Kreuzberger Chronik
Dez. 2010/Jan. 2011 - Ausgabe 123

Reportagen, Gespräche, Interviews

Kreuzberg zu verkaufen - Der zweite Teil


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von Michael Unfried

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Berlin war eine Mieterstadt. Das soll sich jetzt ändern. Gesprächsnotizen aus dem Wasserturm, von der Straße und aus dem Rathaus.

Gemäß der am 1. September 2004 in Kraft getretenen Kündigungsschutzklausel-Verordnung vom 20. Juli 2004 beträgt, nach Paragraph 577a Abs. 2 BGB, in den Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg, Charlottenburg-Wilmersdorf und Tempelhof-Schöneberg die Kündigungssperrfrist sieben Jahre. In diesen Bezirken ist die ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen besonders gefährdet. Diese Verordnung läuft im Januar 2011 aus«, schreibt ein Anwalt auf die Anfrage einer Mieterin zum Kündigungsschutz.

Daraus wäre zu schließen, dass sich die Situation auf dem Wohnungsmarkt entspannt hat. Das Gegenteil ist der Fall. Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen hat zugenommen, und die Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung sind nötiger denn je. Die Stadtentwicklungssenatorin Junge-Reyer hätte die Möglichkeit, einzugreifen. Doch die Senatorin sagte in einem Interview mit Immobilienscout 24, die Situation sei »unverändert entspannt« und die Mieten seien bezahlbar.

»Diese Aussage verweist darauf, wie weit sich die Stadtentwicklungssenatorin in der Zwischenzeit von der Lebenssituation im Kiez entfernt hat«, sagt Dr. Schulz, der regierende Kreuzberger Bürgermeister. »Alle aktuellen Untersuchungen weisen auf ganz erhebliche Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt hin.« Die Immobilienhändler sind der gleichen Meinung: In Kreuzberg tut sich was. Ihre Spähtrupps durchforsten das Gebiet auf der Suche nach neuen Kaufobjekten, Mieter in attraktiven Straßen finden in den Postkästen Mitteilungen von Banken und Investorengruppen, die mit Provisionen von »500 Euro« für die Vermittlung eines Kaufobjektes locken. Das Geschäft boomt, die Quadratmeterpreise auf Kreuzberger Boden steigen, und »was vor vier Jahren noch für 1.500 Euro zu haben war, kostet heute oft das Doppelte«, sagt Gabi Klar von der Mieterberatung in der Arndtstraße.

Auch im Wasserturm, wo sich unter dem Motto »Jung bleiben, • Alt werden« der alteingesessene Kreuzberger Widerstand neu formiert, berichtet ein Mieter aus der Willibald-Alexis-Straße vom Verkauf des Hauses an eine Investorengruppe, die aus seiner Wohnung und dem Dachgeschoss eine Maisonettewohnung mit 170 Quadratmetern und 7 Zimmern machen möchte. »Ich frage mich: Wer braucht denn so was? Da ahnt man doch, was hier für Leute herkommen sollen.«
Foto: Dieter Peters
Gegenüber, in einem kleinen Café, trinkt Bruno in aller Ruhe sein Nachmittagsbier. Seit Jahren schon. »Früher«, sagt er, »sind wir hier mit nem geliehenen Bulli und mit fünf Freunden umgezogen, und am Abend gabs ne Fete. Heute ziehen die Leute mit Kranwagen um, während sie selbst gerade Urlaub auf den Kanaren machen.«

In der Weinhandlung bei der Markthalle geht eine von diesen Neuzugängen zum Tresen, um sich darüber zu beschweren, dass die Tomatensuppe nicht schnell genug auf dem Tisch steht. Zurück auf ihrem Stuhl erzählt sie der Freundin von ihrer neuen, »ganz süßen Wohnung« in der Heimstraße, zweiter Stock. »Viel schöner als in Hamburg«. Als die Freundin fragt, was sie zahlt, antwortet sie: »14 Euro netto kalt!« – »Und darüber ist die auch noch glücklich«, murmelt einer am Nebentisch. Die, die ausziehen, sind weniger glücklich. Gabi Klar in der Arndtstraße spricht schlicht von »Vertreibung«. Es sei »schlimm. Die Mieter lassen sich einfach rauskaufen. Die bieten denen 5.000 Euro an, und dann ziehen die aus. Ich mein, da sind welche dabei, die haben eben noch nie 5.000 Euro in der Hand gehabt.«

Aber nicht alle lassen sich kaufen. Im Wasserturm, bei den ewig Jungen, berichtet eine Mieterin von einer Mediatorin, die durchs Haus geschickt wird, um die Leute zum Ausziehen zu bewegen. Die Psychologin führt nur Einzelgespräche, behutsam treibt sie Keile zwischen die Parteien der noch funktionierenden Hausgemeinschaft und streut gezielt Gerüchte. Sie erzählt vom Schwamm in den Dachbalken, die ausgewechselt werden müssten, oder von geplanten Grundrissveränderungen in den Wohnungen. Mit ihren Entkernungsszenarien hat sie bereits vier von zehn Mietparteien erfolgreich in die Flucht geschlagen.

