März 2010 - Ausgabe 115
Geschäfte
Metamorphosen eines Zementblocks von Saskia Vogel |
Am Anfang wollte es niemand haben. Doch wenn es im Bauch zwickt, kommen sie alle: ins Ärztehaus Letzter Teil unserer Serie vom Geschäft mit der Gesundheit Als im Frühjahr 2006 der Streit um das Gesundheitszentrum mit seinen großen Supermärkten seinen Höhepunkt erreichte, tat auch Indra auf den Bürgerversammlungen ihren Unwillen kund. Sie hatte Bedenken wegen des Zulieferverkehrs. Heute bringt die sie ihr Töchterchen in die Logopädie im Haus 3. Sie sagt: »Die Kreuzberger haben den Klotz geschluckt«. Das gemütliche Wartezimmer der Logopädie-Praxis ist allerdings eher die Ausnahme in dem kühlen Neubau. Auf dem ehemaligen Brauereigelände mit seinen einst stattlichen Kastanien im Hof sind nur noch das denkmalgeschützte Umspannwerk und ein Altbau geblieben, auf den Betonbalkonen legen blonde Arzthelferinnen Zigarettenpausen ein. Doch vom gewaltigen Betonklotz redet heute keiner mehr. Die Kritik am Großen Ganzen ist dem Mäkeln an Details gewichen. Foto: Michael Hughes
Indra kritisiert jetzt die Rolltreppe, mit der die Patienten von der Straße aus den Innenhof des Ärztehauses erreichen. Er sei »eine Fehlkonstruktion«, für Kinderwagen »zu eng und für gebrechliche Senioren zu schnell«. Die Fahrstühle im Hause hingegen seien »lahme Enten«, die sich nur selten blicken ließen. Die vielen Gesundheitseinrichtungen auf 10.000 Quadratmetern seien natürlich »praktisch«, aber ein Parkhaus im Keller hätte man hier nicht wirklich gebraucht. Sabine Roth ist anderer Meinung. Zwar findet auch die Ballettlehrerin Worte der Kritik, aber die Galerien empfindet sie als »schön luftig«, und das Parkhaus mit 100 Stellplätzen als »wunderbar«. Der Vermieter verlegte ihr auf 150 Quadratmetern »in hervorragender Kooperation« einen Schwingboden aus Echtholz, ihre 200 Schülerinnen Foto: Michael Hughes
Sie freut sich auf den Frühling, wenn sie mit ihren Ballerinas im Innenhof bei Weilands Kaffee trinken kann. Da gebe es Zitronen-Couscous und Tandoori Garnelen. Sogar im Februar hat Weilands einen Tisch in den Hof gestellt, um an das sommerliche »Bergmannstraßen-Flair« zu erinnern. Leider wurden die Kastanien, die einen echten Garten geschaffen hatten, alle gefällt. Trotz lauter Proteste. Vor allem die Ankündigung, die Habelsche Trinkhalle von 1880 für den 30 Millionen Euro teuren Neubau abreißen zu wollen, sorgte für Unmut. »Keinen Klotz in der Bergmannstraße«, forderte der Mieterrat. Der Bürgermeister versuchte zu schlichten: Einen »Klotz« bekämen sie nicht, und die Nutzungsstruktur bestünde »aus kleinteiligen Nutzern, wie sie typisch für die Gegend« sei, schrieb er »mit stacheligen Grüßen«. Der Mieterrat blieb empört. »Und irgendwie hatten die Altlinken ja wieder mal Recht«, grinst ein Vater, der gerade die Tochter mit ihrem blutenden Knie zum Chirurgen bringt. Der Klotz sei tatsächlich ein Klotz geworden, und »typisch für die Bergmannstraße, wie der Bürgermeister ankündigte«, sei er auch nicht. Die auf den Beton geschraubten Schilder und der »Infopoint« vermitteln Flughafenflair. In Haus 3 versucht ein türkischer Herr, den Namen eines Gastroenterologen auf einer Visitenkarte zu entziffern und das Entzifferte dem richtigen Wegweiser zuzuordnen. »Die Piktogramme verwirren mehr als dass sie orientieren«, meint eine Mitarbeiterin. Doch sie kann der misslungenen Perfektion auch Positives abgewinnen: »Immerhin kommen die Leute in Kontakt miteinander, wenn sie sich nach dem Weg fragen.« Alles in allem würde die Einrichtung »sehr gut angenommen«, es sei eine Erleichterung, wenn man vom Allgemeinarzt schnell mal in die Röntgenpraxis hinüber laufen könne. Die »Ur-Kreuzbergerin« mit »Hausbesetzer-Erfahrungen und allem drum und dran« konnte den Protest der Kiezbewohner »nicht immer nachvollziehen«. »Das Problem an uns Alternativen ist, dass wir Änderungen gern dogmatisch ablehnen.« Obwohl nicht alle gegen den Neubau protestierten, sondern »nur einige«. Die vormalige Baulücke mit ihren Ruinen sei »auch kein Anblick« gewesen, und insgesamt sei es »besser geworden als befürchtet«. Nur einige Bänke im Innenhof fehlten noch, damit sich die Patienten im Sommer noch ein bisschen unterhalten könnten. Gemeinsam mit den Ballerinas von Sabine Roth. Der »Klotz« braucht das. Er braucht diese Menschen, um mehr zu sein als ein Klotz. Um ein wirkliches Haus zu sein. Er braucht die Ballerinas, die rauchenden Blonden, die Kellnerin im Weilands, die Teelichter auf die schön dekorierten Tische stellt. Die kleinen Logopädie-Patienten, all jene vielen »kleinteiligen Nutzer«, die dafür sorgen, dass sich die kühle »Nutzungsstruktur« ein bisschen erwärmt. Das Ballettschulen-Logo jedenfalls ist noch provisorisch an den Infotafeln im Flur befestigt. Das sieht schon ein kleines bisschen nach alternativer »Bergmannstraßenkultur« aus. Und noch sind nicht alle Räume vermietet, in den hinteren Häusern ist noch viel Platz. Platz für Kreatives. Vielleicht sogar für Alternatives. • |