September 2008 - Ausgabe 100
Geschichten & Geschichte
Der Urbanhafen von Werner von Westhafen |
Kaum eine Großstadt schmückt sich mit so vielen Brücken wie Berlin. Nicht einmal Venedig. Dennoch kennt im Ausland niemand einen Fluss namens Spree, während die Donau, die Themse oder die Seine in aller Welt bekannt sind. Doch ohne die Spree wären die kleinen Dörfer womöglich immer kleine Dörfer geblieben. Schon im Jahr 1228 verhalf das so genannte Stapel-und Niederschlagsrecht den Siedlungen am Ufer zu wirtschaftlichen Aufschwung. Es verpflichtete jeden Schiffer, der Berlin passieren wollte, einige Tage zu ankern und seine Waren anzubieten. Schiffer, die das neue Städtchen an der Spree durchqueren wollten, ohne anzulegen, mussten Durchgangszoll zahlen. Die Regelung ärgerte sowohl Schiffer als auch Kaufleute. Die Fahrt durch die schmale und seichte Spree war ohnehin zeitraubend genug, denn die Ufer und Landeplätze waren von Mühlenbesitzern und Holzhändlern in Beschlag genommen worden, deren hölzerne Türme sich bis in den Himmel stapelten, und deren Flöße oft die Hälfte des Flusses bedeckten und den Schiffern oft nur eine schmale Fahrrinne ließen. Berlin war eine ewige Baustelle, ein Nadelöhr, vor dem die Kapitäne Mitte des 19. Jahrhunderts wochenlang im Stau lagen. »14.831 Schiffsgefäße und 43.973 Stück Floßholz« passierten 1843 die Schleuse zum Spreekanal am Kupfergraben. In Folge dieses erhöhten Verkehrsaufkommens wurden schließlich der Spandauer Schifffahrtskanal und der Landwehrkanal gebaut, auf dem die Spree entlastet und die Innenstadt entlang der alten Zoll-und Stadtmauer umschifft werden sollte. 1852 wurde auch der Luisenstädtische Kanal dem Verkehr übergeben, der die Spree mit der Wasser-tangente und damit die innenstadt mit der südlichen Vorstadt verband, wobei zwischen Kottbusser-und Halleschem Tor das so genannte »Wassertor« in der Zollmauer entstand. Die Schiffer allerdings murrten weiterhin, denn Peter Joseph Lennés kunstvoll geschwungene Linienführung des »Luisenstädtischen« mit seiner 90Grad-Kehre am Engelbecken und der rechtwinkligen Einfahrt in das neue Hafenbecken war hübsch, aber unpraktisch. Dennoch passierten nach dem Bau der Kanäle doppelt so viele Schiffe die Stadt an der Spree wie zuvor. Die Hafenanlagen allerdings waren dem wachsenden Bedarf an Baustoffen und Lebensmitteln nicht mehr gewachsen. Immer wieder mussten Schiffe an flachen Ufern festmachen, um ihre Ladung zu löschen, und behinderten wie einst die Flößer den Verkehr auf dem Landwehrkanal. Im September 1885 richteten deshalb die »Ältesten der Berliner Kaufmannschaft« ein Schreiben an die Minister und beklagten »den Mangel an günstig gelegenen, dem Eisenbahnverkehr direkt zugänglichen Lagerhäusern am Wasser«. Der Magistrat ließ daraufhin die Ladestraßen am Halleschen Ufer ausbauen und erwog den Bau eines Osthafens. Aber auch dort, wo seit 1852 der Luisenstädtische Kanal in den Landwehrkanal floss, und wo oft »tausende von Stein-und Sandzillen« lagen, entstand ein Hafen: Der Urbanhafen. Er sollte den Bau der Arbeiterunterkünfte vorantreiben und die südliche Vorstadt Berlins mit Lebensmitteln versorgen. Dazu wurde 1896 der Landwehrkanal zwischen der Admiralbrücke und der Baerwaldbrücke auf 140 Meter verbreitert und mit einer trapezförmigen Insel ausgestattet, sodass über 70 Schiffe an den Kaimauern anlegen konnten. Eine Hubbrücke verband die künstliche Insel mit dem südlichen Ufer, und wo heute der Parkplatz vor dem Krankenhaus liegt, lagen einst die Schiffe nebeneinander. Der Urbanhafen und seine Landeinsel Foto: Postkarte
Die Zöllner nahmen überdies die »Aufgaben der sog. »Fremdenpolizei« wahr und führten eine Schiffermeldestelle. Im Winter wurden über 1000 im Quartier liegende Schiffe ständig »visiert. (...) Das Schiffsvolk stand allgemein nicht in einem besonders guten Ruf. Das Transportgeschäft brachte es mit sich, dass sie nicht ortsansässig waren und an Bord ihrer Schiffe in erbärmlichen Zuständen lebten. Sie wurden etwa den Zigeunern gleichgestellt.« Doch die Sorge, der Urbanhafen könne zu einem Sitz der Unterwelt verkommen, war unberechtigt. Als im Jahr 1926 der stinkende und wenig genutzte Landwehrkanal wieder zugeschüttet wurde, war auch das Schicksal des städtischen Hafens besiegelt. Zwar baute die Berliner Hafen und Lager Gesellschaft die Ladeinsel 1937 noch einmal aus, doch die fehlenden Expansionsmöglichkeiten und Gleisanschlüsse führten dazu, dass der Traum vom innerstädtischen Hafen am Urban 1963 endgültig begraben, der Seitenkanal zugeschüttet und die Insel mit dem Festland verbunden wurde. Heute liegen keine Schiffer mehr am Ufer der Insel, sondern Berliner in der Sonne. • |