März 2009 - Ausgabe 105
Essen, Trinken, Rauchen
Die Kreuzberger Weltlaterne von Erwin Tichatzek |
FRÜHER, ALS die Süd-Kreuzberger noch jünger waren, wechselten sie hin und wieder das Ufer. Sie verließen den Bergmannkiez und trieben sich ganze Nächte lang nördlich des Landwehrkanals herum. Wenn im Leierkasten oder in der Nulpe nichts los war, dann gingen sie zu Hertha in die Kohlfurter Straße. Keiner aus der Kreuzberger Künstlergemeinde, die sich um Kurt Mühlenhaupt formiert hatte, der nicht auch hin und wieder dort auftauchte. 1961 taufte die Wirtin den Musikern und Malern zu Ehren ihr gemütliches Trinklokal dann »Kleine Weltlaterne«. Fortan verkehrten nicht nur die Mühlenhaupts, Kuschnerus, Günter-Bruno Fuchs oder Robert Wolfgang Schnell in der Kohlfurter Straße, sondern auch Günter Grass war da, Henry Miller sah vorbei, Dürrenmatt stellte sein Licht unter den Scheffel der Weltlaterne, Hundertwasser, auch Schauspieler wie Curd Jürgens und Entertainer wie André Heller tranken an Hertha Fiedlers Tischen. Die Kleine Weltlaterne wurde berühmt. Heute ist das ehemalige Künstlerlokal ein griechisches Restaurant. Doch es heißt nicht »Sorbas« und nicht »Akropolis«, es nennt sich »Kreuzberger Weltlaterne«. Die Wände sind dunkel und holzvertäfelt, ein paar Treppenstufen führen auf die kleine Galerie, wo früher die Bilder der Künstler hingen. Im Hinterzimmer sitzen hinter schlechten Blättern schlecht gelaunte Kartenspieler, und in der Nähe des Tresens mit den Zapfhähnen steht ein runder Stammtisch mit rundem Aschenbecher. Zur Zierde. Zwei alte Straßenlaternen werfen schummriges Licht auf die Szene, die noch immer ein bisschen an die alten Zeiten erinnert. Männer sitzen beim Bier, Frauen beim Wein, Musiker stellen ihre Gitarrenkoffer neben der Tür ab und Politologiedozenten philosophieren mit dem griechischen Wirt. Nur ein bisschen ruhiger ist es geworden, seit Hertha in die Nestorstraße gezogen ist – mit all den schwarz-weißen Fotografien von all den bunten Künstlern. Die Künstler selbst aber sind ihr nicht nach Wilmersdorf gefolgt. Sie blieben in Kreuzberg und treffen sich in den letzten noch verbliebenen Kneipen von damals. Nur manchmal, wenn im Yorckschlösschen, im Rat Pack oder im Heidelberger Krug niemand mehr da ist von den Alten, dann verschlägt es den einen oder anderen noch einmal in die Kohlfurter Straße. Dann sitzen sie beim griechischen Wirt und denken an die alten Zeiten, während aus den Lautsprechern eine wehleidige Stimme von »Agapi mou« und »Chrisso mou« singt, und während blondierte Kellnerinnen dem Mann auf der Suche nach der Vergangenheit ein zartes Oktopusbein servieren. |