März 2008 - Ausgabe 95
Kreuzberger
Maria Ramos Wir hatten immer nur Politiker
von Ina Winkler
|
Ihre Sprache, diese Symbiose aus Deutsch und Spanisch, diese Mischung aus Charme, Witz und erhobenem Zeigefinger, ist unverwechselbar. Und wenn ein Kunde »ein kleines Glas Rotwein, also 0,1« bestellt, dann bleibt Maria Ramos stehen, legt den Kopf auf die Seite und sagt, die Arme in die Hüften gestemmt: »Was ist los, Señor, bist Du krank? 0,1 Liter? 1 Liter bekommst Du. Alles klar!« »Alles klar!«, das ist eine ihrer liebsten Redewendungen. Der hartnäkkige Gebrauch verstaubt klingender Vokabeln ist eine Eigenart von Maria Ramos. Während ihre deutschen Generationsgenossen längst offen von »Gangstern« oder »Verbrechern« sprechen, gebraucht die Spanierin noch so poetisch klingende Begriffe wie »Halunken« oder »Ganoven«. Und wenn die Deutschen meinen, daß jemand »verrückt« sei, dann ist er für Maria höchstens »bekloppt«. Foto: Privat
Dennoch zog es die junge Maria nach Madrid, wo sie »für so eine politische Zeitung« arbeitete. Sie stand im Fotolabor und entwickelte Negative. Eines der ersten war ein Bild von Konrad Adenauer, der gerade zu Besuch war. »Wir hatten immer Politiker, immer nur Politiker!« Maria Ramos verdreht die Augen. Maria Ramos nämlich legte Wert auf das Äußere, auf passende Kleider, sie war »immer schickimicki«. Aber diese Politiker hatten einfach keinen Geschmack. Doch die Nächte in Madrid waren lang wie die Nächte in Kreuzberg. Länger vielleicht. Und eines Tages – oder in einer dieser langen Nächte – begegnete sie tatsächlich einem Mann, der dem Mädchen aus Kastilien so gut gefiel, daß sie ihm das Jawort gab. Praktischerweise war der Mann ein Spanier, der in Deutschland lebte. Und Maria wollte fliegen, wollte fliehen. Was nicht leicht war zu Francos Zeiten. Nun saß sie in einem Flugzeug an der Seite ihres Gatten und flog nach Berlin. Und sie war glücklich. Und blieb glücklich. Obwohl die Wohnung in der Schlesischen Straße viel zu klein war für die große Freiheit. Die Toilette im Treppenhaus. Keine Dusche. Ein qualmender Ofen, zwei Zimmer im Schatten der Mauer. »Ich hatte schon in Madrid immer von der Mauer gehört, aber die Mauer interessierte mich nicht. Ich wollte fliegen.« Sechs Monate blieb das junge Paar in der engen Wohnung, der Sohn wurde geboren. Marias Mann hatte gute Arbeit, doch dann erzählte ihr eine Freundin, die in der Kantine der Polizei in der Friesenstraße arbeitete, daß man noch eine Frau für die Küche suche. Da steckte Maria ihren vier Monate alten Sohn kurzentschlossen in die Krippe in Schöneberg und begann zu arbeiten. »Ich konnte kein Deutsch, also mußte ich in den Keller. Buletten machen.« Aber ich war »immer schickimicki, immer schöne Kleider«, und »am nächsten Tag sagt der Chef, ich soll nach oben gehen und das Geschirr einsammeln«. Nach drei Monaten war Marias Deutsch so gut, daß sie mit der Essensausgabe betraut wurde. Der Chef hatte gemerkt, daß Maria nicht nur hübsch war, sondern zudem gut rechnen konnte. Auch die Gäste in der Kantine begannen, sie zu schätzen. Manchmal kamen sie und sagten, sie hätten gern ein Rührei, »aber nur von der Maria!« Auch die anderen Vorzüge der jungen Spanierin wußten die Männer zu schätzen, aber die Frau aus Kastilien blieb streng. Und wenn die Polizisten dumme Witze über sie machten, dann stand der Chef hinter ihr und sorgte für Ordnung. Obwohl das gar nicht nötig gewesen wäre. Maria wußte sich zu verteidigen, sie drohte jedem mit dem Zeigefinger. Als eines Tages so ein alter Nazi, »ein bekloppter alter Mann«, zu ihr meinte, die »Ausländer seien ja doch alle nur Verbrecher«, schleuderte sie ihm den nassen Lappen ins Gesicht. »Und dann merke ich, daß der Chef auch da ist und alles gesehen hat. Ich hab gedacht, ich krieg die rote Karte«, aber der Chef klopfte ihr auf die Schulter. Noch heute erhebt Maria Ramos gern ihren Zeigefinger. So wie sie auch heute noch von »Ganoven« und »Bekloppten« spricht. Sie hängt an diesen Worten. Sie haben ihr geholfen, sich durchzusetzen. Mit ihnen hat sie klargestellt, daß sie sich nicht beugen wird. Daß sie eine stolze Kastilierin ist, und keine, die sich zufällig in ein fremdes Land verlaufen hat. Sie hatte fliegen wollen. Nicht mehr und nicht weniger. Und sie hat bekommen, was sie wollte. Auch alle diese Papiere, die man in Deutschland zum Leben braucht. Das war leichter für einen Fremden, der bei der Polizei arbeitete. Foto: Privat
