März 2010 - Ausgabe 115
Herr D.
Herr D. und die Märzrevolution von Hans W. Korfmann |
Der Herr D. hasste Werbeplakate. Doch manchmal amüsierten sie ihn. Kürzlich las er: »Für alle, die von Bread & Butter allein nicht satt werden hat: Curry 36!« Der Seitenhieb auf jene, die gegen die Modemesse waren und lieber Currywurst aßen als auf ihre Linie achteten, hätte vom schwulen Bürgermeister persönlich kommen können. Auch der verstand zu quasseln, sprach deutliche Worte und verzichtete auf die verwaschenen Werbe sprüche der Biokosmetikläden, Bio-Boutiquen und Bionadestände. Gerade wollte er in die Wurst beißen, da fiel sein Blick auf ein Manuskript, das auf einem Barhocker lag. Neugierig, wie der alte Aktenwurm war, begann er zu blättern und sah, dass es sich um Reden zur Märzrevolution von 1848 handelte. Verschiedene Autoren referierten über die historischen Ereignisse, ihre grundlegende Bedeutung für die Demokratie in Deutschland und die »Aktion 18. März«, die den Tag der Revolution zum Nationalfeiertag ausrufen wollte. Die Wurst war längst verschlungen, da las der Herr D. noch immer. Er schmunzelte über Volker Schröder, die treibende Kraft der Aktion, einen unermüdlichen Kämpfer, dem sich, wie eine Zeitung schrieb, »Deutschland eines Tages wird beugen müssen.« Die taz vermutete, dass dem pensionierten Marathonläufer die Puste nicht eher ausgehen würde, bevor er sein Ziel erreicht hätte, und empfahl den Gegnern, lieber gleich die Waffen zu strecken. Nicht ohne Bewunderung las der Herr D. von den Aktionen dieses einsamen Kämpfers, dass er es geschafft hatte, dass der Platz vor dem Brandenburger Tor nun »Platz des 18. März« hieß, und dass er Mitstreiter aus allen politischen Lagern für sich gewonnen hatte, von den ganz Linken bis hin zur CDU. Da spürte der Herr D. eine Hand auf seiner Schulter. »Ich möchte Sie ja nicht in Ihrer spannenden Lektüre unterbrechen. Aber das muss jetzt schleunigst in die Druckerei!« Der Herr D. kannte diesen Mann. Im Sommer saß er am Chamissoplatz und verkaufte Spülbürsten, Schuhbürsten, Kleiderbürsten und Analbürsten. Auch im Fitnessraum von Berlins ältestem Turnverein, gegründet im Revolutionsjahr 1848, hatte er ihn gesehen. Sogar im Supermarkt war er ihm begegnet. Als die Verkäuferin »Macht Achtzehnachtundvierzig« sagte, lächelte er und erwiderte: »Wenn das kein Schicksal ist!« Nie hätte der Herr D. gedacht, dass dieser nette Rentner so eine Kämpfernatur besaß. »Darf ich Sie zu unserer Gedenkveranstaltung vor dem Brandenburger Tor einladen?«, fragte der unermüdliche Agitator und zog ein Faltblatt aus der Tasche. »Ich möchte nämlich, dass sich am 18. März mal so viele Menschen vor dem Brandenburger Tor versammeln wie zu Silvester.« Der Herr D. nickte. »Und wenn Sie weiterlesen möchten: Das Buch kommt nächste Woche in den Laden!« – »Kostet?«, fragte der Herr D. »Na, Achtzehnachtundvierzig natürlich!« • |