Februar 2010 - Ausgabe 114
Essen, Trinken, Rauchen
Im Turandot von Erwin Tichatschek |
Einst gab es in der Bergmannstraße noch die Molle. Heute gibt es nur noch das Turandot. Das war denn das hier? Das junge Paar stand unschlüssig gleich am Eingang beim Tresen, wo sich die Menschen drängten, als gäbe es Freibier. Hinten führten fünf stählerne Stufen in einen zweiten Raum, dessen Dielen von den vielen Biertrinkern schon ganz dünngelaufen waren. An den Tischen saßen Pärchen, die sich küssten oder stritten, Männer, die mit glühenden Zigaretten gestikulierten, Einzelgänger vor dem Bücherregal, eine Skatrunde. Auf jedem Tisch stand ein Aschenbecher, über den Köpfen lag ein dichter Nebel. »Was das hier ist? Das ist ne Kneipe!«, antwortete der Zapfer. »Das seh ich auch!«, entgegnete der junge Mann. »Warum fragst du dann?«, meinte ein Mann mit einer riesigen Nase und einem riesigen Bier. Die Freundin des jungen Mannes kicherte. »Ich mein, Turandot, das klingt doch französisch. Wir waren gerade drüben bei dem Mexikaner, gestern waren wir in ner Enoteca, vorgestern bei dem Vietnamesen. Aber das hier...« »Turandot, das ist ne Oper von Puccini. Und das hier, das ist ne Kneipe! Ganz einfach ne Kneipe. Gibts so was bei euch nicht mehr? »Wir kommen aus Regensburg!« »Hab ich mir gedacht. Aber macht nix. Man kann ja nichts dafür, wo man hingeboren wird!« Die Regensburgerin starrte dem Mann mitten ins Gesicht immer auf die dunkelrote, knollige Nase. Sie war sich sicher, dass das Bier augenblicklich zu brodeln begänne, wenn er seinen Zinken ins Glas tauchen würde. »Also«, lenkte Rotnase ein, »das hier ist die letzte Berliner Kneipe in der ganzen Bergmannstraße! Früher gab es hier nur so ne Kneipen. Aber jetzt kommen lauter fremde Leute und wollen mexikanisch oder kolumbianisch Kaffee trinken. Aber so was is hier nich. Hier is Milieuschutz! Hier darfste rauchen, saufen, prügeln, knutschen. Verstehste?« Die Beiden verstanden. Die Freundin tippelte in ihrem kurzen Schachbrettmuster-Rock die Stufen hinauf, und dann saßen sie unter einheimischen Rauchern, Skatspielern, Sozialarbeitern, Politologen, und knutschten. Rotnase schüttelte den Kopf: »Diese jungen Leute wissen vor lauter Sushi und Muschi schon nicht mehr, was ne Kneipe ist!« »Bei uns in Prenzlberg«, schaltete sich eine Frau mit Rastalocken ein, »gibts nur noch Schwaben. BMWs und Schwaben. Das ist das Ende. Der Weltuntergang.« »Wo die herkommen, das ist doch egal«, sagte Rotnase. »Ossis, Amerikaner, Chinesen, Schwaben – ist doch scheißegal. Vor vierzig Jahren, da war hier auch alles voller Schwaben. Aber die kauften keine Eigentumswohnungen. Die kamen hierher, weils gute Kneipen und besetzte Häuser gab. Und die, die heute kommen, sind Bionadetrinker und Nichtraucher. Das ist das Problem. Prost!« • |