Doch nicht alle Träume von fernen Ländern waren so kindlich wie die vom Fliegen und den Würsten. Insgeheim hatte das Mädchen vom kastilischen Lande wohl auch daran gedacht, Karriere zu machen in der Fremde. Tatsächlich war Maria gerade vierzig Jahre alt, als sie sich selbständig machte und als Chefin die Kantine einer Postfiliale in Tempelhof übernahm. Sie kochte für 300 Personen, hatte vier deutsche Angestellte, und arbeitete von früh bis spät. Fünf Jahre lang. Heute kocht sie in der Markthalle. »Bei meinem Klaus.« Vor fünfzehn Jahren lernte sie dessen Frau kennen, und als Klaus dann sein Käsegeschäft – »260 Sorten Käse, ich sage dir!« – im Forum Steglitz eröffnete, fragte sie, ob Maria ihrem Mann nicht helfen könne. Seitdem sind sie drei Mal umgezogen mit dem Geschäft, zuletzt vom Containerdorf zurück in die Markthalle. Sie haben die ganze Nacht gearbeitet, bis fünf Uhr morgens. Und um sieben aufgemacht, »ich sage dir! Und trotzdem: fünfzehn Jahre und kein böses Wort!« Dabei sind die Deutschen ja eigentlich schwierig. Die Spanier sind geselliger. »Meine Schwester hat einen Fleischerladen in einer Markthalle in Madrid. Da wird geredet. Da kennen die Kunden die ganze Familie, Opa, Oma, Enkelkinder, das ganze Leben von einem. Hier weiß niemand was von mir. Aber vielleicht schreib ich mal ein Buch: Das war mein Leben in Deutschland.« Vielleicht würde sie dann auch von Zekai erzählen. Zekai, der sie immer zum Essen einladen wollte. Aber Maria hatte beschlossen, sich mit niemandem mehr einzulassen. »Alles Ganoven, diese Männer, jajaja!«, sagt Maria und nickt und droht mit dem Finger. 25 Jahre hatte sie ausgehalten an der Seite des Spaniers, der ihr den Traum vom Fliegen erfüllte. »25 Jahre! So bekloppt war ich!« Aber die Gesellschaft mit den Deutschen war nicht gut für ihn. Die Deutschen tranken so viel, »Bier, Wodka, Bier. Was ist denn das, immer nur Bier, Wodka, Bier?« Eines Tages im März nahm sie ihre Handtasche und ging. »Am 1. März. 1996. Nur mit meiner Handtasche!« Und dann – es war noch in der alten Markthalle – erschien Zekai. Ein stiller Mann, der im spanischen Feinkostladen in der Halle Kaffeetrinken kam. Und eine Boutique hatte, feine Kleider, in Steglitz. Er war zurückhaltend, aber eines Tages lud er sie zum Essen ein. Maria lehnte ab. Aus Gewohnheit. Maria hatte immer abgelehnt, bei der Polizei, am Imbiß, auf der Post. Ein Jahr lang warb Zekai, und ein Jahr lang lehnte Maria ab. Eines Tages, als es so furchtbar regnete, durfte er sie nach Hause begleiten, mit seinem großen Schirm. »Aber vor der Haustür war Feierabend, jajaja!« Als er zu Weihnachten anrief, sagte sie: »Ich habe die Wohnung voller Leute, du darfst kommen.« Ja, und dann ist sie eines Tages doch noch mit ihm Essen gegangen. Türkisch. In Schöneberg. Und dann irgendwann, viel später, sind sie zusammen nach Madrid gefahren, nach Kastilien, und in die Türkei, wo Zekai noch ein Haus hat. »Ja, richtig Multikulti, ein Türke und eine Spanierin in Kreuzberg.« Zekai kommt noch immer in die Halle, um Kaffee zu trinken. Obwohl Maria dann keine Zeit hat für ihn. Sie muß dann Käse und Würste schneiden, Wein ausschenken, rechnen. Drei Jahre noch. Dann wird sie keine Wurst mehr schneiden. Dann ist sie 65 Jahre alt. Aber Maria spricht noch immer die Sprache der jungen, hübschen, widerspenstigen Spanierin, die den deutschen Polizisten das Essen serviert. Die sich nichts gefallen läßt. Und wenn jemand zu ihr in die Markthalle kommt und einen Kakao bestellen möchte, dann stemmt sie die Arme in die Seite und sagt: »Kakao trinkst du? Na Madonna, das ist doch ein Kindergetränk! Schämst du dich nicht.« Ina Winkler |