Oktober 2009 - Ausgabe 111
Kreuzberger
Alexander Dreßler Es hat halt jeder sein Päckchen zu tragen
von Hans W. Korfmann
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»Es hat halt jeder sein Päckchen zu tragen.« »SPAnien«, sagt Alex, »ist schön, aber gefährlich«. Ceveet vom Florya Imbiss stellt ein halbes Hähnchen und ein Bier auf den Tisch. Er kennt Alex. Alex kommt öfter hier vorbei. Nirgends in der Gegend sind die Preise so freundlich. »Und wie gehts heute?«, fragt der Wirt. – »Geht so«, sagt Alex, »Es trägt halt jeder sein Päckchen mit sich rum!« Der Wirt lacht, als wäre der Satz eine Phrase. Aber Alex drischt keine Phrasen. »Spanien muss ich nicht mehr haben«, sagt er, als der Wirt wieder hinter dem Grill steht. Sechs Jahre war er dort. Schlug sich durch. Bis sie zur Küche in der Nähe der Plaza Real wollten, wo die Nonnen in einer Seitengasse Suppen für Bedürftige ausschenkten. »Es gab immer nur Suppe, ohne Fleisch, ohne alles. Und plötzlich ruft jemand: Kommt mal herüber ihr Beiden da!« Die Freunde zogen es vor, weiter zu laufen, aber dann standen die beiden Polizisten schon vor ihnen und verlangten die Papiere. Pablo hatte ein Stück Haschisch in der Hosentasche, und plötzlich waren sie von Polizisten umstellt. Der Freund wurde niedergeschlagen und lag auf dem Boden, Alex wurde an die Wand gedrückt. Dann lag auch er auf dem Boden, ein Knie auf dem Gesicht. Wenig später saß er in einer Zelle, irgendwo im Keller, ein Schlauch an der Wand und eine Ablaufrinne vor der Tür. »Wie im Pissoir oder im Schlachthaus!« einer der Polizisten kam herein, packte und ohrfeigte ihn. »Der wollte mich provozieren. Aber ich hab ganz still gehalten.« Auch den spanischen Freund traktierten sie, »das hab ich richtig gehört, wie´s geklatscht hat!« Irgendwann kam ein Dolmetscher vom Konsulat und fragte, ob Alex mit Haschisch handle. Er schüttelte den Kopf. Er rauche mal einen Joint, wenn er eingeladen werde, mehr nicht. Dass Pablo ausgesagt hatte, die fünf Gramm in der Hosentasche stammten von Alex, sagte der Dolmetscher nicht. Das erfuhr Alex erst zwei Wochen später, als er »wieder auf Straße war« und einer seiner Freunde ihm das Urteil übersetzte: 6.000 Peseten Strafe, oder 18 Monate Gefängnis. »Barcelona war nicht das richtige!«, erzählt Alex, und fuhr weiter nach Valencia. Fast zwei Jahre waren vergangen, als sie ihn wieder aufhielten. Man führte ihn vor eine Richterin. »Haben Sie die 6.000 Peseten?«, fragte sie. Da dämmerte es Alex. Aber es dämmerte zu spät. 18 Monate saß er in Nordspanien fest. Einmal kam ein Brief von Jutta. »Wir haben ganz schöne Sachen erlebt!«, erinnert er sich. Aber dann trennten sie sich, und er ging nach Spanien. Auch eine Frau Brigitta Wolf »von so einem christlichen Verein« schrieb ihm. Den Namen vergisst er nie. Die Botschaft schickte ihm manchmal ein paar Kleider in den Knast, mehr nicht.. »Wenn du ein armer Wicht bist, dann hilft dir auch die Botschaft nicht«. Besuch bekam nie in diesen 18 Monaten. Aber das kannte Alex schon. Das war auch im Heim nicht anders gewesen. Im Heim von Amberg, wo seine Geschichte begann, er war gerade zwei Jahre alt. Oder später im Vinzentinum, einem katholischen Internat in Würzburg. Auch da kam nie jemand, um ihn zu besuchen. Er war schon in der dritten Klasse, als es plötzlich hieß, er solle einmal mitkommen. Da saß eine Frau im Gang, »ein Besucherzimmer oder so Foto: Privat
Es war die erste Begegnung mit seiner Mutter. Was sie gesagt hat, daran erinnert sich Alex nicht mehr. Aber er erinnert sich, wie er sich schämte, als er wieder in die Klasse zurück musste und kein Geschenk dabei hatte. »Da bekommt man Besuch, und der bringt einem nicht mal was mit!