Kreuzberger Chronik
Juni 2008 - Ausgabe 98

Die Geschäfte

Geschäfte im Bergmannkiez


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von Horst Unsold

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As Charalampos Ioannou und Michael Laser im Herbst 1998 in den befreundeten Kneipen, Restaurants und Geschäften von der Idee einer neuen Kiezzeitschrift erzählten, stießen sie zunächst auf sehr verhaltenes Interesse. Zu viele solcher Ideen waren schon gescheitert. Immerhin etwa 20 Inserenten erklärten sich am Ende bereit, das neue Blättchen mit einer Anzeige zu sponsern. Nachdem das Heft mit einer Titelgeschichte über den schnurrbärtigen Friedhofsgärtner Egon Elend erschienen war, wuchs die Zahl der Inserenten auf über 30 an. Wolfgang Krolows Titelfoto von der 90jährigen Chansonette Marga Behrends, die den Lesern der ersten regulären Ausgabe der neuen Kiezzeitschrift die Zunge herausstreckte, überzeugte dann auch die Zögerlichen.

Ohne jene Geschäftsinhaber, die damals bereit waren, das Projekt einer etwas anderen Kiezzeitschrift zu unterstützen, wäre auch die Kreuzberger Chronik nur eine jener vielen journalistischen Dreimonatsfliegen gewesen, die heute wieder vergessen sind. Bemerkenswert ist, daß alle diese Geschäftsleute zu den sogenannten Alternativen gehörten. Den 78ern.

Zu jenen, die schon in der Nullnummer vertreten waren, gehört Georgios Chrissidis vom Restaurant Z, das seinen Namen einem legendären Film gegen die griechische Militärjunta verdankt. Im Z haben wir schon in der Planungsphase mehr als eine Flasche Wein getrunken. Mindestens hundert Flaschen haben wir bisher in der Enoteca Bacco getrunken. Mit Helmut Hahne, dem Ökoweinspezialisten, der bis heute raucht, aber keine Marlboro verkauft. Aus politischen Gründen. Auch er war schon in der Nullnummer mit dabei. Ebenso wie Herr Pantos, der Besitzer des griechischen Feinkostladens in der Markthalle, ein Einwanderer der ersten Generation, der mit glänzenden Augen erzählte, wie seine Frau sich hinter die Theke des neu eröffneten Geschäftes stellte, obwohl sie kein Wort Deutsch sprach. »Und trotzdem kauften alle bei ihr.« Noch heute liegen bei Olgas Feinkost unsere Hefte aus. Auch das Mandala, der kleine, gutsortierte Naturkostladen in der Heimstraße mit dem »Yin und Yang«-Logo, ist ein Kreuzberger Urgestein aus jener Zeit, als Bio noch etwas mit alternativem Leben zu tun hatte. Als man in Kreuzberg noch von Indien träumte, und als Indien noch ein Abenteuer war, das man nicht im Flugzeug, sondern in rostigen VW-Bussen und mit dem Rucksack auf dem Rücken eroberte. Rucksäcken, die man schon damals in der Bergmannstraße kaufte. Nirgends in der Stadt gab es für die Tramper und Abenteurer eine so große Auswahl an Rucksäcken wie schon damals bei BagAge. Der Laden mit dem Wortspiel im Namen ist längst Kult, kaum ein Kreuzberger, der vor einer längeren Reise nicht einen Blick in die Bergmannstraße wirft – auch wenn das BagAge längst auch moderne Handtaschen und stabile Computerköfferchen für die Reisenden der Neuzeit in seinem Sortiment hat.

Es sind immer die etwas anderen Geschäftsleute gewesen, so wie auch Petra Köckeritz aus dem Fotoladen in der Bergmannstraße oder Tausendundein Buch aus der Gneisenaustraße – die damals bereits die Nullnummer mitfinanzierten. Ein Jahr später waren dann die meisten jener Kneipen und Restaurants vertreten, die noch heute zu unseren ständigen Inserenten gehören und in unserem Lageplan verzeichnet sind: Dimokritos, Atlantic, Heidelberger Krug, Bar Centrale, die Osteria, das Yorckschlösschen – um nur einige zu nennen. Aber auch unter denjenigen, die keinen Wein und keine Souvlaki verkauften, stießen einige feste Größen dazu: Pinocchio, die Diakoniestation, das Inselhaus, Claudia Marschner mit ihrem alternativen Beerdigungsinstitut: alles Menschen und Geschäfte, die anders waren als der Durchschnitt.

