März 2010 - Ausgabe 115
Kreuzberger
Julia Böhm Ich war immer das Mädchen in Rosa
von Hans W. Korfmann
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Julia Böhm weiß, was sie will. Sie verirrt sich nicht so schnell. Nicht im Großstadtdschungel, nicht in Prenzlauer Berg, nicht in Kreuzberg. Die Laufrichtung ist vorgegeben, Abweichungen vom Kurs sind selten. Schon in dem Kaufhaus in Lauenburg, in dem die Schülerin ihr Taschengeld aufbesserte, arbeitete sie sich von der Spielzeugecke zur Süßwarentheke vor, und von den Tabakwaren bis zur Elektroabteilung. Obwohl die Elektrik nicht ihr Metier war, kannte sie sich in kürzester Zeit »super aus«. Am Ende sagte die Geschäftsführerin: »Lass mal die Julia an die Kasse, die macht das schon!« Gleich mehrmals bot man ihr an, für immer zu bleiben. Doch Julia schüttelte nur den Kopf und sagte: »Ich will doch Frisöse werden.« Julia weicht nicht gern vom Weg ab. Auch ein Zurück gibt es nur selten. Der Maskenbildner vom Stadttheater in Gießen hat keine Chance, so oft er auch bei seiner ehemaligen Schülerin anruft, und so verlockend das Angebot einer festen Anstellung in diesen Zeiten auch sein mag. »Ich habe doch nicht 12.000 Euro in eine Schulung für »Special Effects« investiert, um als Maskenbildnerin wieder zurück nach Gießen ans Theater zu gehen.« Julia geht vorwärts. Selbstbewusst suchte sie sich eine kleine Wohnung in Hamburg, lernte bei Marlies Möller, einer Koryphäe unter den Frisören, wie man die Wasserwelle legt. Um Geld bat sie die Eltern kaum, sie war es gewohnt, neben der Ausbildung zu arbeiten, stand an der Tankstelle, an der Eisdiele, hinter dem Tresen. Als das Geld trotzdem einmal nicht reichte, fragte sie auf der Stadtsparkasse in Düsseldorf an. Die Dame hinter dem Schalter war sofort überzeugt von der jungen Frau, die an der Oper am Rhein arbeitete und an ihren freien Tagen in einem Kosmetikgeschäft Lippenstifte und Eyeliner verkauft. Die gar nicht auf die Idee kam, die Eltern nach Geld zu fragen, sondern einfach an den Schalter kam und sagte, sie wolle jetzt diese Ausbildung in Berlin machen, und sie brauche jemanden, der ihr das finanziere. Die Bittstellerin hatte keine Sicherheiten, aber die Bankkauffrau sah ein, dass eine Investition in Julias Zukunft kein Risiko bergen würde, und gewährte ihr das Darlehen mit den Worten: »Wir Banken müssen ja auch mal was Gutes tun!« Julia ist zuverlässig. Sie bleibt nicht gern etwas schuldig. Sie ist pflichtbewusst, ordentlich, pünktlich. Sie kommt nicht zu spät zur Arbeit und nicht zu spät zur Schule. Nicht mit 17 und nicht mit 27, nicht in Kreuzberg und nicht in Prenzlauer Berg oder Reinickendorf, wo sie die Ausbildung für »Special Effects« gemacht hat. »Ich habe nie gefehlt, weil die Partys zu lang dauerten«, sagt sie und ist ein bisschen stolz darauf. »Ich kam nur zu spät, wenn ich in der Nacht zu lange über meiner Steuererklärung gesessen habe!« So hat sie auch von Berlin »noch gar nicht viel gesehen«. Den Weg von ihrer Wohnung an der »Schönhauser« zur Schule in Reinickendorf, den kennt sie gut. Und den Kiosk an der Bornholmer Straße, wo sie und Nurgül sich die Zigaretten holten. Prenzlauer Berg war spannend, der Großstadtdschungel, die Weite des Mauerparks, das Gewusel in Läden und Kneipen. Aber all das war kein Grund gewesen für sie, ins Szeneviertel zu ziehen. Der Grund war die Nähe zur Schule. Das Viertel hätte etwas ruhiger sein können, sie litt unter Müdigkeit, Die Maskenbildnerin mit Maske Foto: Privat
