November 2009 - Ausgabe 112
Geschäfte
Gesundheitsgeschäfte (2): Die Sauerstoffbar und das Schwarzkümmelöl von Ina Winkler |
>In der Kreuzbergstraße gibt es kleine Döschen voller Heilkraft. Teil 2 unserer Serie vom Geschäft mit der Gesundheit. DORT, WO sich die Katzbachstraße und die Kreuzbergstraße treffen, am Fuß des Viktoriaparks, befand sich im fernen Jahr 1290 eine »Lehmkute«, in der Ziegel für den Haus- und Stallbau gebrannt und verkauft wurden. Etwa 700 Jahre später eröffnete an gleicher Stelle ein Laden, der sich Rudis Resterampe nannte. Rudi räumte die Regale der just geschlossenen Postfiliale mit all dem voll, was er beim Ausverkauf der DDR und anderer Billiglohnländer abstauben konnte. Das Sammelsurium reichte von Plastikschaufeln über Blumentöpfe, von Werkzeug über Kuchenformen bis zu Schulheften, Socken und Unterhosen. Einige Jahre lang hielt sich das Geschäft. Doch nach Rudi kamen andere, die es ihm nachmachten, und die sich Mc-Geiz oder Pfennigland nannten. Rudi musste der Konkurrenz weichen. Nun wirbt eine hellgrüne Leuchtreklame über den Schaufenstern des Eckhauses für »Naturprodukte« und »Nahrungsergänzung«. Den nachmittäglichen Spaziergängern auf dem Weg zum Park, die vor den großen Fenstern mit den winzigen Döschen stehen bleiben, wird schnell klar, dass es auch hier um die Gesundheit geht. Die grünen, blauen, türkisfarbenen und violetten Glaskugeln im Fenster dagegen, da sind sich die beiden Schulmädchen einig, sind allerdings Zauberkugeln. »Da musst du hineinschauen und einen Zauberspruch aufsagen, und dann siehst du die Zukunft!«, erklärt das eine Mädchen dem anderen und schleckt weiter sein Schokoladeneis. Nur was es mit diesen großen Wassergläsern und den Schläuchen auf sich hat, das ist den beiden ziemlich unklar. »Sau – er – stoff – bar«, buchstabieren sie die in amerikanischer Leuchtröhrenschrift über der Apparatur angebrachte Nachricht. Darunter stehen, auf einer roten, einer blauen, einer grünen und einer gelben Glasscheibe, jeweils vier große, mit Wasser gefüllte Glasbehälter, die wiederum durch einen Schlauch miteinander verbunden sind. »Also, hier, auf der einen Seite, fließt das Wasser rein!«, sagt das eine der beiden Mädchen. »Und auf der andern fließt es wieder raus.« – »Und wozu soll das gut sein?« – »Weiß ich doch nicht. Damits eben fließt!«, sagt die andere. Ganz Unrecht hat sie damit nicht. Natürlich geht es im Naturgeschäft auch um sauberes Wasser und saubere Luft. Denn was nutzen uns die schönsten Biotomaten und der beste Wunderheiltee, wenn das Wasser vergiftet und die Luft verpestet ist. Deshalb gibt es in smoggeplagten Metropolen wie Paris oder London längst Sauerstoffbars, in denen die Menschen Luft holen und Sau-• erstoff tanken können. Besonders im Winter, bei Tiefdruck, sinkt der Sauerstoffgehalt in der Luft manchmal unter die 15%-Marke, berichtet Professor Özkanli. Damit die Sauerstofftanker nicht nur reinen Sauerstoff inhalieren, sondern auch ein wenig genießen können, befinden sich in den vier Glaskolben aromatisierte Flüssigkeiten, die nach Zitronen oder Erdbeeren duften. Foto: Dieter Peters
Doch von Parodontitis sind die Mädchen vor dem Schaufenster noch weit entfernt. Sie stehen vor den kleinen, hübschen Döschen und üben sich im Lesen: »Schwarzkümmelöl und Fischöl Kapseln? Iihh, was ist denn das?« Den Mädchen ist es dabei völlig egal, dass das Mittel »weltweit einmalig« ist, also »dass es das nur hier an der Kreuzbergstraße in Kreuzberg gibt, auf der ganzen Welt!« Das nächste Objekt der Wissbegierde ist ein roter Karton, auf dem mit dickem Filzer geschrieben steht: »Erkältungszeit? Nicht mit uns!« Daneben steht ein Döschen mit BeoImmun für den »feucht-kalten Wechsel« der Jahreszeiten. Das BeoMint für frischen Atem interessiert die Mädchen, weil ihr Lehrer »immer so aus dem Mund riecht«. Zuletzt inspizieren sie das »natürliche Viagra«. »Das ist aber teuer! 24,99! Für son kleines Döschen…« Das stärkende Präparat ist eine Mixtur aus Weizenkeimöl, Gelée Royal, dem bewährten Ginseng und einem Sägepalme-Extrakt. Wem das noch nicht reicht, dem wird zur »Verwirklichung der sexuellen Bedürfnisse« ein Mittel empfohlen, dessen Nomen Omen sein möchte: Der »Prolong-Verzögerer!« Doch auch das begehrte Prolong für den Liebeshungrigen ist nicht ganz billig. Prolong interessiert die Mädchen so wenig wie Parodontitis. Ihr Eis haben sie auch schon aufgegessen und sind um die Ecke herum noch ein Stück die Katzbachstraße hinunter gelaufen. Aber in den großen Schaufenstern sind keine bunten Zauberkugeln mehr, auch keine geheimnisvollen Apparaturen mit Schläuchen und Gläsern. Die Fenster sind mit Tapeten verklebt: »Wahrscheinlich hatten sie keine Döschen mehr!«, sagt die eine. »Aber guck doch mal!« ruft da die andere. Im letzten Schaufenster »ist alles voller Kartons!« Da stapeln sich hinter einem großen Schreibtisch und einem Regal voller Aktenordner die Kartons bis unter die Decke. »Ich wette, die sind alle voller kleiner Döschen« – »Vielleicht aber auch Zauberkugeln.« • |