1978 gründeten türkische Feierabendspieler einen Fußballclub. 30 Jahre später sind die Kreuzberger Kicker eine Legende
| Ein Sonntag im Juni. Im Golgatha, der ehemaligen Sportlergaststätte am Kreuzberg, qualmen die Schweinswürstchen auf dem Grill, liegen Frauen in Liegestühlen, sitzen Männer vor dem Bier. Keiner wirft einen Blick auf das Katzbachstadion, wo der Schiedsrichter gerade auf die Uhr schaut. Kaum hat er angepfiffen, wird es orientalisch auf dem Kreuzberg, der Davulspieler beginnt die Mannschaft vorwärts zu trommeln und die Zurna beschwört keine Schlangen mehr, sondern die Spieler auf dem Feld. Bei jedem Angriff von Türkiyemspor wird der Trommler schneller, werden die Töne der hölzernen Flöte euphorischer. Schon nach zehn Minuten steht es Eins zu Null für die Gastgeber aus Kreuzberg, weitere fünf Minuten später beginnen sie auf der Tribüne neben den Musikern bereits zu tanzen. Das dritte Tor ist nur noch eine Frage der Zeit, der Lichterfelder FC hat keine Chance gegen den berühmtesten Migranten-Verein Deutschlands. Auch auf der großen Tribüne im Schatten ist man sich des Sieges gewiss. Die Kameramänner filmen nur, wenn es von rechts nach links geht. Die andere Richtung ist uninteressant. Auch die Kaugummi kauenden Väter, die Kinder, die jungen Frauen mit den wehenden Haaren beobachten durch ihre großen Sonnenbrillen vor allem das Geschehen im gegnerischen Strafraum. Es ist viel türkische Prominenz unter den 500 Zuschauern im Schatten, Berlins größter Dönerproduzent und wichtigster Sponsor der Mannschaft fehlt ebenso wenig wie der Hrausgeber von Merhaba oder der Fotograf der Hürriyet. Auch der Kreuzberger Bürgermeister ist da. Gegenüber, auf der Sonnenseite, trommeln die Musiker inmitten des kleinen Fanclubs, dessen wichtigster Bestandteil der THC ist: ein Zusammenschluss friedlich rauchender Freizeitfußballer vom Oranienplatz, denen die ständige Suche nach Spielplätzen irgendwann zu dumm wurde. Deshalb gründeten sie 1987 den THC-Franziskaner. seit Jahren folgen sie der deutsch-türkischen Mannschaft auf die Schlachtfelder, und Mitte Juli wird der THC vom Oranienplatz zum ersten Mal gemeinsam mit seinem Idol auf dem Platz an der Wiener Straße stehen. »Das wird die größte Niederlage unseres Lebens!« Doch dieses Spiel musste sein. Türkiyem hat vor 12.000 Zuschauern gegen Hertha BSC, gegen Bayern München, Fenerbahçe Istanbul gespielt, aber keine Mannschaft steht ihnen so nahe wie die tätowierte Kreuzberger Hausbesetzertruppe. •
Sie ließen sie auch dann nicht im Stich, als der Club 1994 schon einmal in der Regionalliga spielte und in den Osten reisen musste. Der politisch korrekte THC fuhr mit. Ebenso wie Günter Hartmann, dem die südländische Stimmung auf dem Platz irgendwann besser gefiel als der Bratwurstduft bei den Spielen von Blau-Weiß 90 aus Mariendorf. »Die Spiele gegen Cottbus waren eine haarige Sache, das ging nie ohne Polizei ab, das waren immer Risikofahrten. Inzwischen aber haben sich die meisten daran gewöhnt, dass Türkiyem beim Fußball mitspielt.“ Die Meinung aber, dass die Kreuzberger unfairer spielen als die anderen Berliner, ist noch immer weit verbreitet. Das Image rührt noch aus den Anfängen des Vereins, der sich 1978 aus einer Gruppe türkisch-kurdischer Freizeitspieler formierte. Erst allmählich, als Türkiyem erfolgreich wurde, schlossen sich deutsche Spieler der orientalischen Truppe an. Heute ist Deutsch die offizielle Trainingssprache, die Kreuzberger Fußballmannschaft ist längst multikulturell. Und die Roten Karten sind bei Türkiyem ebenso verpönt wie bei den Bayern. Wenn ein Spieler auffällig wird, droht der Ausschluss. Selbst bei den Mädchenmannschaften von Türkiyem herrscht Strenge. Wer unentschuldigt vom Training fernbleibt, wird angemahnt. Sogar dann, wenn es um einen Geburtstag geht. »Ich hab doch nur einmal im Jahr Geburtstag!«, sagt eine der Spielerinnen, aber Günter Hartmann, der inzwischen zu den vielen ehrenamtlichen Mitarbeitern des Clubs gehört und für die Spiel- und Trainingspläne der Jugend zuständig ist, bleibt hart. Man könne seine Mannschaft nicht einfach im Stich lassen! »Die andern sind dann die Angeschissenen!« Die D-Mädchen auf dem schattigen Sportplatz gleich neben dem Kanal an der Lohmühleninsel haben den Aufstieg in die Verbandsliga nur knapp verpasst. Sie nehmen die Bälle aus der Luft an, stoppen mit der Ferse, dribbeln um die Gegnerinnen. Doch so verbissen wie die Jungs, die sich gerade auf der andern Hälfte des Platzes warm spielen, sind sie nicht. In jeder Trainingspause verlassen sie kurz das Feld, um Rufus, den Pudel, zu streicheln, der am Rand sitzt und zuschaut. Neben Martischa, die gekommen ist, um ihrer Freundin Dilan beim Training zuzusehen. Die fünf deutschen und fünf türkischen Spielerinnen verstehen sich gut. Vom Berliner Völkerkonflikt keine Spur. »Nur frech sind sie!«, meint Ute, die blonde, zierliche Trainerin, die eigentlich von der Insel Fehmarn kommt. Als sie in der Kneipe von ihrer Muskelzerrung erzählte, rief Murat, der Mädchenbeauftragte von Türkiyemspor: »Was, du spielst Fußball?« Seitdem ist sie Trainerin.
