November 2008 - Ausgabe 102
Geschichten & Geschichte
Das Astronomische Recheninstitut von Werner von Westhafen |
Zwei Abende in der Woche war die Sternwarte in der Lindenstraße das Ziel vieler Ausflügler. Der Blick in die Sterne faszinierte die Menschen, er versprach Sensationen, Entdeckungen neuer Planeten, Sterne und Kometen. 1866 berichtete Wilhelm Julius Foerster, der Nachfolger Enckes, von einem gigantischen Sternschnuppenschwarm. Die Notiz wurde sogar in die Berliner Annalen aufgenommen. Doch nicht immer war das Leben in der Sternwarte aufregend. Der Alltag bestand aus seitenlangen Berechnungen und Tabellen. Arthur Auwers erstellte in der Lindenstraße seinen »Fundamentalkatalog« mit 170.000 verzeichneten Sternen. Auch für die Berechnung des alltäglichen Kalenders waren die Astronomen zuständig. Da jedoch diese Fleißarbeit der Abenteuerlust astronomischer Entdecker zuwiderlief, gründete Foerster 1874 das »Berliner Astronomische Recheninstitut«, auch »Rechen-Institut zur Herausgabe des Berliner Astronomischen Jahrbuchs« genannt. Auch die Auf-und Untergangszeiten von Sonne und Mond wurden hier auf die Minute genau berechnet. Bereits 1582 hatte Papst Gregor XIII den von Julius Caesar eingeführten julianischen Kalender reformiert. Den Astronomen war aufgefallen, dass das julianische Kalenderjahr zu lang war. Seit der Einführung des julianischen Kalenders war die Abweichung vom Stand der Sterne auf zehn Tage angewachsen. Auf Grund der Initiative des Papstes wurde deshalb in katholischen Ländern der nach dem Kirchenoberhaupt benannte Gregorianische Kalender eingeführt. Die protestantischen Länder erkannten aber die Oberhoheit des Papstes nicht an und rechneten weiter mit dem alten Kalender. Am 10. Mai 1700 hatte der Kurfürst Friedrich III in Berlin das »Kalenderpatent« erlassen und der »Akademie der Wissenschaften zu Berlin« ein monopolartiges Privileg zur Herausgabe von Kalendern zugesprochen. Lange Zeit finanzierte sich die Berliner Akademie nahezu ausschließlich aus den Einnahmen dieses Kalenderpatents. Der erste »astronomo ordinario« war Gottfried Kirch, seine Aufgabe war die Herausgabe eines korrekten astronomischen Kalenders. Aufgrund des ständig wachsenden Umfangs dieser Arbeiten gründete man bald eine eigene Abteilung. 1896 konnte sich das »Königliche Astronomische Rechen-Institut« dann vollständig von den Sternenguckern abnabeln und verließ 1912 seinen angestammten Sitz in der Lindenstraße, um in einen Neubau in Lichterfelde zu ziehen. Wie wichtig die Berechnungen aus der Lindenstraße waren, bewies das Jahr 1944. »Für die Dauer des Krieges« wurde das sogenannte »Astronomische Rechen-Institut der Kriegsmarine« aus Sicherheitsgründen in den kleinen Ort Sermuth in Sachsen verlagert. Die amerikanischen Truppen brachten es 1945 nach Heidelberg. Dort ist es bis heute damit beschäftigt, alljährlich die »astronomischen Grundlagen für den Kalender« der Bundesrepublik Deutschland zu publizieren. • |