Mai 2010 - Ausgabe 117
Reportagen, Gespräche, Interviews
Neues vom Viktoria Quartier, Folge 8 von Michael Unfried |
Im Frühjahr 2009 sollte auf dem Gelände der historischen Brauerei mit dem Bau eines modernen Wellnesszentrums begonnen werden. Entstanden sind Eigentumswohnungen Vor wenigen Monaten trat eine Managerin von MeridianSpa vor eine Fernsehkamera. In der Sendung ging es um Wellness, Beauty und Entspannung. Die blonde Moderatorin plauderte mit der blonden Managerin unverfänglich über den Standort von Deutschlands modernstem Wellnesstempel in den Spandauer Arkaden, »hoch über den Dächern von Berlin«. Auf die Frage, warum Berlin eigentlich so attraktiv für das Hamburger Unternehmen sei, antwortete sie: »Ich würde mal sagen, dass Berlin für jede große Firma eigentlich ein interessanter Standort ist, weil hier das Leben tobt«. Nur einmal musste die Managerin der Journalistin ausweichen, die gefragt hatte, ob nicht »vielleicht noch ein weiterer Standort neben den Spandauer Arkaden in Berlin geplant« sei. Womöglich hatte die Moderatorin die Broschüre der Baywobau in den Händen gehabt, in der MeridianSpa ein gigantisches Fitnesscenter im 8.000 Quadratmeter großen Hauptgebäude der alten Schultheiss-Brauerei angekündigt hatte. » Wir arbeiten ganz fleißig darauf hin – aber wir wollen mal sehen, wie sich die wirtschaftliche Lage entwickelt«, antwortete die Managerin. Konkretes war nicht zu hören. Kein Wort von Kreuzberg, kein Gedanke mehr an das große Tivoligebäude. Stattdessen: »Wir sind in Spandau erst mal sehr glücklich«. Dass es mit den 250 Gymnastiksälen im denkmalgeschützten Gebäude nichts werden könnte, hatte die Kreuzberger Chronik bereits vor zwei Jahren vermutet. Die Vermutung, dass eine Baugenehmigung für die Eigentumswohnungen in Kastenbauweise an eine Konzeptvorlage für die Nutzung und damit die Erhaltung des denkmalgeschützten Tivoligebäudes gekoppelt sei, bestätigte sich nicht. Andererseits sind die bayerischen Häuserbauer dazu verpflichtet, Nutzungskonzepte für die Altbauten vorzulegen, um sie vor dem Verfall zu retten. Schöne Konzepte hat die Baywobau auch immer wieder vorgelegt. Realisiert wurden sie allerdings nie. Foto: Dieter Peters
Foto: Dieter Peters
Die neuen Kreuzberger mit ihren Plastiktüten sehen aus wie die alten. Auch die Klingelschilder künden von einer bunten Mischung und internationaler Besetzung. Doch der Eindruck täuscht. Die Klientel der Baywobau hat mit den Studenten und Künstlern aus aller Welt, die sich in den Siebzigern im billigen Mauerbezirk einfanden, nichts mehr zu tun. Wer hier wohnt, hat Geld mitgebracht, oder er ist gekommen, um Geld zu machen. »Es gibt viele Russen hier«, sagt einer dieser Neukreuzberger, »das ist sehr angenehm. Meine Frau kommt auch aus Russland, und da hat sie gleich Gesellschaft.« Dann überlegt der junge Mann einen Moment und fügt hinzu: »Es gibt aber noch viele andere Nationalitäten, sogar Deutsche wohnen hier.« Dann überlegt er noch einmal – und lächelt etwas verschämt. Er scheint zu ahnen, dass nicht alles so ganz in Ordnung ist im Ghetto der Besserverdienenden. Zwar ist die Bausubstanz noch gut erhalten, das Viktoria Quartier ist zum Ausflugsziel geworden, sonntags wandeln Pärchen Hand in Hand auf der Suche nach einem Nest zur Familiengründung über die Baustelle. Doch es gibt skeptische Gesichter, Gesichter wie das der jungen Frau, die an der Seite des zukünftigen Vaters den winzigen Spielplatz im Schatten der hohen Hauswand mustert. Kinder spielen dort keine. Der zukünftige Familienvater schielt dessen ungeachtet nach dem Hinweisschild »Zur Musterwohnung«, das in einer der Fensterwaben zu sehen ist. »Es sollen noch Wohnungen frei sein«, sagt ein älterer Herr, der gerade aus dem Treppenhaus kommt. Doch auch, wenn es nichts mehr geben sollte: »Die Bauarbeiten gehen schnell voran«. Zur großen Freude der neuen Mieter, die natürlich nicht ewig auf einer Baustelle wohnen wollen. Denn gebaut wird unter Flutlicht, Tag und Nacht, schon im Dezember waren die Mieter zum Richtfest des Westtraktes eingeladen. Im Sommer soll auch dort alles bezugsfertig sein. Und dann geht es um die Ecke. Dort wird noch einmal eine lange Zementfront, vom Spielplatz fast bis zum Denkmal, das Gelände zum Viktoriapark abgrenzen. Dann ist die Hufeisenburg vom Viktoria Quartier endlich uneinnehmbar. Dann werden die Mieter auf der anderen Seite des Hufeisens, die heute noch von ihrem vierten Stock über den Park und die halbe Stadt blicken können, auf eine Häuserwand blicken – statt auf den Park. Denn auch dieser Trakt wird, so zeigen es die Baupläne, noch einmal fünf Stockwerke hoch sein. Und damit fast so hoch wie das Denkmal, dessen Sockel 1878 noch einmal um 8 Meter angehoben wurde, weil die »Stadtväter befürchteten, dass die Anmutung des Denkmals schon bald durch fortschreitende Bebauung des Berges verloren gehen könnte.