März 2009 - Ausgabe 105
Geschichten & Geschichte
Das Bunte Theater von Werner von Westhafen |
IM HINTERHOF EINER SCHMUCKLOSEN STRASSE IN KREUZBERG WURDE VOR 108 JAHREN DAS DEUTSCHE KABARETT GEBOREN. ES LEBT NOCH HEUTE: BERLIN IST die Hauptstadt der Kleinkunst. Bereits in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts zählte man bis zu 43 Kabarettbühnen, und schon 1901 sprach ein gewisser Ernst von Wolzogen von der »Kleinkunst«. In einem Interview mit dem Berliner Tageblatt erklärte der Theatermacher, er wolle in seinem »neuen Hause Kleinkunst betreiben. Kleinkunst – nicht kleine Kunst, das heißt eine Kunst, die nur in ihrer Form klein ist«, im Grunde aber die hohe Kunst einer kurzweiligen Mischung aus Bildung und Unterhaltung ist. Freiherr Ernst von Wolzogen entstammte dem niederösterreichischen Adel, studierte Literatur, Philosophie und Kunstgeschichte in Straßburg und Leipzig und bewies schon als Vorleser des Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach sein Talent in der Kunst des Vortrags. 1881 kam er nach Berlin, schloss sich dem Friedrichshagener Dichterkreis an und veröffentlichte erste Romane. Als lebensfroher Bildungsreisender hatte er die »Cabarets« und Künstlerkneipen am Pariser Montmartre erlebt und das »Chat Noir«, das erste literarische Kabarett, besucht. Schon lange schielte man in Berlin nach der Stadt an der Seine und sehnte sich nach einem solchen Theater, das »verbessernd auf den Geschmack der Leute wirken« und dem simplen Varieté ein intellektuell anspruchsvolles Format entgegensetzen sollte. Im Vorleser des Herzogs und dem Verfasser von zuletzt über dreißig Unterhaltungsromanen schien man den idealen Mann für das Unternehmen gefunden zu haben. Seine Tragikomödie über »Das Lumpengesindel« war die perfekte Synthese von kritischer Auseinandersetzung und Unterhaltung. Auch Wolzogen gefiel die Idee vom Kabarett. Auch wenn er, anders als in Paris, der strengen Zensur wegen in Berlin auf die politische Tagessatire verzichten musste. Innerhalb weniger Monate kreierte der Schriftsteller ein Programm aus Literatur und »Brettl-Liedern«, Tanz-und Akrobatikeinlagen, Sketchen und Theaterstückchen. Er mietete die Sezessionsbühne in der Alexanderstraße und brachte am 18. Januar 1901 mit einem Einakter von Arthur Schnitzler das erste Kabarettprogramm Deutschlands auf die Bühne. Mit einer kleinen Verbeugung vor dem großen Friedrich Nietzsche nannte er sein Programm das »Überbrettl«. Die Presse war begeistert und schrieb: »Wir haben was Neues! Wir haben eine graziöse Fein-und Kleinkunst!« Der österreichische Freiherr, der sich für ein Jahr zum Theaterdirektor verpflichtete, hatte eigentlich nur »eine starke Anregung« geben und »dann mit meiner Person verschwinden und den einmal in Bewegung gesetzten Karren weiter laufen lassen« wollen. Aber schon bald waren die Vorstellungen auf Monate im Voraus ausverkauft, Wolzogen wurde zum berühmten »Brettl-Baron«, und seine »Komödiantengesellschaft« spielte so viel Geld ein, dass der Bildungsreisende noch im selben Jahr zuerst einmal eine Vergnügungsreise nach Italien unternahm, dann mit einem Teil der Künstlertruppe auf Deutschlandtournee ging, während der Rest der Truppe in Berlin für weitere Geldeinnahmen sorgte, damit noch im Sommer 1901 mit dem Bau eines eigenen Theaters in der Köpenicker Straße 68 begonnen werden konnte. So entstand das »Bunte Theater«, und damit das erste deutsche Kleinkunsttheater mit einer Büste des großen Friedrich Nietzsche im Foyer. Wolzogen schuf nicht nur in architektonischer Hinsicht ein »Haus der Überraschungen«. Auch das Programm der Schauspieler, Sänger und Diseusen war außergewöhnlich. Parodien und Satiren, Bänkellieder und lyrische Vorträge hatten ebenso ihren Platz auf der kleinen Bühne wie Sketche und kurze Einakter. Doch schon bald schossen die Kleinkunstbühnen wie Pilze aus dem Berliner Boden. »Jeder gescheite und gescheiterte Theaterdirektor glaubte, ein Kabarett aufmachen zu müssen«, und in die abseitige Luisenstadt kam trotz der Qualität des Programms und der Originalität des Spielortes bald niemand mehr. Zudem war dem Theatermacher die Zensur auf den Fersen, stundenlang soll er wegen eines 12-zeiligen Gedichtes auf der Polizeiwache gestritten haben – mit dem Erfolg, dass er auf die letzte Zeile und die Pointe verzichten musste. Er verzichtete am Ende ganz und gab das Theatergeschäft schon im Frühjahr 1902 wieder auf. Eine Zeitung schrieb, er habe sich bei den »vollständig erschienenen Getreuen« nach einer Vorstellung mit den Worten verabschiedet: »Ich bin der größte Idiot des Jahrhunderts«. Ganz ließ ihn das Theater jedoch niemals los. Drei Jahre später führte er, nicht weit von der alten Spielstätte entfernt, im Thaliatheater in der Dresdner Straße eine Komische Oper auf. Das Unternehmen scheiterte, und schon bald verließ der Vater des deutschen Kabaretts und der Schöpfer der Kleinkunstbühne die unglückselige Hauptstadt und ging nach Darmstadt, wo er sich der Schriftstellerei widmete und an Romanen, Novellen und Erzählbänden schrieb. Doch auch als Schriftsteller endete die Karriere des Freiherrn unglücklich. Als er 1918 im bayrischen Wolfratshausen im Alter von 89 Jahren stirbt, hat er 37 Bücher geschrieben. Einige von ihnen wurden posthum veröffentlicht und trugen Titel wie »Wenn die alten Türme stürzen« oder »Wie ich mich ums Leben brachte«. Letztere wurden wegen ihrer antisemitischen Tonlage von den Nazis instrumentalisiert und später von den Siegermächten auf die Liste der auszusondernden Literatur gesetzt. Heute kennt kaum noch einer den Namen Wolzogen. • Ernst Wolzogen (rechts im Bild) auf einem seiner glamourösen Empfänge Foto: Postkarte
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