März 2010 - Ausgabe 115
Geschichten & Geschichte
Eine ägyptische Familie von Werner von Westhafen |
Sie waren echte Kreuzberger. Die Stationen ihres Lebens: Baruther Straße, Bergmannstraße, Nostitzstraße, Mehringdamm, Willibald-Alexis-Straße August Sabac el Cher trug man 1885 auf dem Friedhof an der Baruther Straße in Kreuzberg zu Grabe - dort, wo die junge Familie einst ihre erste Wohnung bezogen hatte. Anna war 42 Jahre alt und gab fortan alle Liebe ihren beiden Kindern: Elise und Gustav. Elise blieb ein Leben lang bei ihr. Zwar verliebte sich die Tochter früh in einen jungen Schauspieler, doch dieser verließ sie, um in Amerika sein Glück zu versuchen. Allerdings hinterließ er seiner Freundin ein kleines Andenken: Wenige Wochen nach der Trennung brachte Elise in der Bergmanstraße Nr. 10 ein Mädchen zur Welt. Mit der kleinen Gertrud war die Zeit der Sorglosigkeit vorüber, die beiden Frauen mussten das Kind mit Näharbeiten durchbringen, und weil sie sich die Miete in der Bergmannstraße nicht leisten konnten, zogen sie ein Stück weiter in eine kleinere Wohnung: in die Nostitzstraße Nr 25. Elises Bruder dagegen hatte die elterliche Wohnung schon früh verlassen. Gustav hatte einen Traum: Er wollte Musiker werden. Schon mit acht Jahren hatte er Geige gespielt, als Vierzehnjähriger eine Musikschule besucht, mit Siebzehn verließ er Berlin, um im »Brandenburger Füsilierregiment Nr. 35« nicht nur als Soldat, sondern auch als Musiker Dienst zu tun. Es scheint, als hätte sich Gustav die Sache genau überlegt. Er wusste, dass die Chancen für schwarze Musiker nicht schlecht standen. Man sagte ihnen eine besondere musikalische Veranlagung nach, weshalb sie schon im 18. Jahrhundert nicht nur als exotische Zierde, sondern auch als gute Musiker der Militärkapellen geschätzt wurden. Nach einer dreijährigen Militärzeit, die zu Bedingungen der Aufnahme an der Königlichen Hochschule für Musik gehörte, widmete sich Gustav in der Charlottenburger Eliteschule dem Studium von Geige und Posaune. Der Preis war hoch: Die Schüler mussten für jedes Jahr, das sie an der Schule verbrachten, zwei weitere Jahre Militärdienst absolvieren. Gustav mit Pickelhaube und preußischem Bart
Er hatte bereits eine Stellung als Dirigent in Königsberg angetreten und machte als Kapellmeister eine gute Figur. Immer wieder berichteten die Zeitungen über »den einzigen schwarzen Kapellmeister, den die deutsche Armee besitzt«, und die Illustrirte Zeitung schrieb von »einem sehr hübschen Mann«, der das »Interesse des Publikums in besonderem Maße fesselte«. Der schwarze Dirigent wurde zum Star und zum Frauenhelden, in der Nostitzstraße erzählte man noch viele Jahre lang von einem Ball, auf dem er seinen Taktstock an einen der Musiker weitergereicht hatte, nur um einer Dame die Aufwartung zu machen, die an der Seite eines ungeschickten Tänzers unsägliche Qualen zu erleiden hatte. Der Dirigent habe den gesamten Saal durchschritten und höflich darum gebeten, den Part des Herrn übernehmen zu dürfen. Im Oktober 1901 heiratet der attraktive Tänzer jedoch eine andere: Gertrud Perling. Drei Kinder werden geboren, zwei ebenfalls Musiker. Gustav ist ein vorzüglicher Deutscher geworden, Bilder zeigen ihn mit Pickelhaube, Schnauzer und Ehrenabzeichen. Nach 24 Jahren verlässt er die Laufbahn des Militärmusikers, geht zurück nach Berlin und zieht mit seiner Familie in die Jahnstraße. Anna und Elise wohnen jetzt in der Belle Alliance Straße Nr. 65, und Gertrud, die uneheliche Tochter von Elise, bringt 1912 Editha zur Welt. Editha wird später Schauspielerin. Insgesamt 18 Nachfahren hat der kleine Junge aus Ägypten hinterlassen, die meisten von ihnen bleiben ein Leben lang in Kreuzberg. Gustav und seine Familie allerdings zogen es vor, die von den Nationalsozialisten besetzte Stadt in den 30er-Jahren zu verlassen. Sie zogen in ein Haus am Krimnicksee und eröffneten das »Café Sabac el Cher«. Es gab Theateraufführungen und Konzerte, man war optimistisch, und wenn der berühmte Kapellmeister zum Tanztee aufspielte, waren alle Tische besetzt. Doch irgendwann sprach man auch in den Vororten Berlins vom »Negerlokal«, und obwohl das Café am See zum Treffpunkt des »Stahlhelms« geworden war, obwohl Gustav und Gertrud mit der neuen politischen Bewegung sympathisierten, blieben die Gäste eines Tages aus, wurde das Lokal geschlossen. Und obwohl die Kränze auf Gustavs Grab schon Binden mit dem Hakenkreuz trugen, hatte sich die Familie vorsichtshalber in ein unauffälligeres Privatleben zurückgezogen. Anna, die Stammesmutter und die Frau jenes Jungen, den Prinz Albrecht einst aus Ägypten mitbrachte, wurde sehr alt. Sie starb erst 1930 und hatte Kreuzberg immer die Treue gehalten. Zuletzt war sie von der Belle Alliance Straße Nr. 65 in die Willibald-Alexis-Straße Nr. 27 gezogen. Gertruds Tochter Editha, sah man in den wilden 60er-Jahren in einer Fernsehrolle neben der Schauspielerin Ruth Maria Kubitschek. Inzwischen hatte sich auch die letzte Spur Afrikas aus den Gesichtern der Familie verloren, nichts deutete mehr darauf hin, dass Edithas Urgroßvater einmal ein schwarzer, nubischer Junge war. • |