1848 wieder eingestellt. Dabei war Ernst Litfaß, auch wenn er sich stets für Freiheit und Demokratie einsetzte, im Grunde ein Königstreuer, und seine politische Alternative war die konstitutionelle Monarchie.

Die preußische Zensur aber sah in dem Herausgeber einen potentiellen Feind. Womöglich des eigensinnigen Lebenslaufes des E.T.A. Litfaß wegen: Schon früh hatte sich der Sohn des Buchdruckers mit dem Stiefvater, der den satirischen »Courier – ein Frühstücksblatt für jedermann und jede Frau« herausgab, entzweit. Aus Trotz verließ er die Stadt, was der Stiefvater als »einen wahnsinnigen Streich« bezeichnete, und ging nach Paris, um sich als Herr »Flodoardo aus Berlin« und als Schauspieler durchzuschlagen. Zurück in Berlin gründete der junge Bohemien am Rosenthaler Tor das Theater »Lätitia«, und erst 1846, als bereits Dreißigjähriger, steigt er in die Fußstapfen des Stiefvaters, um im Litfaßschen Druckhaus Flugschriften und Zeitungen wie den »Berliner Krakehler«, die »Berliner Schnellpost« oder den »Berliner Figaro« herauszugeben.

24. April 1932
Doch nun erwies sich der eigenwillige Träumer als erfolgreicher Geschäftsmann, investierte in neue Techniken, installierte Schnellpressen, einen Fahrstuhl, Dampfmaschinen und einen Telegrafen, um jederzeit mit seinen Mitarbeitern kommunizieren zu können, und er machte sich mit der Herausgabe großformatiger, neuer Anschlagzettel, die bald schon Litfaßzettel genannt wurden, seinen Namen in der Stadt. Diese Zettel schienen den Sicherheitskräften des Staates ein Risikofaktor zu sein.

Nach der gescheiterten Revolution und dem Ende des Krakehlers ging Litfaß abermals auf Reisen, besuchte London und Paris, wo stuckbeladene Säulen mit Zwiebelkuppeln und Schindeldächern zum Anschlagen von Nachrichten auf den Straßen aufgestellt waren. Im Dezember 1854 schlug sich der ehemalige Drucker des Krakehlers endgültig auf die Seite der Macht und handelte mit dem Berliner Polizeipräsidenten Hinckeldey, dem »das öffentliche und unzensierte Plakatieren« seit dem Aufstand erheblich auf die Nerven ging, einen Vertrag über das Aufstellen von »150 Annonciersäulen« an Straßenecken und öffentlichen Plätzen aus. Am 15. April des folgenden Jahres wurde die erste Litfaßsäule an der »Ziegenbockswache« errichtet. Wenige Jahre später prägten die Annonciersäulen das Berliner Stadtbild.

Als der regimetreue Litfaß sich bereit erklärte, auch die Depeschen von der Kriegsfront kostenlos an seinen Säulen anzuschlagen, erhielt der Drucker aus der Adlerstraße für eine »Bearbeitungsgebühr von 15 Silbergroschen« sogar den Titel des »Geheimen Kommissionsrats«. Doch als der »Werbekönig« 1874 starb, war es mit der Ehrerbietung vorüber: Sämtliche Säulen des Herrn Litfaß wurden abgerissen, auf Kosten der Erben. Heute allerdings stehen wieder über 4.000 dieser »Stadtmöbel« in Berlin, 17.000 in Deutschland.
Adlolf Glasbrenner, Unterhaltung


Das Quartier vor dem Halleschen Tor spielte im Leben des Ernst Theodor Amandus Litfaß, der jenseits der Spree wohnte, keine bedeutende Rolle. Allerdings wäre die Karriere des E.T.A Litfaß, den die Berliner gern den »Säulenheiligen« nannten, ohne das Berliner Vorstadtvolk mit seinen aufmüpfigen Plakatierern wahrscheinlich ganz anders verlaufen. Bis heute zeugen unzählige Litfaßsäulen in Kreuzberg von der Neugierde und dem regen Wissensdrang der Kreuzberger. Kein Berliner Bezirk kann mit so vielen Litfaß-Denkmälern aufwarten, während da, wo die Geschichte mit den Säulen ihren Anfang nahm, nur noch 18 von ihnen geblieben sind. In der Münzstraße allerdings, wo einst die erste Litfaßsäule errichtet worden ist, glänzt eine in Bronze. •

Bildnachweis: Adolf Glasbrenner: »Unterhaltung«


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