Kreuzberger Chronik
September 2009 - Ausgabe 110

Herr D.

Herr D. und die Knallkörper


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von Hans W. Korfmann

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oder:
Warum der Herr D. kein richtiger Pyromane ist.


Als Herr D. noch ein Student war, protestierte er lautstark gegen Pershing II. Später lief er mit einem Transparent durch die Straßen, auf das seine Freundin »Brot statt Böller« geschrieben hatte, und sah in jedem Knallfrosch das Werk eines Militaristen. Wieder ein paar Jahre später stand er im Hafen von San Sebastian, zusammen mit Tausenden friedliebender Spanier, die in der sichelförmigen Bucht ihre Tische aufgestellt und Decken ausgerollt hatten und Weinflaschen entkorkten, während von den umliegenden, von Alt- und Junghippies belagerten Hängen dicke Haschischfahnen wehten. Das nächtliche Spektakel am Himmel über der Bucht machte aus dem Antimilitaristen einen heimlichen Pyromanen.

Dennoch hatte der Herr D. gezögert, sich das angeblich »weltgrößte Musikfeuerwerk« auf dem stillgelegten Tempelhofer Flughafen anzusehen. Er sah nicht ein, für das Betreten der Wiese Eintritt zu zahlen, wo doch der Bürgermeister »Tempelhof für Alle« versprochen hatte. Am Ende siegte die Neugierde über den politischen Willen, doch als der Herr D. am Flughafen ankam, war der komplette Eingangsbereich des Flughafens abgeriegelt. Nicht einmal der Parkplatz war mehr öffentlich. Lediglich an der Seite öffnete sich ein Nadelöhr: der VIP-Eingang. Merkwürdig, dachte der Herr D: Erst verspricht der Bürgermeister den Flughafen den Berlinern, dann sperrt er ihn ab, um ihn an Großveranstalter zu vermieten, und dann macht er die Eingangshalle des vielleicht berühmtesten Flughafens der Welt zu seinem Privateingang!

Der Herr D. radelte die Straße entlang, bis er an ein Loch im Zaun kam. Vor den sechzehn Gucklöchern der Kassenhäuschen standen drei Besucher. Alle anderen Gäste waren Zaungäste. Die angekündigten »günstigen Preise für die Berliner« waren wohl noch zu hoch gewesen. »Brauchen Sie noch ein Ticket?« fragte ein junger Mann. Wahrscheinlich hatte er billige Billetts im Vorverkauf erstanden und auf lange Schlangen vor der Kasse gehofft. »Ich glaube, da haben Sie eine Fehlinvestition getätigt, junger Mann!«, lachte der Herr D.

Um halb zehn brannte immer noch kein Licht am Himmel, die erwarteten 270.000 Besucher waren auch nicht da. Also radelte der Herr D. zum Denkmal auf dem Kreuzberg. Das Betreten des Parks kostete immer noch keinen Eintritt, weshalb der Gipfel von Studenten, HartzIV'lern, allein erziehenden Müttern und einem Alten mit marxistisch langem Bart bevölkert war. Man ließ die Korken knallen, verkaufte Bier aus Plastiktaschen und applaudierte bei jeder lautstarken Explosion, als wäre es der 1. Mai. Wenn die Raketen einmal schwiegen, riefen sie »Werbepause« oder »Zugabe«. Die Stimmung war ausgelassen. Nur der Alte mit dem Bart seufzte am Ende ganz herzerweichend: »Aber dass nicht ein einziger Blindgänger Kurs aufs Rathaus genommen hat! Früher wäre uns das nicht passiert.«

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