Auch Stefan Neitzel von der Fahrradstation macht da keine Ausnahme. Dieser Mann, der nie Zeit hat, ständig mit drei Leuten gleichzeitig telefoniert, von Geschäftsbilanzen, Marketing und Werbefeldzügen spricht, der gegen die Deutsche Bahn vor Gericht zog und verlor wie David in der ersten Runde gegen Goliath, der inzwischen sechs Fahrradstationen über die Stadt verteilt hat und seit einigen Jahren die Rückseite der Kreuzberger Chronik mit seinen rotfarbigen Anzeigen bedruckt, weil dieses »Medium einfach phantastisch ist. Allerdings müßte man die Auflage um etwa 30.000 Exemplare erhöhen!« Selbst dieser schon klischeehafte Geschäftsführer fällt nicht aus der Reihe der sympathischen, alternativen Mitgründer dieses Kreuzberger Stadtteilmagazins.

Denn auch Stefan Neitzel begann aus Leidenschaft, nicht aus Berechnung. Er begann mit einem französischen Rennrad, das ihm der Vater schenkte, als er 15 Jahre alt war. Mit 16 gefiel ihm die blaue Farbe nicht mehr, weshalb er sich entschloß, das Rad schwarz zu streichen. Zu diesem Zweck mußte er es, pedantisch wie er war, erst einmal komplett auseinanderschrauben. Bis zum Abitur lag es nun, zerlegt in seine vielen Einzelteile, in seinem Zimmer. Eines Tages aber baute er es wieder zusammen und radelte damit nach San Sebastian. Als er später Politologie an der FU studierte, veranstaltete er ein Seminar über das Baskenland und lernte Spanien im Lauf der Jahre immer mehr lieben – nicht zuletzt einer Spanierin wegen, die heute seine Frau ist. Eine heimliche Liebe aber blieb immer das Rad. 1999 eröffnete er in der Bergmannstraße die erste Kreuzberger Fahrradstation. Sie ist bis heute eine der tragenden Säulen der Kreuzberger Chronik.

Nicht unerwähnt sollen an dieser Stelle aber auch all jene bleiben, die uns jahrelang unterstützten, inzwischen aber den Kiez verlassen haben. Allen voran Gaetano Scognamiglio mit seinem mürrischen Witz und dem »Copyshop mit dem französischen Flair« im Souterrain der Bergmannstraße. Er starb, ohne seinen Traum vom ruhigen Lebensabend in Nordafrika verwirklicht zu haben. Uns ist er unvergeßlich, wir widmeten ihm ein Porträt.

Ebenfalls seit fast zehn Jahren mit dabei war das Reformhaus Krieger, eines der ersten Geschäfte überhaupt, die eine gesunde Ernährung auf ihre Fahnen schrieben und Bioprodukte einführten. Heute ist die ganze Bergmannstraße biologisch. Die Buchhandlung Ringelnatz verließ uns, weil man die Miete um 100 Prozent erhöhte, und das Matto, wo wir an die 1.000 Bier getrunken haben müssen.

Auch dem Schreibwarenspezialisten Reimer vom Mehringdamm, jetzt Büro-Service Müller, den Steuerberatern Kleppeck und Partner, dem Brotgarten, der Apotheke zum Goldenen Einhorn, der Krankengymnastik Kögel, dem Mehringhoftheater, dem Hotel Transit, der Buchhandlung Kommedia, Room & Garden, El Naranco, Yalda und der Bäckerei Mehlwurm aus der Markthalle, so wie allen anderen, die schon immer wieder auf unseren Seiten zu finden sind und damit dieses Heft erst ermöglichen, sei an dieser Stelle einmal herzlich gedankt.

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