Kreuzberger Chronik
Oktober 2008 - Ausgabe 101

Strassen, Häuser, Höfe

Die Enckestraße


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von Werner von Westhafen

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Die Enckestraße
oder
Der ewige Lektor des Alexander von Humboldt


In den Tiefpunkten der langjährigen Freundschaft zu Johann Franz Encke bezeichnete Alexander von Humboldt den Astronomen als einen Menschen, der »im Mutterleibe gletscherartig erkaltet« sei und die »Polarkälte des Mars« besitze.

War er dem alten Encke besser gesonnen, oder war er -wie beim Verfassen seines »Kosmos« – auf dessen Dienste angewiesen, dann schrieb von Humboldt seinem Freund in einer Mischung aus Unterwürfigkeit und Charme: »Ich weiß, daß das Durchsehen von fremden Bogen und kleinlichen literarischen Noten kein erfreuliches Geschäft ist. Aber wie könnte ich den astronomischen Teil meines unvorsichtigen und doch so mühsam ausgearbeiteten Werkes drucken lassen, ohne daß Sie ihn vor dem Abziehen der Bogen gelesen hätten?«

Humboldt, der seine Schriften stets mehreren Gelehrten zur Begutachtung vorlegte, hätte auf Encke verzichten können. Doch schließlich hatte sich von Humboldt beim König für den Sternengucker eingesetzt, ohne ihn wäre die Sternwarte in der Lindenstraße nie erbaut worden, weshalb sich Encke lebenslänglich in der Schuld sah. Immer wieder ließ er sich erweichen und versah Humboldts Arbeiten mit Bemerkungen und Korrekturen. Zwar barg diese Gelehrten-Symbiose Vorteile für beide Seiten, doch während der eine am Hofe herum spazierte und im Vorbeigehen königliche Taler für astronomische Gerätschaften lockerte, musste der andere Manuskripte wälzen. Encke war der Mann von Anfang unangenehm gewesen: »Herr von Humboldt ist hier angekommen, (…), und bei dem eigentümlichen Wesen, was sogleich den Mann andeutet, der in der großen Welt sich bewegt, kann ich nicht sagen, daß ich mich von ihm angezogen fühle.«

Es war allerdings nicht von Humboldt allein, der Johann Franz Encke zu einem kalten und »schroffen Charakter« werden ließ. Von Anfang an meinten es die Sterne nicht gut mit dem Sternengucker. 1791 als 8. Kind des Diakons der Hamburger Jakobi-Kirche geboren, wächst er zunächst in vorteilhaften Verhältnissen auf, doch stirbt der Vater früh und stürzt die Familie in die Armut. Dennoch kann Johann Privatunterricht bei dem befreundeten Mathematiker Carl Friedrich Hipp nehmen und mit 20 besucht er bereits die Universität in Göttingen. Doch zwei Jahre später fühlt er sich berufen, sein Heimatland gegen Napoleon zu verteidigen und stellt sich hinter die Kanone, obwohl er bereits die Leitung der Sternwarte in Budapest hätte übernehmen können. Nach dem Krieg nimmt er sein Studium wieder auf und fragt in Budapest wegen der vakanten Stelle an, die noch immer unbesetzt ist. Da kommt Napoleon aus dem Exil zurück, wieder fühlt Encke den Stachel des Patriotismus in seiner Brust und zieht noch einmal in den Krieg. Danach ist man in Budapest zögerlich. Doch an der Front hat der junge Encke Bernhard von Lindenau, den Direktor der Sternwarte von Gotha, kennen gelernt.

1820 wird Encke Vizedirektor, 1822 Direktor des Observatoriums in Gotha und lebt nun in wohlhabenden Verhältnissen. Nur der Ruhm fehlt noch. Doch auch den erreicht er schnell. Als ein französischer Astronom 1818 einen Kometen entdeckt, observiert Encke den Himmelskörper für einige Monate und errechnet dessen Bahn und Umlaufzeit. Dabei findet er heraus, dass der Komet bereits mehrfach beobachtet worden ist und alle drei Jahre am Himmel auftaucht. Bis zu dieser Entdeckung waren nur Kometen bekannt, deren Umlaufzeit 70 und mehr Jahre betrug und deren Umlaufbahnen weit hinter die Uranus-Bahn reichten.

Dieser Zufall gereichte Encke zum Ruhm. Der Kollege Friedrich Wilhelm Bessel von der Königsberger Sternwarte bezeichnete seine Berechnungen gar als »die wichtigste wissenschaftliche Entdeckung des Jahrhunderts« – das allerdings gerade erst 18 Jahre alt war. Dennoch erhielt der von Pons entdeckte Komet den Namen »Enckescher Komet« und ist damit einer der wenigen Himmelskörper, die nicht nach ihrem Entdecker benannt wurden. Auch in der Folge widmete sich Encke neben dem Studium der Venusringe vor allem der Berechnung kurzperiodischer Kometenbahnen, bis er 1825 seinen Posten als Direktor der alten Sternwarte in der Berliner Dorotheenstraße antrat.

1835 jedoch wurde mit Alexander von Humboldts Hilfe ein modernes Observatorium an der Lindenstraße eingeweiht. Mit dem neuen Teleskop entdeckte Encke die 335 km breite Teilung im Saturnring, die bis heute »Enckesche Teilung« heißt. Ferner befasste er sich in der Lindenstraße mit der Anfertigung der Sternenkarten und des Astronomischen Jahrbuchs. 1844 wurde Encke zum Professor der Astronomie ernannt, zweimal erhielt er die Goldmedaille der Royal Astronomical Society, ein Krater auf dem Mond trägt seinen Namen. Den größten Erfolg der Berliner Sternwarte jedoch, nämlich die Entdeckung des letzten Planeten unseres Sonnensystems, gelang einem seiner Mitarbeiter.

In all den 28 Berliner Jahren ist der wortkarge Astronom Humboldts wissenschaftlicher Berater. Vor allem mit dem 3. Band des »Kosmos« hatte er eine Menge Arbeit. Er musste nicht nur die wissenschaftlichen Aussagen Humboldts prüfen, sondern auch Korrektur lesen, sowohl in der deutschen, als auch in der französischen Fassung. Darüber hinaus sollte er die Arbeiten anderer Kollegen bewerten. Encke fühlt sich zunehmend übervorteilt, für von Humboldts gute Beziehungen am Hof empfindet er keine Bewunderung mehr. In einem Brief an seinen ehemaligen Professor in Göttingen schreibt er: »Humboldts ganze Richtung geht dahin, in Gesprächen Notizen zu sammeln, die er dann wieder bei anderen Gelegenheiten mitteilt«. Und für die er bei den Damen stets Bewunderung erntet. Ganz im Gegensatz zu dem Mann mit der »Polarkälte des Mars«. •

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