« Später kam manchmal Frau Druckmüller, die ehemalige Heimleiterin vom Haus Agnes, in dem die Mutter einmal untergebracht war. Sie holte Alex und seine Brüder manchmal zu Kaffee und Kuchen ab. Sie war es auch, die eines Tages sagte, dass Alex´ Mutter im Krankenhaus läge, er solle sie einmal besuchen. Wenig später war sie tot. Alex hätte noch viele Fragen gehabt, er hätte gern gewusst, wie die vier Geschwister hießen, die jetzt in Amerika und in Dänemark lebten. Wer sein Vater war? Und warum die Mutter damals nicht auch die anderen sechs Kinder zur Adoption freigegeben hat. Ob sie vielleicht daran gedacht hatte, ihn und seine Brüder eines Tages zu sich zu nehmen. Und ob es stimmt, dass das Jugendamt ihr verbot, sich selbst um ihre Kinder zu kümmern. Das sind Fragen, die ihm auch heute noch durch den Kopf gehen, 53 Jahre, nachdem die Frau aus der Bar mit den vielen amerikanischen Soldaten als drittes von 10 Kindern den Alex Dreßler zur Welt brachte. Hätte die Mutter bei ihrem Besuch im Kinderheim ein Geschenk mitgebracht, vielleicht hätte Alex gelassener reagiert, als die beiden Nesthäkchen des Vinzentinums alles für sich behalten durften, was ihnen die eltern eines Tages mit einem Paket schickten. eigentlich war es üblich, dass der Inhalt an alle Kinder verteilt wurde. Aber bei den Lieblingen machten die erzieher eine Ausnahme. »Und ich hab ein ziemlich feines gerechtigkeitsempfinden!«, sagt Alex. »Da bin ich ausgerastet.« Zur Strafe sperrte man ihn in den Keller. Nichts war so schlimm wie der Keller. Alex ertrug die eiskalte Dusche, unter die man ihn zerrte, wenn er widerspenstig war, und auch die Prügel der Nonnen, die immer zu zweit kamen: »Du bleibst ja nicht stehen, du läufst ja davon als kleines Kind, und dann hält eben die eine Schwester fest und die andere haut drauf.« Aber vor der Dunkelheit hatte er »panische Angst. Die Nonnen, ehrlich, das waren die schlimmsten.« Von den Lehrern wurden die »Heimis« ohnehin geschlagen, »irgendwo hatten die immer einen Rohrstock versteckt. Den Lehrer Bock, Emil Bock, den haben sie sogar mal im 3. Stock aus dem Fenster gehalten und beinahe fallen lassen, so wild hat der draufgeschlagen! Dann wurde er krank, und es kam der Viericher, ein ganz junger. Den hab ich nur einmal gesehen, dass er jemanden mit dem Stock geschlagen hat. Der war sehr engagiert.« Auch der Bäckermeister, bei dem Alex in die Lehre kam, war engagiert. er nahm die »Heimis aus Pfaffendorf« gern für die Arbeit in der Backstube. »Wir waren billig.« Als Alex – »es war ein Aschermittwoch, das weiß ich noch genau« – trotz Ausgehverbotes morgens um vier Uhr vom Faschingsball nach Hause kommt, baut sich der Bäckermeister vor Alex und Mitarbeiter des Berliner Büchertischs bei den »Experiment Days« im Wedding.
Foto: Privat 14 Tage Arrest war die Strafe für so genannten Landfriedensbruch. Danach folgten andere Angelegenheiten, abgebrochene Autoantennen, Beulen im Mercedes, immer gab es »Schwierigkeiten mit den Erwachsenen«, bis endlich ein Bewährungshelfer ein Talent an dem jungen Mann entdeckte: Alex hatte ein Gespür für Kinder. Tatsächlich begann der junge Mann aus dem Heim 1976 ehrenamtlich in einer studentischen Kindertagsstätte zu arbeiten. Die Mütter waren begeistert, dass endlich ein Mann im Haus war. In den Achtzigern hatte Alex sogar eine ABM-Stelle als pädagogische Hilfskraft, eine Ausbildung zum Erzieher wurde ihm angeboten. »Und nie, nie« hat er die Hand erhoben gegen eines der Kinder. Aber irgendwann kam wieder so ein Erwachsener dazwischen, irgendeine Dummheit. Und alles war hin. Auch die Geschichte mit Jutta, die er auf dem Rummel kennenlernte, und die ihm ins Gefängnis schrieb, war längst aus. Es gab schöne Erlebnisse im Leben von Alex, »die Treppen, die wir runterrutschten« im Vinzentinum, oder die Weihnachtsfeiern, oder die Ausflüge. »Aber wenn ich mit Jutta ein Kind bekommen hätte, das wäre das Schönste gewesen. Ein Kind! Dem hätte ich alles das gegeben, was ich nie bekommen habe.« Doch das Kind erhängte sich noch im Mutterleib – Jutta war im siebten Monat. Danach fuhr Alex nach Frankreich. Er wollte zur Weinlese. nach Italien und nach Spanien fuhr er, um Orangen zu ernten. Jetzt ist er in Berlin. Er hat eine kleine Wohnung und eine kleine Arbeit beim Berliner Büchertisch. Manchmal geht er in die Literaturwerkstatt von Nepomuk Ullmann. Er schreibt Gedichte. Über damals. Morgens sitzt er manchmal vor der Bäckerei und plaudert mit der Verkäuferin. Und wenn der Wirt vom Florya Imbiss ihn fragt, wie es ihm geht, dann sagt er: »es hat halt jeder sein Päckchen zu tragen.« Und fast hört es sich so an wie eine Phrase. • |