« Doch die neuen Bauherren interessiert das Denkmal wenig. Auch der nahe gelegene Spielplatz im Viktoriapark interessiert sie eigentlich nicht. Obwohl dessen Neugestaltung den Bayern zu Gute kommt. Die zukünftigen Familienmütter werden ihn wohlwollend zur Kenntnis nehmen, zumal auf dem Gelände des Viktoria Quartiers kaum Grün für den Nachwuchs vorhanden ist. Auch passt die Umgestaltung durch die Firma La.bar, die bislang eher Grünflächen für staatliche Großprojekte entwarf und sich nicht als Gestalter von Kinderspielplätzen, sondern »vielmehr als einen moderierenden, Ideen und Anstoß gebenden Partner im komplexer werdenden Planungsprozess« sieht, gut ins Gesamtkonzept des Viktoria Quartiers. So sind in den Büschen die letzten »Geheimgänge« der Kinder nun endgültig verschwunden, die meterhoch wuchernden Hecken wurden wenig sensibel auf Hüfthöhe amputiert. Vom Golgatha mit seinen kleinen Mirabellenbäumen führt ein neu gepflasterter Weg So sind in den Büschen die letzten »Geheimgänge« der Kinder nun endgültig verschwunden, die meterhoch wuchernden Hecken wurden wenig sensibel auf Hüfthöhe amputiert. Vom Golgatha mit seinen kleinen Mirabellenbäumen führt ein neu gepflasterter Weg zum Spielplatz «zur unmittelbaren Limonaden-Versorgung«, wie die Landschaftsplaner schreiben. Das beliebte Klettergerüst allerdings ist ebenso verschwunden wie die lange Seilbahn, auf der auch junge Mütter noch vor Freude kreischen konnten, wenn sie mit ihren Kindern bergab sausten. Sie ist einer kläglichen Kurzstrecke gewichen, damit oben das Blumenbeet »mit Tulpen und Röschen für die Mütter aus Westdeutschland aufgepeppt« werden kann, wie eine Altkreuzbergerin die Neugestaltung kommentiert. So nimmt das Leben im Neubauviertel zwischen den Altbauten allmählich Gestalt an. Eine Gestalt, mit der die Mieter zufrieden sind. Auch der Briefträger ist glücklich: Das Leben ist bequem im neuen Wohnquartier, es gibt keine Hinterhöfe mehr, überall leicht zugängliche Briefkästen, Fahrstühle für die Einschreiben, auch wenn es nur ein zweiter Stock ist. Kein lebensbedrohender Autoverkehr, nicht einmal Fußgänger kreuzen seinen Weg. Denn vormittags ist es im neuen Viertel wie ausgestorben. Hier haben alle noch Arbeit, hier herrscht Ruhe und Frieden, Cafés und Kneipen gibt es nicht. Die Kinder der Stadtvillen am Tivoliplatz können ihre Bagger und ihr Buddelzeug noch vor der Haustür liegen lassen. Auch die ledernen Fußbälle, die jedes Türkenkinderherz zwei Häuserblöcke weiter höher schlagen lassen würden. Doch von den alten Kreuzbergern wissen die Neuen nichts. Sie kommen aus Frankreich, Spanien, München oder Hamburg. Sie wissen nichts über die Schulen und Kindergärten, in denen so viel Türkisch wie Deutsch gesprochen wird. Ihre Kinder gehen auf andere Schulen, und an den Kottbusser Damm verirren sie sich nur, weil der Markt am Maybachufer im Reiseführer steht. Sie gehen nicht zum Baden ins Prinzenbad, sondern fahren zum Wochenende in die neuen Badetempel auf dem Land. Und an die Seen, die nun auch alle privatisiert werden. Und dann ist da ja noch das quartiereigene Spa-Center. Herr Sanchez hat gehört, dass es nächstes Jahr eröffnet werden soll. Allerdings nicht so groß wie geplant, sondern nur in einem Nebengebäude. »Aber immerhin.« Herr Sanchez wäre schon zufrieden damit. Der junge Mann ist überhaupt sehr zufrieden mit seiner Wohnung und dem Blick auf den Park, und mit der abendlichen Sonne auf dem Westbalkon. Nur arbeiten muss er viel. Herr Sanchez kommt aus Mallorca und ist in der Hotelbranche tätig. Erst im Oktober ist er mit seiner Frau in die neue Wohnung am Viktoriapark eingezogen, »uns gefällt es sehr gut hier. Es ist so still«, sagt er und denkt zurück an den Ballermann. Dann stört ein Presslufthammer die Konversation. Außerdem muss er auch »längst los. Zur Arbeit«. • |