Mai 2008 - Ausgabe 97
Die Geschichte
Taktlos Tanzen von Gabriele Zimmer |
Wenn wir gewollt hätten, dann wären wir jetzt reich!«, sagt Christine Nimtsch. »Aber es ist uns nie ums Geld gegangen. Wir haben gemacht, was Spaß macht. Und das führt bekanntlich zum Erfolg.« Auch, als die erste alternative Tanzschule Berlins auf der Höhe dieses Erfolges stand, und als die Listen jener, die sich zu einem der »taktlosen« Tanzkurse in der alten Offiziersvilla anmelden wollten, bereits mehrere Seiten lang war, dachten die Tänzerinnen und Tänzer des frisch gegründeten Unternehmens nicht an Expansion und Merchandising. Obwohl das durchaus hätte funktionieren können. taktlos ist längst nicht mehr die einzige Alternative in der Stadt zum Tanzen in Krawatte und Ballkleid. Es gibt inzwischen bebob, Maxixe, Walzerlinksgestrickt oder die Tanzfabrik. Nirgends in Berlin sind so viele Tanzstudios entstanden wie in Kreuzberg, wo taktlos 1983 eröffnete. Von jenen, die in den Anfängen mit dabei waren, ist nur noch Christine Nimtsch geblieben. Die anderen sind andere Wege gegangen. Für Christine Nimtsch aber stand das Tanzen schon immer im Mittelpunkt ihres Lebens. Sie ist eine der letzten gewesen, zu deren Erziehung noch der Besuch einer Tanzschule mit Kleiderordnung, Knicks und Knigge gehörte. Ihr kleiner Bruder war von dem Pflichtprogramm bereits befreit und konnte durch die Diskotheken ziehen. Christine aber war »Hamburg bei Nacht« zunächst verboten. Erst später besuchte sie mit ihren Freundinnen vom Tanzkurs nach Walzer und Foxtrott jene Diskotheken, in denen der »Schmuseblues« gerade von den wilden Verrenkungen der Siebziger abgelöst wurde, während mit Farben gefüllte Dias an die Wände geworfen und zu den Vorläufern der Lightshows wurden. Aber Diskotheken wie das Grünspan waren nicht die Welt von Christine Nimtsch. Mit seinen traditionellen Tanzkenntnissen konnte der frischgebackene Teenager nicht punkten. Allein die Erwähnung einer Tanzschule reichte aus, um die langhaarigen Gesprächspartner breit grinsen zu lassen. Doch 1984, in einer Sylvesternacht in Dänemark, wurde die Soziologiestudentin aus Berlin in ein Haus eingeladen, in dem lauter junge Leute ausgelassen Walzer und Cha Cha Cha tanzten. Zurück in Berlin hörte sie von einer sogenannten »Montagsgruppe«, die sich gerade in einer Villa an der Urbanstraße formierte. Noch heute heißt diese Gruppe »Montagsclub« und hat all die Jahre überdauert. Die »Montagsgruppe« war die Geburtsstunde der Tanzschule taktlos, in der sich all jene fanden, die nicht allein auf der Tanzfläche herumhüpfen wollten, sondern einen gewissen Wert auf »Tuchfühlung« legten, für die aber die klassische Variante der verstaubten Tanzschule mit ihren ehernen Gesetzen und der strengen Kleiderordnung doch ein bißchen zu altmodisch war. Die »Montagsgruppe« war eine Marktlücke, aus den anfänglich 20 Leuten, die sich in der Naunynritze trafen, waren nach wenigen Wochen 100 geworden. »Ele und Ulrike begannen damit, Unterricht zu erteilen«. Irgendwann spielte Max Raabe mit seinem Tanzorchester für die Kreuzberger Tänzerinnen und Tänzer, und viele seiner Musiker kamen in der Folge regelmäßig zum Tanzen. »Der Erfolg lag ein bißchen in der Luft!«, sagt Christine Nimtsch. Es war Zeit für »die Rückkehr des Gesellschaftstanzes«, wie die zitty 1990 angesichts der Erfolgsstory der Taktlosen schrieb. Der vielleicht entscheidende Unterschied zu den Tanzschulen mit ihren Lackschuhen und den gebügelten Hosen war die Möglichkeit, auch ohne Partner zu erscheinen. In den 60ern noch waren ein Mann oder eine Frau, die alleine in eine Tanzschule kamen, gebrandmarkt fürs Leben. »Ab 20 hatte man als Paar zu erscheinen«, lacht Christine Nimtsch. In die Urbanstraße aber kamen die meisten »single«. Erst später tauchten wieder Pärchen auf. Und die waren auch schon wieder revolutionär und in den Augen der klassischen Tanzschulen schlichtweg »taktlos«: Es waren die Schwulen. »Mann tanzt« war eines der erfolgreichsten Kapitel in der Geschichte der alternativen Tanzschule. Dabei hatten die Taktlosen die Rebellion gegen die Tradition nie im Sinn gehabt. Sie haben einfach »ihr Ding gemacht«, wollten Spaß haben, »im eigenen Takt tanzen«, nicht taktlos gegenüber anderen sein. Doch die mittwöchliche Männertanzgruppe aus schwulen Rechtsanwälten, Lehrern und Notaren war sensationell und »womöglich die erste auf europäischem Boden!«, sinniert die Mitbegründerin, »Mittwochs geierte die Presse« vor der Villa. Und natürlich wurden die tanzenden Revolutionäre nicht nur neugierig, sondern auch äußerst kritisch beäugt. Vor allem vom ADTV, dem »Allgemeinen Deutschen Tanzlehrerverband«, für den unausgebildete, »wilde Tanzlehrer« ein unverletzliches Tabu darstellten. Zu aller üblen Nachrede kam hinzu, daß auch die Tanzlehrer bei taktlos meistens schwul waren, »der einzige Hetero, den wir angestellt hatten, war arm dran, so oft machten sie ihm den Hof.« Irgendwann in den 90ern aber schlief »Mann tanzt dann sanft und allmählich ein.« Stattdessen kamen endlich auch gemischte Paare in den alten Ballsaal des Offizierskasinos und mischten sich unter die Singles, und im Angebot waren nicht mehr nur Walzer und Foxtrott, sondern längst auch Salsa und Tango. Die neueste Welle, die auch junge Tänzerinnen und Tänzer anzieht, sind Swing und Lindy-Hop. Über 30 Kurse bietet taktlos inzwischen an, 11 Tanzlehrer, vier Tresenkräfte und eine Angestellte im Büro gehören zum Team. Taktlos tanzte schon in der Alten Feuerwache, in der Oranienstraße, in der Muskauer- und der Stresemannstraße, und seit kurzem hat die alternative Schule ihre eigene Etage in der Gneisenaustraße 46/47. Der 9. Mai 1983 soll es gewesen sein, als zum ersten Mal ein paar rauhbeinige Fußballer ihre zarten Partnerinnen zu klassischer Tanzmusik über den Parkettboden des Offizierskasinos führten. Oder auch umgekehrt. Seitdem hat die Tanzschule unzählige Ehen gestiftet. Und mindestens ebensoviele zerrüttet. Sie hat ihre leidenschaftlichen Geschichten erlebt und ihre kleinen Anekdoten zu erzählen. Anekdoten aus 25 Jahren, in denen sie vielleicht manchmal ein bißchen taktlos – aber nie stillos war. Gabriele Zimmer |