Kreuzberger Chronik
Mai 2008 - Ausgabe 97

Die Geschäfte

Licht in der Stadt


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von Hans W. Korfmann

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Drinnen brennen alle Lampen. Hunderte. Es glitzert wie Weihnachten. Aber vor der Tür hängt ein Schild. »Geschlossen«. Weil Herr Schneider irgendwann bemerkt hat, daß mehr Leute reinkommen, wenn er »geschlossen« hat.

»Ich brauche dringend einen dunklen Ausziehtisch. Nicht dieses Ikea-Zeug, wissen Sie. Ich hab in meiner Wohnung nur so alten, dunklen Kram.« Schneider hat so ziemlich alles in seinem Laden, »was schön ist und was niemand braucht«. So wunderbar bemaltes Porzellan, daß man sich nicht davon zu essen traut, Barockengel, Bronzeskulpturen, chinesische Vasen natürlich und einen Hensel Favorit. Das ist ein Staubsauger, der bereits aussieht wie ein Staubsauger, bei dem man aber noch händisch pumpen muß wie bei einer Luftpumpe. »Davon kann ich Ihnen 200 Stück besorgen!«, sagte er zu dem Mann aus dem Adlon, und konnte sich kaum halten vor Lachen bei der Vorstellung, wie alle Zimmermädchen pumpend durch die Gänge des Hotels laufen.

»Diese Ikea-Möbel sind doch scheußlich, finden Sie nicht?«, fährt die Frau fort, die in ihrer Wohnung »nur alten Trödel« hat und am Finger einen ordentlich funkelnden Stein, nicht zu klein. »Naja«, sagt Schneider, »das ist natürlich Geschmackssache, aber Sie haben recht …« Als sie die Tür wieder hinter sich geschlossen hat, murmelt er: »Ich streite mich mit keinem weiblichen Wesen dieser Galaxie!«

Foto: Michael Hughes
»Diese Lampe da, die hab ich bei ebay für 85 Euro gesehen«, sagt eine andere und deutet auf einen Kristalleuchter unter der Decke. Es stehen Möbel, Skulpturen und Stehlampen wie gigantische Pilze in dem Geschäft in der Gneisenaustraße, aber das meiste hängt an der Decke: Kristalleuchter; Zugleuchten, wie sie über Billardtischen hängen, und deren Züge über unzählige Rädchen laufen; riesige Tiffany-Gläser; italienische Designerleuchten, Lampen in der Form eines »Flying Donath«, eines Schneekristalls oder eines vereisten Tannenzapfens. »Und bei dem Lampenladen am Kudamm kostet sie 120«, sagt die Kundin. Aber mit Frauen streitet Schneider nicht. Er tritt etwas näher an sie heran und flüstert: »Wissen Sie, was ich für diese Lampe im Einkauf bezahle? Und wissen Sie, daß ich der einzige bin, der diese Lampen importiert?« Die Kundin merkt, daß sie mit ihren billigen Tricks bei Schneider keine Chance hat, und geht.

Schneider blufft nicht. Schneider kennt sich aus in dem Geschäft. Weil Schneider nämlich »eine ziemlich teure Ehefrau« hatte, die auch immer mit diesem alten Kram ankam. Aber es war nicht die Frau allein, die ihn zum Antiquar machte. Es war vor allem dieses Erlebnis mit der Vitrine, die er wieder verkaufen wollte, weil sie nicht mehr in die Wohnung paßte. 6.000 Mark hatte er drei Jahre zuvor dafür bezahlt, neu, und jetzt bekam er keine 500 mehr dafür. Am Ende schaute sich ein Freund das Stück an, und als auch der ihn noch weiter runterhandeln wollte, nahm Schneider einen Hammer und schlug die Vitrine vor den Augen des Freundes zu Kleinholz. Seit diesem Tag kauft Schneider keine neuen Möbel mehr. »Ich hab was gegen Wegwerfen!«

»Aber schlimm wurde es erst«, als er den Franz aus Holland kennenlernte. Den Franz aus der Trödelszene. Auch so einer mit einem Leben voller Geschichten. Einmal rief Franz ihn an und sagte: »Du, ich hab mir was zum Geburtstag gekauft, komm mal vorbei, das mußt du sehen!« Schneider fuhr nach Holland, Franz öffnete die Tür zu seiner Lagerhalle, und da standen die Original-Saurier aus Jurassic Park. Leo – auch so ein Verrückter, der sich darauf spezialisiert hatte, ausgediente Filmkulissen anzusammeln – hatte ihm die sieben Meter hohen Tiere verkauft.

Mit diesem Franz und der Firma Merchant zog Schneider eine Art Lampengroßhandel auf, ließ in Indien, Thailand, Rumänien und China altertümliche Bronzeständer und Lampengläser produzieren. Das Geschäft florierte, Merchant wurde zum größten Bronzeskulpturenimporteur Europas mit Filialen in Polen, Schweden, Österreich, Spanien, Frankreich – und natürlich Berlin. »Der in Valencia hat den Bock abgeschossen. Der hat für 7 eingekauft und für 35 verkauft. Der ist reich geworden dabei.« Schneider selbst betrachtete den Handel mit den Antiquitäten damals noch als Hobby. Denn auch nach dem Schlüsselerlebnis mit der Vitrine blieb Schneider hauptberuflich Polizist. Bis er dann irgendwann in Neukölln wieder in der Wohnung von diesem Typen stand, und wieder hatte die Frau von diesem Typ einen
Foto: Privatarchiv
dicken Bauch. »Du, wenn ich jetzt nicht sofort gehe, dann schlag ich zu!«, sagte er zu seinem Kollegen. Wenige Jahre zuvor hatte er dasselbe Paar schon einmal besucht, den Anblick des kleinen Kindes hat der Polizist nie vergessen. Daß der Mann wieder auf freiem Fuß war, verstand Schneider nicht mehr.

Jetzt ist Schneiders Hobby zum Beruf geworden. Vor einem Jahr ist er aus den Lagerräumen des Großhandels im Hinterhof nach vorne gezogen und hat ein Geschäft eröffnet: Die Lampentruhe. Hier fühlt er sich wohler als bei der Polizei, die Geschichten aus der Trödelszene sind witziger. Ein bißchen wenigstens. So wie die von dem Typen mit der chinesischen Frau, »die nie älter wurde, zwanzig Jahre lang nicht. Die sah immer gleich aus, wie Porzellan. Aber eines Tages ist sie mit einem andern abgehauen. Daraufhin ist der Mann nach Thailand geflüchtet. Er wollte nicht die gleiche Luft atmen wie sie«.

Jetzt sitzt Schneider hinter seinem Schreibtisch, trinkt Kaffee, telefoniert, witzelt mit Kollegen, vermeidet Streit mit Frauen, und manchmal sausen seine vier großen Pudel durchs Bild mit den vielen alten Möbeln und Lampen: Merlin, Miles, Moriell und Mortimer. Franz hat Schneider nun schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Franz ist jetzt in China und entwickelt eine neue Schokolade. Und alles, was von Merchant noch geblieben ist, das sind ein paar alte Lampen. Die stehen jetzt in Schneiders neuem Laden. Der Lampentruhe. In Kreuzberg.

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