Türkiyemspor Anfang der Achtziger im Katzbachstadion Foto: Wolfgang Krolow
»Sie machen, was sie wollen!«, sagt Ute, »aber sie spielen fairer als die Jungen!« Obwohl auch die auf dem Platz jeden mit Handschlag begrüßen. Auch am Imbiss mit seinen Getränken und Schokoladen und den kleinen Pokalen neben dem Samowar herrscht kein Gedrängel, sondern ein höflicher Tonfall. Die Mädchen allerdings werden von den Jungen kaum beachtet. Und wenn eines von ihnen unten auf dem Feld steht, den Fuß auf den Ball gestützt, und vielleicht sogar verträumt in das glitzernde Wasser des Kanals blickt, dann kommen sie von hinten angestürmt und kicken ihr den Ball unter dem Fuß weg, dass es nur so knallt. Da werden die Gentlemen, die sich sonst die Hände schütteln wie Mannschaftskapitäne vor dem Anpfiff und Politiker zum Fototermin, wieder zu Rüpeln. 17 Jungendmannschaften hat Türkiyemspor im Rennen, kein Wochenende, an dem der Club nicht seine Auftritte hätte. Insgesamt 300 junge Spielerinnen und Spieler betreut der Verein, der das Motto »Jugend ist unsere Zukunft« auf seine Fahnen geschrieben hat. Mit berechtigter Sorge betrachtet man den zunehmenden Druck, den Schulen und Politik jetzt auf die Kinder ausüben. Immer häufiger nehmen Eltern ihre Kinder aus dem Verein, der für sie ein Stück Heimat bedeutet: Türkiyem, das heißt »Meine Türkei«. Nun denkt »Meine Türkei« über eine clubinterne Hausaufgabenbetreuung nach. Das Engagement des Clubs ist beeindruckend, die enge Zusammenarbeit mit Kitas und Schulen hat Türkiyem zuletzt den Integrationspreis 2007 des DFB eingebracht. Seitdem fährt ein nagelneuer Mercedes mit der Aufschrift »Siegerfahrzeug« durch Berlin. Es ist, neben dem sportlichen Erfolg, vor allem das soziale Engagement des Vereins, das ihm so viele Sympathien einbringt. Es sind seine unleugbaren Kreuzberger Wurzeln. Türkiyems Spieler lassen sich für die Titelseiten schwuler Männermagazine ablichten und treten während der Respect-Gaymes gegen die Diskriminierung Homosexueller an. Der Verein organisiert den interreligiösen Avitall-Cup, benannt nach der Chef-Kantonin der Jüdischen Gemeinde, in dem jüdische, moslemische, christliche und atheistische Spieler gegeneinander antreten. Er unterstützt die Kampagne »Nein zu Gewalt gegen Frauen« und hat als einer der ersten die Berliner Verpflichtung unterschrieben: »Du bist anders als ich / Ich respektiere Dich / Ich bin anders als Du / Respektiere mich!« Ein Sonntag im Juni. Der Schiedsrichter im Katzbachstadion hat abgepfiffen. Der Trommler wirbelt, die Flöte trällert, der THC jubelt, bengalische Feuer leuchten auf. Türkiyem hat 3:0 gewonnen und ist in die Regionalliga aufgestiegen. 500 Zuschauer stürmen den Platz, der Trainer wird in die Luft geworfen, ein Rollstuhlfahrer verlässt seinen Stuhl und wirft sich auf das feiernde Menschenknäuel. Und während die Männer grölen, zeigen die Frauen, dass sie den orientalischen Hüftschwung noch nicht verlernt haben. Sie feiern einen Sieg, der den Verein ein Stück weiter gebracht hat auf dem Weg zur Bundesliga. Und damit auch ein Stück weiter auf dem langen Weg nach Deutschland. •
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