September 2008 - Ausgabe 100
Mein liebster Feind
2. Brief von Karl Hermann und Doktor Seltsam |
Wenn der Doktor in den Urlaub fährt, dann betreibt er die Lieblingssportart deutscher Intellektueller: Fremdschämen! Man kann ihn sich so richtig vorstellen, im weißen Anzug, in einer Mischung aus Leo Trotzki und Robert Gernhardt, wie er sich am Strand von Antalya im Vollgefühl ideologischer Überlegenheit sonnt – und pausenlos fremd schämt. Für all die Plottkes aus Bergisch-Gladbach oder Reinickendorf, die mal wieder keine Ahnung haben und den »Kaputschiehno« mit Sahne bestellen. Wo doch jedes Kind weiß, dass man den mit aufgeschäumter Milch trinkt. Und dann können sie noch nicht einmal in der Landessprache »Danke« oder »Die rechnung« sagen. Ein Skandal! Sie sind ungebildet, unsensibel, sprachfaul! Na und? Heißt das, wir sollen in Kreuzberg alle türkisch lernen, damit die Deutschen im Ausland endlich ihren Kulturimperialismus ablegen. Damit wir dann in der typischen Unterwerfungspose der Deutschen die Türken dafür um Entschuldigung bitten, dass wir das Halbfinale gewonnen haben: »Nee, echt Mann, was für eine Sauerei. Ihr wart für mich die Europameister. Ganz klar! Noch einen Raki bitte!« Nein! Dass viele Deutsche keine Fremdsprachen lernen, liegt nicht an der »rassistischen Überheblichkeit«, wie der Doktor flott unterstellt, sondern daran, dass die meisten schon mit der eigenen Muttersprache auf Kriegsfuß stehen. Und sich dafür in einem Labyrinth modischer Anglizismen und hipper Buzzwords bewegen. Mit durchaus komischem Ergebnis, wie die Deutsch-Türkin rana Göroglu feststellte. Sie stieß bei einem deutschen Bäcker auf den Satz: »Coffee to go – jetzt auch zum Mitnehmen.« Und wer schon nicht in Deutschland zwischen Wiener Schnitzel und einem Schnitzel Wiener Art unterscheiden kann, bestellt auch kein Scaloppine Milanese. Dafür hat der Doktor die von Feridun Zaimoglu 1995 erstmals dokumentierte »Kanaksprak« entdeckt und plädiert für eine Übernahme türkischer Sprachfloskeln in die deutsche Alltagssprache. Nun mag man aus soziolektischer Sicht durchaus Gefallen an einer Sprache finden, die unter weit gehendem Verzicht auf Adjektive und Adverbien den Rückfall in den restringierten Code zum identitätsstiftenden Großstadtmerkmal gemacht hat. Doch wer sich mit »Hast Du Job?« bei einer Bank bewirbt, darf sich über Absagen nicht wundern. Und gegen ein stiernackiges »ich mach Dich Krankenhaus« hilft nur die schönste Drohung in deutscher Mundart: »Mein Herr, wenn Sie nicht schweigen, werde ich Sie zitieren.« Von Karl Kraus lernen, heißt siegen lernen – und zwar mit der besten Waffe, die es gibt: der deutschen Sprache. Und wenn wir schon dabei sind: Rechnen lernen kann auch nicht verkehrt sein. Denn, dass so wenige Ausbildungsplätze besetzt werden, liegt auch an den mangelnden Fähigkeiten der Schulabsolventen. Aber der Doktor gibt sicherlich wieder der Ausbeutungspraxis des Kapitalismus die Schuld. Nur wie will er das begründen? • Karl Hermann |