März 2008 - Ausgabe 95
Die Geschichte
Die Gasstation in der Fichtestraße von Horst Unsold |
Die Gasstation in der Fichtestraße war eine dieser liebenswerten Idyllen, die sich in vielen Berliner Hinterhöfen verstecken, und die an jene vergangenen Zeiten erinnern, als Berlin noch keine große Metropole war. Als unter hohen Bäumen kleine Häuschen mit Gärten voller Blumen und Gemüse standen. Zwei solcher alten Bäume mußten kürzlich weichen. Auch das kleine Häuschen mit seinem stillen, von der Fichtestraße kaum einzusehenden Garten, schaut anderen Zeiten entgegen. Denn nebenan wird gebaut. Oben, auf dem Dach eines alten Gasometers, entstehen in 21 Meter Höhe 17 exklusive Apartments. Die Grundsteine für die neuen Wohnungen stammen aus dem Jahr 1874. Berlin lag noch im Licht traniger Kerzen und rußiger Petroleumlampen. Zwar brannten bereits 1826 in der Paradestraße vor dem Brandenburger Tor die ersten 27 Lampen der englischen Imperial Continental Gas Association, doch bis die Laternen auch in die weniger prädestinierten Viertel drangen, vergingen noch einige Jahre. Erst der Berliner Oberbürgermeister Arthur Johnson Hobrecht brachte auch hier Licht ins Dunkel, indem er seinen Bruder James mit der Neuordnung der geradezu anarchistisch wuchernden Stadt beauftragte. Der Stadtarchitekt James Hobrecht plante nicht nur ein übersichtliches Verkehrsnetz, sondern gemeinsam mit dem Mediziner Rudolf Virchow auch die Einrichtung von Wasserleitungen und einer Kanalisation zur Beseitigung des unsäglichen Gestankes in den Berliner Rinnsteinen. Der wuchernden Kriminalität in der Zwielichtigkeit der Armenviertel aber begegneten die Hobrecht-Brüder mit dem Bau von Gaslaternen. Bis vor kurzem noch besaß Berlin 40.000 dieser alten Gaslaternen – die Hälfte aller noch vorhandenen Gaslaternen Europas! Der Gasometer an der Fichtestraße Nummer 4–11 war einer von insgesamt vier Gasometern in der Straße, die Berlins Straßenbeleuchtung im Vergnügungsviertel an der Hasenheide mit Brennstoff versorgen sollten und zur Kreuzberger Gasanstalt gehörten, die ihren Sitz in der Nähe der Prinzenstraße hatte. Gebaut wurde er im Auftrag der städtischen Gasbehälter-Anstalt zum einen vom sogenannten »technischen Dirigenten« Eugen Reissner, sowie von Johann Wilhelm Schwedler, der bereits den Gasbehälter an der Friedrichshainer Holzmarktstraße mit der Erfindung seiner Schwedlerkuppel gekrönt hatte: einer 12 Meter hohen Konstruktion einer freien Kuppelwölbung aus einem komplizierten Stahlgitter. Die sogenannte »Schwedlerkuppel« konnte einen Durchmesser von 45 Metern erreichen. Als Vorbild diente wieder einmal ein Entwurf des berühmtesten Baumeisters jener Jahre: der Plan einer Rundkirche von Karl Friedrich Schinkel. Der technische Dirigent war nur für den steinernen Zylinder unter der spektakulären Haube verantwortlich. Er ist aus gelben Klinkern gemauert, verziert mit roten Gesimsbändern und einem rotgelben Schmuckband aus Tonfliesen. Auf jedem der zwei Geschosse befinden sich 32 Rundbogenfenster. Da man damals noch keine Kräne zur Verfügung hatte, wurde das Stahlnetz des Kuppelbauers noch auf dem Boden montiert und während des Baus von den Maurern und Architekten Stück für Stück in den Himmel gehoben. 30.000 Kubikmeter Gas konnte der fertiggestellte Gasometer fassen und war damit auf dem neuesten Stand der Technik. Doch bereits in den 1922 wurden die Gasbehälter in der Fichtestraße nutzlos. Die Elektrizität hatte Einzug in die Häuser Berlins gehalten, 18 Jahre lang blieb es still auf dem Gelände an der Fichtestraße. Dann errichtete die »Siemens-Bauunion« Baracken für Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene, die im Dezember 1940 mit dem Umbau des alten Gasbehälters zu einem gigantischen Luftschutzbunker begannen. Auf sechs Ebenen und unter bis zu 3 Meter dicken Stahlbetonmassen richteten die Gefangenen 740 Aufenthaltsräume, Belüftungsschächte, sanitäre Anlagen, Heizkessel, Küchen, sowie Zellen für Gefangene ein. Nicht um deren Leben zu retten, sondern um zu verhindern, daß sie in den Kriegswirren entkommen könnten. Die Zwangsarbeiter arbeiteten so schnell, daß bereits im Februar 1941 die ersten Angriffe auf den Fichtebunker hätten geflogen werden können. In der Tat wurde der Bunker voller Frauen und Kinder bald zu einem prädestinierten Ziel der Angreifer und unablässig bombardiert. Doch der Beton hielt. Er überstand selbst den großen Luftangriff in der Nacht zum 3. Februar 1944. 30.000 Menschen sollen in jener Nacht im alten Gasometer Zuflucht gefunden haben. Foto: Dieter Peters
Der Gasometer an der Fichtestraße ist indes der letzte ummauerte Gasbehälter Berlins. Unter Denkmalschutz stehend wird deshalb seine steinerne Hülle erhalten bleiben, den Betonmassen aber rücken Spezialeinheiten zu Leibe. Die umständliche und Millionen kostende Entkernung des Rondells verhinderte den Umbau zu einem Theater, das antiken Vorbildern wie dem Kolosseum nicht unähnlich gewesen wäre und ein Kreuzberger Vorzeigeobjekt hätte werden können. Stattdessen investierte man Millionen in den Bau des verwaisten Tempodroms. Nicht weit von Kreuzberg, am S-Bahnhof Schöneberg, steht das Stahlgerüst eines weiteren Gasometers. Dort hat die Firma Denkmalplus das Gelände von der Gasag erworben und will im Verbund mit europäischen Firmen im Stahlgerüst ein »Europäisches Energie Forum« einrichten, was eine sinnahe Metamorphose für einen der vier letzten Gasometer zu sein scheint. Auf dem Dach des Fichtebunkers dagegen entstehen 17 exzentrische Eigentumswohnungen. Doch nicht nur das: Auch auf dem Land, das den Bunker umgibt, und auf dem wenige Jahre zuvor noch eine Ziegenherde weidete, werden Townhouses mit 19 weiteren Eigentumswohnungen entstehen. Ähnlich wie auch im Viktoriaquartier. Die alten Eichen sind schon gefallen. Das hübsche Haus mit seinem kleinen Garten liegt nun inmitten einer Landschaft, auf der die Baumaschinen das Sagen haben. Das ist der Lauf der Welt, sagen die einen. Das müßte nicht sein, sagen die anderen. Denn auch, wenn dieser kleine Fleck Kreuzberg bliebe, wie er ist: Er würde den Lauf der Welt nicht behindern. Horst Unsold |