Kreuzberger Chronik
März 2008 - Ausgabe 95

Herr D.

Herr D. und die Polizei


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von Hans W. Korfmann

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Polizisten ging der Herr D. lieber aus dem Weg. Weniger aus politischen Motiven als aus schlichter Antipathie. Zwar gab es auch andere verdächtige Uniformträger wie Forstbeamte, Fahrkartenkontrolleure, Soldaten oder Postboten, doch mit Abstand am unsympathischsten waren Polizisten, die noch immer Knüppel und Pistolen an ihre Gürtel hängten und dazu ein Gesicht aufsetzten, das auch sechzig Jahre nach der Diktatur Kinder das Fürchten lehrte.

Deshalb mied der Herr D. die Polizei. Doch die Polizei mied den Herrn D. nicht. Im Gegenteil, sie schien ihn auf der Fahndungsliste zu haben. Wenn sie einen einzigen von 300 Passagieren eines Interkontinentalfluges ansprachen und die Papiere verlangten, dann war es der Herr D. Er weckte auch dann noch den Jagdinstinkt in ihnen, wenn sie längst außer Dienst waren. So wie kürzlich, als er in aller Eile noch bei Gelb über eine Kreuzung radelte. Wegen der Post, die gleich schließen würde. Und die sein Paket bereits zweimal wieder zurückgeschickt hatte. Doch der Polizeibeamte, der mit seiner Aktentasche schon auf dem Heimweg war, streckte den Arm aus und trat mit einem Bein auf die Straße.

Der Herr D. ging Polizisten lieber aus dem Weg. Er umfuhr den Ordnungshüter großräumig. Da rief ihm der Beamte hinterher: »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Verkehrstod!« Der Herr D. wollte umkehren. Doch dann hätte er das Paket nie erhalten. Also prägte er sich ein: schmales Gesicht, Mitte Fünfzig, schwarze Lederjacke, Jägerbart.

Der Herr D. mochte keine Polizisten, aber die Jägerbartvariante, diese viereckige, meist graue Symbiose aus Oberlippenbart und Kinnhaarbewuchs, die war dem Herrn D. von allen Varianten die unsympathischste. Tatsächlich entdeckte er den Ordnungshüter wenige Tage später mit drei Kollegen vor der Glasbrennerschule in der Hagelberger Straße. Am Eingang standen Kinder mit roten Pappnasen, braunen Cowboyhüten und schwarzen Augenbinden. Als der Faschingsumzug komplett war, sprang der Jägerbart auf die Fahrbahn und streckte beide Arme aus. Angesichts des lebensmüden Beamten bekamen Kinder und Autofahrer einen Schreck. Als der kleine Faschingsumzug endlich die Straße überquert hatte, sagte der Herr D.: »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Verkehrstod!«

Der Jägerbart sagte: »Sie sind bei Rot über die Fahrbahn gefahren!« – »Und deshalb wollen Sie mich gleich zum Tode verurteilen?«, ereiferte sich der Herr D. »Glauben Sie, wir sind hier in Amerika, daß Sie tun und lassen können, was Sie wollen, nur weil Sie ne Uniform anhaben.« »Es ist meine Pflicht, sie vor dem Schlimmsten zu bewahren!«, verteidigte sich der Bartträger. – »Ach Quatsch! Ihnen wäre es am liebsten gewesen, wenn man mich an Ort und Stelle überfahren hätte. Nur, damit Sie recht behalten hätten. Damit Sie sagen können: Hätte er sich an die Straßenverkehrsordnung gehalten, wäre er noch am Leben. Aber wissen Sie eigentlich, wie viele Kinder bei Grün über die Ampel gehen und überfahren werden? Nur wegen Ihrer blöden Ordnung, Sie Vollidiot? Ordnung ist nur eine Richtlinie, haben Sie das nicht gelernt, sie Depp! Ein gewissenhafter Bürger prüft die Ordnung. Aber Sie stellen sich in blindem Vertrauen hinter ihre Paragraphen und auch noch auf die Seite der Autofahrer, sie Doofkopp …«

»Sie kommen jetzt mal mit!« Der Herr D. spürte, wie ihn jemand von hinten am Arm packte. Er hatte vergessen, daß der Feind Verstärkung mitgebracht hatte. Eigentlich mied der Herr D. den Kontakt mit der Polizei. Aber sie mied ihn nicht.

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