Natürlich war es kein Zufall, keine leichtfertige Laune, dass Julia nach Kreuzberg kam. Kreuzberg passte in den Plan. Obwohl Kreuzberg ihr schon sympathisch war. Als sie Nurgül fragte, wo sie ein bisschen bummeln gehen könne, sagte die: »Geh doch mal in die Bergmannstraße.« Die gefiel ihr. Die Boutiquen, Restaurants, die vielen jungen Leute. Entscheidend für ihren Entschluss aber war die Annonce, die sie gelesen hatte: »43jähriger Mann aus der Medienbranche sucht Mitbewohner für den Seitenflügel in großer Wohnung im Bergmannkiez - oder so ähnlich!« Schon im Treppenhaus, in dem ihr der junge Mann aus der Medienbranche mit dem Mülleimer entgegenkam, fragte er, ob es ihr etwas ausmache, dass er schwul sei. Das war der jungen Blonden nur angenehm. Julia ist gerne ein bisschen für sich. Aber so ganz allein ist sie nun doch nicht in der Friesenstraße. Als sie zwei Wochen unterwegs gewesen war, bemerkte die Maskenbildnerin, die sich selbst während eines einmonatigen Arbeitsaufenthaltes in einem Hotel in Rom das Eindringen jedes Zimmermädchens in ihre Privatsphäre strikt verbat, dass jemand mit dem Staubwedel in ihrem Reich gewesen war. »Das ist aber ganz schön sauber für zwei Wochen Abwesenheit«, grinste sie, und ihr neuer Hausherr schmunzelte schweigend zurück. Der Mann aus der Medienbranche schien väterliche Gefühle zu entwickeln. Er erklärte ihr, dass sie Druck machen müsse bei ihrem Chef, dass sie Milch in Glasflaschen kaufen solle statt in Tetrapacks, dass das Brot von Mehlwurm in der Markthalle am besten schmeckt. »Und das Schlimme ist: Der Mann hat immer Recht«. Das »Hamburger Nordlicht« ist ihr sympathisch, jeder scheint ihn zu kennen, an jeder Ecke muss er stehen bleiben und plaudern. Der Chamissokiez ist familiärer als Prenzlauer Berg, und auch »nicht so reizüberflutet«. Ein Jahr ist es her, dass sie umgezogen ist. Doch sie war noch nie im Heidelberger Krug, nie zum Rodeln auf dem Kreuzberg, nie zum Fußball im Golgatha. Das Leben im 21. Jahrhundert ist kein Kinderspiel. Jeden Morgen fährt sie nach Babelsberg, um Perücken zu knüpfen für eine neue Filmproduktion. Es scheint um Shakespeare zu gehen, genaues weiß niemand. Einige Wochen zuvor kümmerte sie sich mit ihren Kolleginnen, die beide auch Julia heißen, um Soul Bridges und Tom Peters, zwei Piloten, die über Tempelhof bruchlanden. Die drei Julias von der Maske haben für den Cut auf der Nase und die aufgerissene Lippe des Copiloten gesorgt. Die fertige Szene haben sie noch nie gesehen, aber im Oktober könnte es so weit sein. Am Tag der Deutschen Einheit soll der Film über die Luftbrücke gesendet werden, dann wird sie mit ihren Freundinnen vor dem Fernseher sitzen und eine Party feiern. So geht alles seinen Gang, läuft wie am rosaroten Schnürchen. Als liege dem Leben ein Drehbuch zugrunde. Doch auch bei Julia Böhm gibt es noch Zufälle. So wie damals, als sie nach dem Schulunterricht zu der Mutter eines Freundes ging, um im Frisörsalon auszuhelfen. Anfangs putzte sie, kochte Kaffee, dann wusch sie Haare. Am Ende fragte die Frisöse, ob Julia nicht bei ihr bleiben wolle. Sie überlegte. Sie hatte immer »was mit Schönheit« machen wollen. Schon als kleines Mädchen drehte sie sich in den Kleidern der Mutter vor dem Spiegel. Doch Julia entschied sich gegen den kleinen Frisörsalon. Er war zu weit weg von jener großen, weiten Welt, vor der sie gerade stand. Sie ging nach Hamburg, Gießen, Düsseldorf. Jetzt ist sie in Berlin, stattet Schauspieler mit Wunden aus, näht Perücken, schminkt und stylt. Daran hatte sie nicht gedacht, als sie der Chefin im Kaufhaus sagte: »Ich will doch Frisöse werden!« So ist doch vieles anders gekommen als geplant. Das Gießener Stadttheater, die Oper am Rhein, Prenzlauer Berg, Kreuzberg.... lauter unvorhergesehene Zwischenstationen. Stationen, die schon weit hinter ihr liegen. Aber an die sie gern zurückdenkt. Und die sie doch kaum verändert haben. Kürzlich zeigte sie ihren Freundinnen ein Gruppenfoto aus der ersten Klasse, da war sie »der einzige Farbfleck im ganzen grauen Tierpark, von Kopf bis Fuß in rosa. Ich war immer nur das Mädchen in rosa«. Julia 1 und Julia 2 riefen wie aus einem Mund: »Aber das bist du doch immer noch!« – »Quatsch!«, entgegnete Julia 3, »Ich trage doch schon seit ewigen Zeiten kein Rosa mehr!« – »Aber du quietschst jedes Mal, wenn du rosa siehst!« • |