November 2010 - Ausgabe 122
Strassen, Häuser, Höfe
Die Lohmühlenstraße von Guido Osterflaute |
Anlässlich der internationalen Gewerbeausstellung wurde der Weg vom Schlesischen Tor nach Rixdorf mit Steinen gepflastert. Den romantischen Namen verdankt die Burg einem Weg, der um 1750 noch durch eine Landschaft aus Sumpf und Wiesen von der Schlesischen Straße an der Spree nach Rixdorf führte. Der Volksmund gab diesem Pfad zunächst den Namen Kohlhorst-Weg, vermutlich eines rußgeschwärzten Köhlers namens Horst wegen, dessen Name 1783 sogar auf einer Flurkarte vermerkt wurde. Der Weg führte jedoch schon damals nicht allein an der vermeintlichen Köhlerei vorbei, sondern auch an den Lohmühlen der Gerber Lutze und Busset. Als später am Wegesrand der Landwehrkanal ausgehoben wurde, entstand kurz vor dessen Mündung in die Spree eine künstliche Insel, auf der noch drei weitere Lohmühlen errichtet wurden, um die Gerbereien an der Köpenickerstraße und spreeaufwärts mit gemahlener Rinde zu versorgen, die diese zur Herstellung der Gerbsäure benötigten. Eichen- und Fichtenrinde gab es genug, denn schon im Jahre 1823 hatte der Magistrat beschlossen, die Cöllnische Heide abzuholzen, um Bauland zu gewinnen. Allein der Verkauf des Holzes bereicherte die Stadtkasse um angeblich 99.825 Taler. Auch das Geschäft mit der gemahlenen Rinde florierte, die Gerbereien am Fluß stanken kilometerweit, und der schwarze Kohlenhorst geriet allmählich in Vergessenheit, weshalb nach Abschluss des großen Kahlschlags der Weg im Jahre 1842 einen neuen und endlich auch offiziellen Namen erhielt: Fortan sprach man vom Lohmühlen-Weg. Er behielt diesen Namen, bis die Berliner auf die Idee kamen, die internationale Gewerbeausstellung nach Berlin zu holen und dafür das neu gewonnene Flachland an der Spree zu nutzen. Im Rahmen dieses »Megaevents« am Ende des 19. Jahrhunderts, das wegen seines großen Erfolges nicht nur von den Patrioten als Berliner »Weltausstellung« bezeichnet wurde, mussten auf dem abgeholzten Gelände künstliche Seen, Springbrunnen, Gartenanlagen, Wege, Straßen und Pavillons für die etwa 3.700 Aussteller aus aller Welt angelegt werden. Der Schlesische Busch allerdings, ein kleines Wäldchen unweit des Kanals, durch das auch der Lohmühlen-Weg führte, blieb vom Kahlschlag und der Bauwut der Architekten verschont. Allerdings erhielt der Weg nun ein Pflastersteinbett, damit die Kutschen nicht im Schlamm eines Sommerregens stecken blieben und die vielen Fußgänger trockenen Fußes und sauberen Schuhs vom Stadttor auf das Ausstellungsgelände gelangten. Die viele Mühe war nicht umsonst, etwa 7 Millionen Menschen besuchten von Mai bis Oktober 1896 die Ausstellung an der Spree, um Archenholds Superfernrohr mit einer Brennweite von 21 Metern zu begutachten, das bis heute größte Linsenfernrohr aller Zeiten. Sie kamen, um das Wasserrestaurant zu bestaunen, das Automatenrestaurant, die venezianischen Gondeln im Gondelhafen, Hagenbecks Tiere, das Nordpol-Panorama, den Flugplatz des ersten lenkbaren Luftschiffs, die Wasserrutschbahn oder die damals berühmte und heute berüchtigte Kolonialausstellung mit 400 originalen Eingeborenen. Die Pflastersteine hatten den alten Wald- und Wiesenweg zur Straße gemacht, am 26. Juli 1897 erhielt er den Namen »Lohmühlenstraße«. Er behielt ihn bis heute. Zumindest östlich der Mauer, die Berlin im Jahre 1961 zweiteilte. Das kleine Stückchen Lohmühlenstraße, das fortan zu Westdeutschland und damit zu Kreuzberg gehörte, verkam in den Zeiten des kalten Krieges zur Sackgasse, verlor seine Bedeutung und schließlich sogar seinen Namen: 1978 wurde der absterbende Wurmfortsatz offiziell entwidmet. Namenlos, so wie einst in jenen grauen Zeiten noch vor Horst, dem Köhler, erinnert das Wegstück heute wieder ein bisschen an jenen alten Wald- und Wiesenpfad, mit dem die Geschichte der Lohmühlenstraße einst einmal begann. • |