Kreuzberger Chronik
April 2010 - Ausgabe 116

Strassen, Häuser, Höfe

Die Rettung des Martin Gropius-Baus


linie

von Helmut Unverzagt

1pixgif
Die Rettung des Martin-Gropius-Baus
Kreuzberg hat seinen, und die Neuköllner haben ihren Gropius. Trotz gleicher Namen und Berufe könnte die Unterschied zwischen ihnen kaum größer sein

von Helmut Unverzagt

Als in den 60iger Jahren die Berliner Stadtplaner mit der Abrissbirne zu Werke gingen, machte sich ein Architekt mit berühmtem Namen um Kreuzberg verdient. Allerdings weniger durch die Planung eines Neubaus, als durch die Rettung eines ruinösen Altbaus: Er verhinderte den Abriss des königlichen Kunstgewerbemuseums in der Niederkirchner Straße. Sein Einfluss und der Klang seines Namens bewirkten, dass der Bau unter Denkmalsschutz gestellt und später wieder restauriert werden konnte.
Der Mann, der sich für den Erhalt des im Stil der italienischen Renaissance errichteten Gebäudes einsetzte, war Walter Gropius, der Neffe von Martin Gropius. Eine Umfrage ergab, dass Neuköllner und Kreuzberger die drei gefragten Schlüsselbegriffe »Bauhaus«, »Gropiusstadt« und »Gropiusbau« spontan »ihrem« Gropius zuordnen konnten, und dass nur die Vornamen für Verunsicherung sorgten.
Gebildete Leser freilich wissen, dass der »Gropius-Bau« von den Architekten Martin Gropius und Heino Schmieden als Kunstgewerbemuseum entworfen wurde. Und dass Martin Gropius, der seine Anregungen aus der Tradition seines Lehrers Schinkel und der italienischen Renaissance gewann, sich auf sicherem Boden bewegte, während Walter neue Wege beschritt und als Gründer der Kunsthandwerksschule »Bauhaus« geradezu eine Revolutionierung des Bauwesens auslöste. Als Vordenker einer völlig neuen Betrachtungsweise nicht nur der Architektur, sondern aller am Bau beteiligten Handwerksberufe und der fortschreitenden Industrialisierung war er verantwortlich für einen Aufbruch, der bekannt wurde unter Begriffen wie »Neue Sachlichkeit, Funktionalismus, Neues Bauen, Klassische Moderne« . Der Menschheit sollte ein neues, von allem Überflüssigen befreites Wohngefühl beschert werden. Dabei waren ein ideologisch eingefärbtes Sendungsbewusstsein und pädagogische Absichten nicht zu verkennen.
Während Martin Gropius überall, wo es in das Gesamtbild passte, noch eine Skulptur, ein Mosaik oder eine Verzierung unterzubringen wusste, versuchte sein Neffe jedes funktionslose Beiwerk zu vermeiden. Warum sollte ein Balkon umständlich mit einem geschmiedeten Gitter verziert werden, wenn eine Betonplatte den Dienst auch tat? Auch ein Blick aus dem Fenster auf die mit einem Halbrelief verzierte gegenüberliegende Fassade konnte den Bewohner einer Arbeitersiedlung höchstens vom Ernst des Lebens ablenken - vom Kostenfaktor ganz zu schweigen. Der Höhepunkt dieser Entwicklung sind die legendären »Plattenbauten«.

Foto: Dieter Peters
Nachdenklichen Lesern stellt sich womöglich die Frage, was den »Vater des funktionellen und sachlichen Wohnens« dazu bewegt hatte, sich für die Rettung des Altbaus einzusetzen? Gebildete und nachdenkliche Leser werden sich vielleicht an Willi Brandt erinnern, der mit Gropius den Grundstein für eine Siedlung legte, die 15.000 »entkernten« Familien zur Heimat werden sollte. Brandt nämlich hatte dem Architekten versprechen müssen, das schmucklose Wohnmonster niemals »Gropiusstadt« zu nennen. Vielleicht, weil der Neffe geahnt hatte, dass die Epoche der Schmucklosigkeit schon bald vergessene Geschichte sein könnte, und dass der Name Gropius eher mit dem Werk seines Großonkels verbunden werden sollte. Walter Gropius starb noch vor der Fertigstellung der Siedlung, die dann doch nach ihrem Schöpfer benannt wurde. Der Tod ersparte dem Architekten der Neuzeit Romane wie »wir Kinder vom Bahnhof Zoo«, die das Leben zwischen der Trabantenstadt und der Szene am Kudamm dokumentierten, vielleicht auch ein Schicksal wie das seines Kollegen Chen Kuen Lee, der bei der Planung des Märkischen Viertels mitwirkte: Im Alter verarmt, musste er die letzten Jahre aus einer Sozialwohnung am Wilhelmsruher Damm aus dem 14. Stock auf sein Werk blicken.
Die Kreuzberger aber, mit ihrem ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, hätten dem Retter des Gropius-Baus eigentlich ein Denkmal setzen müssen. Oder die Moabiter und die Weddinger, die an der zugenagelten Ruine des Gropiusbaus am Rande der Mauer vorbeiradelten, wenn sie nach SO 36 wollten - weil sie im alten Zeitungsviertel arbeiten, vor dem Springergebäude demonstrieren, bei Litfin ein halbes Hähnchen essen oder in der Roten Harfe beim Bier ihre linksrevolutionäre Gesinnung verfestigen mussten. Auf den Stufen vor der Ruine saßen Langhaarige, spielten Gitarre und rauchten Joints.

Zehn Jahre nach dem Tod des Neffen von Martin Gropius waren auch die Städteplaner geläutert. Sie beschlossen, das stattliche Gebäude zu restaurieren. 22 Jahre später waren die umfangreichen Arbeiten abgeschlossen. Seitdem haben über fünf Millionen Besucher nicht nur den Ausstellungen im Martin-Gropius-Bau, sondern auch dem Gebäude selbst mit seinen geschichtsträchtigen Fassaden, Skulpturen, Emporen und Galerien ihre Aufwartung gemacht.
Martin Gropius hat der Nachwelt eine ganze Reihe repräsentativer Bauten hinterlassen, begraben ist er auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof in der Bergmannstraße. Walter Gropius hat im fernen Boston die letzte Ruhe gefunden und eine ganze Stadt hinterlassen: die Gropiusstadt. Aber, gewissermaßen, auch den Martin-Gropius-Bau. •


zurück zum Inhalt
© Außenseiter-Verlag 2024, Berlin-Kreuzberg