Kreuzberger Chronik
Mai 2010 - Ausgabe 117

Geschichten & Geschichte

Die Biergärten vom Kreuzberg


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von Werner von Westhafen

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Es ist lange her. Doch einst war der Kreuzberg ein Ort zum Feiern, Tausende kamen an den Wochenenden. Heute sind die Gärten unter den Kastanien alle geschlossen.

Als sich die dreckigen Eiszungen wieder Richtung Norden zurückgezogen hatten, herrschte eine unendliche Ruhe am Rand der Urstromtäler. Viele Jahrtausende später vernahm man auf den kleinen Hügeln, die am Rand des Eiswasserflusses aufgeworfen wurden, das leise Quietschen von Windmühlenflügeln. Häuser standen nur vereinzelt zwischen den Weinbergen und Feldern am Tempelhofer Berg. Doch mit Leonard Hopf wurde es laut.

Er kaufte im Frühjahr des Jahres 1838 vier Morgen Land auf dem Windmühlenhügel, um eine Brauerei mit Biergarten zu errichten. Anfangs bestand das Unternehmen aus Bretterschuppen und Holzbänken, doch schon im folgenden Jahr kaufte er eine der benachbarten Windmühlen dazu und eröffnete darin eine Schenke. Am Ende des Jahres hatte er 4.000 Hektoliter »bayrisches Bier« ausgeschenkt.
Hopfs Brauerei war der Beginn einer trinkfreudigen Ära. Glaubt man dem ortskundigen Dichter Willibald Alexis, war das »Berg- und Bierhaus immer voll«. Als sich der Feuilletonist Robert Springer in den Fünfzigerjahren daran machte, ein Buch über den Wandel Berlins zur »Weltstadt« zu verfassen, widmete er Hopfs Flaschenbier mit dem Ziegenbock-Siegel ein ganzes Kapitel und schrieb: »Das Bockbier ist das Symbol der Frühlingsfreude und zugleich der Opfertrank der Lust. Noch ehe die Hexen ihre Walpurgis auf dem Blocksberg feiern, beginnt der Berliner seine Walpurgis auf dem Bockberg«.
Die Brauerei war eine Attraktion für »Kind und Kegel, Kammerkätzchen und Küchenfeen, Studenten und Soldaten bis hin zum Feldwebel«. August Bebel soll dort ebenso vor seinem Bier gesessen haben wie Otto von Bismarck. Die Biertrinker, so stand es im Morgenblatt für gebildete Leser, seien »nicht wieder aus dem Hause fortzubringen«, nicht selten fände man sie am nächsten Morgen schlafend in den Straßengräben der ländlichen Idylle rings um die Tempelhofer Berge.
Schon bald besiedelten mehrere Brauereien den Sandhügel, in der kleinen Parkstraße gab es die Viktoriaterrassen, an der Bergmannstraße die Habelsche Trinkhalle, an der Hasenheide die Brauerei Happoldt. Allein der Bierpalast der alten Tivolibrauerei, benannt nach dem Vergnügungspark gleich nebenan, bot 1700 Biertrinkern Sitzplätze. Heute erinnert nichts mehr an die Zeit der großen Feste auf dem Brauereigelände unterhalb des Denkmals. Wo einst großzügige Säle alle Welt zum Feiern einluden, sind Eigentumswohnungen in abgeriegelten Wohnblöcken entstanden. Beschämend wirken die zierlichen Klinkerbauten, verspielte Zeugen des einstigen Aufschwungs, zwischen den gigantischen Wohnblöcken nüchtern kalkulierender Immobilienhändler. Der Blick auf die Vergangenheit ist von fünfstöckigen Betonklöt
Hopfs Biergarten am Kreuzberg Foto: Postkarte
zen verstellt, die Architektur der Gründerzeit zubetoniert.

Übrig geblieben zwischen den Neubauten ist auch die »Sixtusvilla«. Wie eine trotzige Burg steht sie am Rand des einstigen Brauereigeländes. Regierungs-Baumeister Carl Teichen, der auch das Schultheiss-Ensemble an der Kastanienallee errichtete, das unter dem Namen Kulturbrauerei heute in jedem Reiseführer steht, hatte sie 1901 entworfen. In gewagtem, »architektonischem Freistil« setzte er neben den großen Turm am östlichen Ende des Burgleins mit seinen vielen Winkeln und Zinnen ein kleines Pendant im Westen. Einsam blickt ein gigantisch breites Korbbogenfenster aus der Nordwand, hartnäckig widerstand Teichen den verführerischen Gesetzen der Symmetrie.
Zwar wurde das Schlösschen als Wohnsitz für den Herrn Direktor konzipiert, doch - aufgrund der großen Beliebtheit der Biergärten – zunächst als Ausschank genutzt. Der Schultheiss am Kreuzberg mit seinem dahinter gelegenen Biergarten unter den Kastanien war eines der beliebtesten Ausflugsziele am Hügel. Erst der Krieg bereitete dem bunten Treiben dann ein Ende. Zwar blieb ein Großteil des Brauereigeländes von den Bomben verschont, doch die Villa war stark beschädigt. Auch das Bier war in Ermangelung der Gerste dünn geworden. Dennoch pachtete Max Nowak 1948 das zerstörte Schlösschen, ließ den Schutt auf der Decke über den Schankräumen entfernen, pflanzte Efeu vor die brandgeschwärzten Mauern und begann, in der provisorisch eingerichteten »Theise-Gaststätte« auszuschenken. Als 1949 die Blockade aufgehoben wurde und wieder »Bier in Friedensqualität« gezapft werden konnte, zog neues Leben in die Ruinen ein.
Doch dann wurde Hans Sixtus Direktor der Brauerei. Der Kaufmann aus Mecklenburg hatte bereits 1933 bei dem regimetreuen Unternehmen angefangen, sich bis zum Direktor hochgearbeitet, um, nach aufwendiger Renovierung auf Firmenkosten, 1953 den ihm standesgemäß erscheinenden Wohnsitz zu beziehen.
Unter seiner Regie steigerte die Firma ihren Umsatz gewaltig, Schultheiss fusionierte und expandierte, renovierte und modernisierte, riss zum Unwillen des Landeskonservators das historische Sudhaus und das Beamtenhaus ein.
Bier gibt es nun keines mehr auf dem alten Berg der Brauereien. Inzwischen hat die Baywobau das gesamte Gelände gekauft. Der schattige Biergarten mit seinen hohen Bäumen ist nun eingezäunter Privatbesitz. Keine Bank, kein Tisch, kein Bier, kein Mensch erinnert mehr an jene Feste, die einst hier gefeiert wurden. Im Garten ist es wieder still geworden. Fast so still wie vor 18.000 Jahren. •


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