Kreuzberger Chronik
Oktober 2008 - Ausgabe 101

Essen, Trinken, Rauchen

Auf der Suche - Teil 3


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von Saskia Vogel

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Es war schon 18 Uhr. Eigentlich hatte er keine Chance mehr, sie noch zu treffen. Wahrscheinlich war sie endgültig abgetaucht. Da fiel ihm das »Z« ein. Sie saß so gerne auf diesen geflochtenen Stühlen, auf denen ihr immer die Beine einschliefen, »wie im Urlaub«, und wo das Essen »mediterran und doch figur-kompatibel« sei. Er sprintete die Bergmannstraße entlang, die Friesenstraße hinauf, stolperte durch die Tür und fiel der Kellnerin in die Arme, die ihm mit einem Tablett voller Souvlaki entgegenkam. Die Kellnerin sagte: »Siga siga – immer mit der Ruhe!«, doch er lief an ihr vorbei und untersuchte alle Räume: Sie war nirgends zu finden.

Sie war gereizt. Absolut immer war er irgendwo in »seinem« Bergmannkiez anzutreffen, das unverrückbare Möbelstück! Aber heute? Noch genau zwanzig Minuten gab sie ihm! Sie visierte das Dimokritos an, knallte mit dem Wirt zusammen, der gerade »Mousakas doppelte Portion!« in Richtung Küche rief. »Wer hat das bestellt?«, ihre Stimme überschlug sich, und Kyriakos sagte nur: »Siga siga…«- und schon war sie wieder draußen und lief Richtung Yorckstraße.

Was glaubte sie eigentlich, wohin er ihr noch nachlaufen würde! Mein Gott, diese Frauen! Glaubten, sie bräuchten nur ein bisschen Rouge aufzulegen, und dann läge ihnen die komplette männliche Menschheit zu Füßen. Vielleicht war sie im Krug, da stand sie manchmal mit älteren Herren, das einzige weibliche Wesen am ganzen Chamissoplatz. Aber als er eintrat, war das einzige weibliche Wesen die Kellnerin. »Ist sie hier gewesen?« – Die Kellnerin machte traurige Augen: »Tut mir leid! Ein Bier?«

Just in diesem Moment kam sie im yorckschlösschen an. Sie riss die Tür auf und eine Wolke aus Jazz, Blues, Lachen, Alkohol und Gegröle schlug ihr entgegen. Das Schlösschen war proppenvoll. »Was für eine Stimmung!« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, verrenkte sich den Hals und spähte – vergeblich. Mit gesenktem Haupt schlich sie nach nebenan, ins Rat Pack. Sie hatte schon immer geahnt, dass sie einmal hier enden würde. Alle würden einmal hier enden.

OK, dachte er, das Rat Pack, letzte Station. Und tatsächlich, da saß sie. Saß vor dem Whiskysortiment und flirtete mit Tom. »Na, Schwesterchen«, sagte er und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Weißt du, wie lange ich dich schon suche?« Sie drehte sich nicht einmal um, sondern flirtete weiter. Tom fragte: »Ist das dein neuer Macker oder was?« – »Nein, mein kleiner Bruder«, sagte sie, »der nervt immer!« – »Könntest du dich wenigstens mal umdrehen« sagte der Bruder. »Er verreist mal wieder an die Ostsee«, sagte sie, »für vier Tage. Und jedes Mal glaubt er, sein blöder Ficus Benjamin würde das nicht überleben. Der nervt, sag ich dir!« Aber hinter dem Rücken streckte sie ihm die flache Hand entgegen. Er ließ den Schlüssel hineinfallen und verschwand. Bis zum nächsten Urlaub.


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