Der widerstandsfähige Rest aber will bleiben. Weil ein Stadtteil nicht von Häusern lebt, »sondern von den Menschen, die in den Häusern wohnen«. Der Biertrinker im Café gegenüber sagt: »Ich hab mich schon viel geärgert über diese frechen Türkenbengel. Aber diese Mi-granten, die jetzt hier herkommen, aus Hamburg oder München oder was weiß ich von wo, die sind ja noch viel schlimmer...« - «Genau!«, sagt der Tischnachbar, ein gestandener Hausbesetzer, und fügt hinzu: »Diejenigen, die jetzt hier in die alten Häuser einziehen, das sind dieselben, die sie vor 30 Jahren noch abgerissen hätten.«

Ein Stück weiter unten, im Heidelberger Krug, spricht Heinz Kleemann mit einem Mieter, dessen Haus an israelische Investoren verkauft wurde. Kleemann sitzt tagsüber in einem Büro des Berliner Mietervereins, er kennt sich aus. Als der besorgte Mieter von »lauter • schweigsamen Herren in grauen Anzügen« berichtet, »die durchs Hausschleichen«, kann er nur noch grinsen. Er kennt diese Tricks, und er macht niemandem Illusionen. Der Widerstand ist schwach geworden, und einige der alten Hausbesetzer sind längst Hausbesitzer, die statt Widerstandsgruppen Baugruppen bilden und sich Stadtvillen hinsetzen. So wie jetzt in der Schwiebusser Straße. Anschließend bieten sie den Quadratmeter zum Verkauf an, zu einem Preis, der dem ausländischer Investoren um nichts nachsteht. So ist man plötzlich mitten drin im dreckigen Geschäft.

Auch Gabi Klar sagt, sie fühle sich manchmal schon wie eine Maklerin. Ständig stünden Leute in der Tür, die mitbekommen haben, dass in der Arndtstraße auch mietpreisgebundene Wohnungen vermittelt werden. Tatsächlich sind noch über 1.000 Wohnungen in der Hand der Gewobag, und in der Bergmannstraße gehört der Gesellschaft beinahe jedes Haus. Sonst wäre die Bergmannstraße längst voller Hotels und Hostels. »Sie brauchen aber einen Wohnberechtigungsschein«, sagt Gabi Klar zu einer etwas feineren Dame, die plötzlich hereinkam. »Ihr Einkommen darf eine gewisse Grenze nicht überschreiten.« Die Frau ist irritiert, sie ist es gewohnt, dass man für eine schöne Wohnung ein hohes Einkommen nachweisen muss. Hier scheint es umgekehrt zu sein. Überall auf der Welt wohnen die Armen am Stadtrand und die Reichen in der Mitte. Hier ist es umgekehrt. »Die Armen haben ein Recht auf diese Häuser. Diese Häuser stünden doch gar nicht mehr, wenn wir damals nicht in sie eingezogen wären!«, sagt der Hausbesetzer vor seinem Bier. »Doch wir können nicht viel tun«, sagt Gabi Klar. »Wir haben kein wirklich wirksames Instrument außer dem so genannten Milieuschutz.«

Doch den kann man aushebeln. Und deshalb »geht es gerade richtig ab hier im Kiez!« Es wird gekauft und verkauft wie beim Monopoly. Sogar einige der Wohnungen, die 2004 von der Gewobag an den freien Markt abgegeben wurden, sind inzwischen in Eigentum umgewandelt worden. Und auch Taecker, der Großinvestor aus Dänemark, der auf dem Kreuzberger Schnäppchenmarkt in einen wahren Kaufrausch verfiel und Häuser gleich in Sammelpackungen kaufte, und der sich damit brüstete, nicht zu privatisieren und weiter zu vermieten, hat inzwischen einige seiner Kreuzberger Immobilien weiterverkauft. Die Mieter, die zuvor die Unbequemlichkeiten von Sanierungen und Modernisierungen auf sich genommen hatten, mussten am Ende doch noch ausziehen. Denn die neuen Eigentümer sind Investmentfirmen, die ihren Investoren und Aktionären hohe Gewinne versprochen haben. »Diese hohen Renditen kann so eine Firma nicht über Neuvermietungen einfahren, sondern nur über den Verkauf«, sagt der regierende Mann im Kreuzberger Rathaus. »Ich glaube deshalb, dass die kommenden fünf, zehn Jahre für die Entwicklung Kreuzbergs von eminenter Bedeutung sein werden.«

Kreuzberg ist noch nicht verkauft. Aber es steht am Scheideweg. »Wir müssen denen in die Suppe spucken, wir müssen diesen Leuten den Geschmack an diesem Viertel wieder verderben«, sagt eine von den Ewigjungen, und der alte Hausbesetzer gegenüber denkt schon an Demonstrationen, brennende Autos und verschmierte Hauswände. »Wenn der Lebensraum von irgend so ner schmierigen Kröte bedroht ist, dann sorgt das für mehr Protest als die Vertreibung von Leuten aus ihrem Kiez«, sagt der in der Weinhandlung neben der Markthalle. »Es gibt keine guten Immobilienhaie«, sagt Heinz Kleemann. »Wir müssen jetzt dringend etwas tun«, sagt der Bürgermeister. •


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