Kreuzberger Chronik
Dez. 2009/Jan. 2010 - Ausgabe 113

Briefwechsel

Ein Schein von Demokratie


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von Lotte Brünger

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Lotte Brünner schrieb zu »Das Ende der Tempelhofer Freiheit«, Kreuzberger Nr. 105

Liebe Kreuzberger,
Es ist nun fast ein Jahr her, dass der Artikel über die Schließung des Flughafens Tempelhof erschienen ist, aber mir fiel dieser Satz aus dem Artikel trotzdem wieder ein: »Zwei Stunden wurde mit den Bürgern diskutiert. Um den Schein von Demokratie zu wahren«. Ich bin kein Freund von Michael Unfried, der mit seinen Artikeln in der Kreuzberger Chronik tatsächlich eher Unfrieden stiftet als konstruktive Diskussionsbeiträge liefert. Aber als ich im Oktober in die Hangars kam, wo die Vorschläge der Bürgerinitiativen zur Gestaltung des Geländes ausgestellt waren, musste ich ihm Recht geben. Denn obwohl doch das Interesse der Berliner groß gewesen war, obwohl es einen Bürgerentscheid gegeben hatte und das Thema in allen Medien diskutiert wurde, zählte ich in der gigantischen Reparaturhalle gerade mal 20 Besucher. Es war niemand da! Auch ich selbst hatte nur durch Zufall von der Ausstellung erfahren. Obwohl ich regelmäßig Zeitung lese und viel spazieren gehe, habe ich nirgends eine Ankündigung gelesen oder Plakate gesehen. Wie ich dann an einem der Stände erfuhr, hatte Senatorin Regula Lüscher bereits am Wochenende zuvor die Ausstellung der »Bürgerbeteiligung Parklandschaft« eröffnet. Aber es soll kaum jemand gekommen sein. Auch von den ausgelegten Fragebögen lagen noch viele herum. Sie wurden im Auftrag der Senatsverwaltung erarbeitet, nicht von der Bürgerinitiative. Doch die Fragen klangen engagiert. Man fragte zum Beispiel, ob der Bürger einen Park zum »Spazierengehen« und zum »Naturerleben« oder zum »Joggen« und zum »Sport« brauche. Ob er im Park lieber »lesen« oder lieber »Partys feiern« wolle. Ob er Bäume oder freies Feld bevorzuge, ob er Gastronomie wolle oder lieber Picknicken würde, ob er Sitzgelegenheiten, WC-Anlagen, Grillplätze, Schwimmbäder, Konzerte, Schließfächer, Wege oder wilde Natur schöner fände. Es sah aus, als wolle man die Wünsche des Bürgers berücksichtigen. Doch was nutzt ein schöner Fragebogen, wenn keiner ihn ausfüllt. Weil niemand weiß, dass es ihn gibt. Und weil niemand davon erfährt, dass zwei Wochenenden lang die Meinung der Bürger gefragt ist. Das ist, als rufe man zur Wahl auf – allerdings flüsternd, und nachts um vier! Unserem Wowi wird es recht sein. Wenn er seine Sportstadien, Townhouses und Unterhaltungspaläste einweihen wird, kann er grinsen und sagen: »Wir hatten die Bürger doch aufgerufen, sich zu beteiligen. Aber sie waren nicht da!«
Lotte Brünner

Liebe Frau Brünner,
wir werden das versteckte Lob gerne an Herrn Unfried weiterleiten.
Die Redaktion




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