November 2010 - Ausgabe 122
Die Geschäfte
Kreuzberger Buchläden (2): Das Volk vom Berliner Büchertisch von Michaela Prinzinger |
Vielleicht ist es die Atmosphäre dieses Kreuzberger Hinterhofs, die den Berliner Büchertisch zu mehr macht als nur zu einer Buchhandlung. Denn immer wieder bilden sich in diesem Hinterhof am Mehringdamm Nummer 51 Gruppen und Grüppchen, die lesen, diskutieren, oder sogar miteinander essen. Besonders bei den Lesungen in den sommerlichen Monaten ist der Hof ein Ort, an dem Autoren, Moderatoren und Leser mit einem Glas Wein in der Hand gut miteinander ins Gespräch kommen. Vor allem beim traditionellen Suppenausschank, der die Lesungen im Büchertisch begleitet, ergibt ein Wort über die Suppe schnell das nächste zur Literatur. Was vor allem an Andreas liegt, dem Suppenkoch, der auf kleinstem Raume mit sparsamsten Mitteln die jeweilige kulinarische Variation kreiert. Eingeklemmt in seiner winzigen Kombüse waltet er seines Amtes mit Würde und Kreativität. Nur bisweilen scheiden sich die Geister an seinen strikt veganen Rezepten, in denen für Rinderwürstchen oder Speck schlichtweg kein Platz ist. Doch im Grunde liebt ihn jeder. Wenn man Reimar Delley nicht am Suppen-, oder am Weinausschank trifft, dann trifft man die graue Eminenz des Büchertisches im Empfangsraum für die Bücherspender, wo er, eingekeilt zwischen mannshohen Büchertürmen, die Kisten voller Buchstaben-Nachlass in Empfang nimmt, die nach Umzügen und Todesfällen eine neue Heimat suchen und im Büchertisch auch finden. Seit nunmehr fünf Jahren verzichtet Delley auf das geruhsame Dasein als Privatier, um sich »ehrenamtlich zu amüsieren«, wie er sich ausdrückt. Er »war immer schon ein Bücherwurm«, und dieser Bücherwurm findet an seinem neuen Arbeitsplatz reichlich Nahrung. Nachdem Delley die Welt der Wirtschaft im fernen »Westdeutschland« hinter sich gelassen hatte, fand er im Kreuzberger Hinterhof ein neues Aufgabenfeld und ein neues Stückchen Heimat. Delley identifiziert sich mit dem Projekt des Berliner Büchertisches, es freut ihn, wenn sich vor der Rikscha, die beladen mit Büchern für einen Euro vor dem Hofeingang auf dem Mehringdamm steht, Menschentrauben ansammeln, oder wenn die Kreuzberger vor dem kleinen Tisch im Foyer des alten Rathauses an der Yorckstraße stehen, in »seinen« Büchern blättern und ihre Akten und ihre Sorgen einen Moment lang vergessen. Auch Sandra Emkes ist zum Bücherwurm geworden. Einst band sie Blumen und fand in den bibliophilen Hinterhof nur, weil sich das Engagement dieses kleinen »sozialen Wirtschafts- unternehmens« im An Karl-Heinz Naizel, allgemein als Faktotum »Kalle« bekannt, kommt im Büchertisch keiner mehr vorbei. So einen Kalle hat kein anderer Buchladen in ganz Berlin nicht. Kalle fehlt auf keinem Werbeposter des Büchertisches – genauso wenig wie Alfred Hitchcocks Silhouette in jedem seiner Filme. Das Besondere an Kalle sind seine Hilfsbereitschaft und sein angeborenes Verantwortungsgefühl, gepaart mit der äußerst bärbeißigen Berliner Hausmeistermentalität. Der Büchertisch wäre nicht der Büchertisch, bediente der Blaumannträger nicht den Handhubwagen für die prallvollen Bücherkisten mit der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit. Der wuchtige Mann mit dem Kinderherzen hat in dem Non-Profit-Unternehmen ein neues Zuhause gefunden, und auch er mischt sich längst ein, wenn der Kreuzberger Dichterfürst Nepomuk Ullmann einmal im Monat in die Kreuzberger Literaturwerkstatt im Hinterhof des Mehringdammes Nummer 51 einlädt, und die Kundschaft die Texte von mehr oder weniger begabten Nachwuchsautoren diskutiert. Es sind die verschiedenen Menschen, deren Wege sich hier kreuzen, die aus dem Büchertisch etwas Besonderes machen. Menschen, die hier arbeiten und Bücher verkaufen, und Menschen, die auf der Suche nach Büchern sind. Der Büchertisch ist mehr als ein Buchladen, er ist ein Ort der Begegnung. Es gibt jedoch noch etwas, das den Büchertisch von anderen Antiquariaten unterscheidet: Dass nämlich sämtliche Bücher des Bestandes aus Spenden requiriert wurden, die nicht nur verkauft, sondern auch weiterverschenkt werden – an Schulen, Kitas, soziale Einrichtungen, und hin und wieder auch an jene, die zufällig einmal hereinschauen in den Hinterhof Nummer 51. Und wer immer den Kopf kurz einmal in das Büro hineinsteckt, dem prägt sich der Eindruck eines brodelnden Ideenkochtopfs ein. In diesem Kochtopf entstand kürzlich auch die Idee zu einem Buch mit dem Titel »Kreuzberg kocht«, dem zweiten Projekt einer eigenen Editionsreihe des Büchertisches. Darin sollen engagierte Kreuzberger beim Zubereiten ihrer Lieblingsrezepte vorgestellt werden. Und womöglich finden dann ja auch die alles entscheidenden Büchertischsuppen Eingang in das Kochbuch. • |