Juni 2010 - Ausgabe 118
Strassen, Häuser, Höfe
Die Oranienstraße Nr. 27 von Werner von Westhafen |
Der Leierkasten, die Weltlaterne, Kurt Mühlenhaupt. Lauter berühmter Kreuzberger. Ohne die zinke hätte es sie nicht gegeben Es ist ein Haus wie viele in der Oranienstraße: Zur Straße hin ein kleiner Laden mit Nüssen und Hülsenfrüchten, dahinter ein unscheinbarer Hof. Nichts erinnert daran, dass dieser Hof einmal voller Menschen war. Dass Günter Grass hier rittlings in einem Fenster des verkommenen Hinterhauses saß und aus seinem neuesten Werk las -»sichtlich bemüht«, sich den Zuhörern im Hof ebenso wie den Gästen in den zwei Räumen der Galerie zinke verständlich zu machen. In einem anderen Fenster spielte jemand Querflöte, ein dritter wiederum stellte ein Grammophon an und übertönte die Subkultur mit dem »Babysitterblues«. Anschließend wanderte die ganze Meute nach gegenüber in die Jägerklause, »schon nach den ersten Feten konnte sich der Wirt einen neuen Kühlschrank anschaffen«, erinnert sich Lothar Klünner in einer Gedenkschrift an Günter Bruno Fuchs und die zinke. Wenige Tage nach der Dichterlesung erhielten die Galeriebesitzer ein Schreiben, adressiert an »Herrn Grass per Galerie zinke.« Günter Bruno Fuchs begab sich aufs Revier, wo ein Zeitungsartikel vorlag, dem zu entnehmen war, dass der Dichter »Obszönes« gelesen hatte. Der Wachtmeister fragte: »Waren bei dieser Lesung auch Kinder anwesend?« Fuchs sagte: »Naja, es waren natürlich die Kinder anwesend. Die schliefen ja in ihren Betten.« - »Wie laut hat denn der Herr Grass gelesen?« Fuchs antwortete: »Wissen Sie, die Leute verstehen sich mit uns so großartig dahinten im Hof, die haben immer die Fenster zu gemacht, wenn so ne Stelle kam.« Günter Bruno Fuchs war einer jener drei, die Ende der Fünfzigerjahre die zinke gründeten. Mit Günter Anlauf und Robert Wolfgang Schnell wollte er die Kunst aus den Palästen und Museen in die Hinterhöfe transportieren. Nicht ganz uneigennützig, denn die drei suchten schon lange nach einem Ort, wo sie zeigen konnten, was sie zeigen wollten, wie es Schnell später einmal formulierte. Eines Tages kam Fuchs und sagte: »Ich habe die Räume für die Galerie gefunden!« Als Schnell den Hof sah, rief er: »Um Gottes Willen!« Fuchs erwiderte: »Du Meisenkaiser, das ist genau das richtige!« -Meisenkaiser, das sagte Fuchs immer dann, wenn die anderen seine Schwärmereien mit kleinmütigen Bedenken auszubremsen versuchten. Diesmal jedoch zerschlug Fuchs die Bedenken, und Anlauf, der als Steinmetz ein geregeltes Einkommen hatte, stellte Geld zur Verfügung, von dem Fuchs und Schnell »ohne Komplexe Gebrauch machten«. Bürgermeister Kressmann erschien zur Eröffnung mit einer Flasche Doornkaat und versprach, seine schützende Hand über die zinke zu halten, und schon nach wenigen Wochen war die renovierte Bruchbude in der Oranienstraße Nummer 27 eine Kult-Adresse. Maler, Bildhauer, Schriftsteller aus ganz Berlin und weiter Umgebung fanden sich ein, Bobrowski, Hermann Kant, Anna Seghers und Helene Weigel kamen, Bilder von Chagall, Zille und Max Ernst hingen an den bescheidenen Wänden der Galerie, deren Miete mit 25 Mark auch für die Kreuzberger Boheme erschwinglich war. Aktionen wie »der längste Strich der Welt«, verewigt auf 200 Klopapierrollen, ließen erstmals den Begriff einer Kreuzberger Subkultur erahnen, und schon bald sprach man von den Kreuzberger Künstlerkneipen, der Leierkasten und die Weltlaterne starteten ihre Karrieren. »Viele sahen uns als unakademische Marodeure und Störenfriede«, doch es war an der Zeit, die Kunst auf die Straße zu holen. Dennoch glaubt Schnell, dass sie mit ihrem Anliegen, dem Volk näher zu kommen, »kläglich scheiterten«. Das Volk interessierte sich weniger für die Kunst als für die Gerüchte, die sich um die verrückten Künstler rankten. Von denen gab es viele, eine »Fülle nie geschehener Anekdoten verließ die zinke«. Eine von ihnen, wenn auch eine der wahren Geschichten, zeigt, welch schweren Stand die Künstler bei den »einfachen Kreuzbergern« hatten. Es war eine dieser überfüllten Ausstellungseröffnungen, bei der die Gäste den engen Treppenflur bis in den Hof hinunter bevölkerten. Die Stimmung war ausgelassen, allerdings teilte sich die Heiterkeit der Galeriebesucher »nur in sehr bescheidenem Maße den Bewohnern des Hinterhauses« mit. Zumal die Mieter der oberen Stockwerke sich ihren eiligen Weg zu den Toilettenhäuschen, die sich in einer »grobschlächtig gemauerten Baracke« im Hof befanden, nun durch Horden Bier trinkender Künstlerfreunde bahnen mussten. Lothar Klünner beschreibt, wie sich für einen kurzen Augenblick eine Tür öffnete und ein verärgerter Mieter »sein Nachtgeschirr über den Häuptern der Kunstbegeisterten entleerte«. Dem Ruhm der zinke tat das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Sogar die Times schrieb über die Oranienstraße Nr. 27. Doch eines Tages geschah etwas Seltsames und Weltbewegendes: Kaum 500 Meter von der Galerie entfernt wurde eine Mauer gebaut, und als Klünner im Frühjahr 1963 die Wendeltreppe zur Tür der Galerie hinaufstieg, war diese verschlossen. Auf einem Zettel stand: »zinke wieder im März«. Doch es war bereits Mai, »alles war vorbei«. All die Dichter aus dem Osten, die gekommen waren und der Galerie sogar das Misstrauen des Verfassungsschutzes eingetragen hatten, blieben nun fern, die Galeristen verloren die Lust. Drei Jahre nur dauerte das wilde Leben der zinke. Doch in diesen drei Jahren hat sie Kreuzberg verändert. • Das Zeichen der Galerie »zinke« wurde zusammengesetzt aus drei landstreicher-Zinken des 18. Jahrhunderts. die Schnecke bedeutet: hier kannst du dich niederlassen. die beiden Senkrechten bedeuten: hier bekommst due etwas für arbeit. das Halboval bedeutet: hier kannst du übernachten. |