November 2008 - Ausgabe 102
Briefwechsel
Die neue Gestalt von P. Schwertnagel |
Warum dieser Innovationswahn? Seit zehn Jahren bin ich eine treue Leserin ihres Heftes. Ich habe es in den ersten Jahren durch ein Förderabo unterstützt, ich habe die Veranstaltungen besucht, bei denen die Kreuzberger Chronik mitwirkte, und ich habe das Heft in meinem Bekanntenkreis weitergereicht und die Haltung der Kreuzberger Chronik in Diskussionen eingebracht. Jetzt aber, wo schon auf der Titelseite halbnackte Frauen kopfüber an den Seilen hängen, wo auf der Jubiläumsausgabe statt eines Porträts von Kurt Mühlenhaupt oder irgendeines anderen erfolgreichen Kreuzbergers die Kritzelei eines ausgedienten Musikers abgebildet ist, die keiner ohne Lupe identifizieren kann, werde ich meine treue Haltung aufgeben. Ich habe zwar Verständnis dafür, daß man nach neuen Autoren, neuen Themen oder einem Ersatz für die Rubrik der Straßen suchen muß. Aber ist es wirklich notwendig, Doktor Seltsam wieder auszukramen? Dieser Stalinist war schon immer schwer verdaulich und paßte überhaupt nicht zu Ihrem netten Heft. Und hat die Kreuzberger Chronik es wirklich nötig, sich mit Namen zu schmücken und immer wieder darauf hinzuweisen, daß nun auch der berühmte Kriki und die preisgekrönte Waltraud Schwab und die geniale Buchautorin Zora del Buono im Heft vertreten sind? Am ärgerlichsten aber ist die Auflösung der gewohnten Ordnung mit den Textseiten auf der linken und den Anzeigenseiten auf der rechten Seite. Jetzt stehen sie mal links, mal rechts, man blättert um und sieht: Reklame! Auch das neue Inhaltsverzeichnis, das sich wohl zur Aufgabe gemacht hatte, mehr Information zu vermitteln als das alte, ist meiner Meinung nach komplett mißlungen. Ein einziges Durcheinander! Die einzige positive Veränderung ist die größere Schrift. Um auf diese Idee zu kommen, brauchte man allerdings zehn Jahre. Auch an das neue Logo hätte ich mich vielleicht gewöhnen können – wenn ich die Kreuzberger Chronik weiter lesen würde. Aber das tue ich nicht mehr. • Liebe Ex-Leserin, wir danken Ihnen für die jahrelange Treue und Ihren langen Brief, der uns kaum Platz zu einer Antwort lässt, weshalb wir uns kurz fassen: Wir geben Ihnen – außer zu Ihrer Anmerkung über die Veränderung unserer Schriftgröße -in keinem Punkt recht. Wir möchten auch unbedingt darauf hinweisen, dass wir keineswegs dem Drang unterliegen, alles neuer, schöner und profitabler zu machen. Aber wir sind der Meinung, dass eine auf langjährigen Erkenntnissen fußende Weiterentwicklung, dass ein allmählicher und sanfter Fortschritt, von kritischen wie gelassenen Beobachtern begleitet, eine gesunde Entwicklung ist, das krampfhafte Festhalten am Alten jedoch einer Therapie bedarf. Die Redaktion |