Kreuzberger Chronik
Februar 2008 - Ausgabe 94

Herr D.

Herr D. und der Ampelmann


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von Hans W. Korfmann

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Gutgelaunt trat nach der Spätvorstellung der Herr D. aus der Dunkelheit des Hinterhofes, in dem sich das Mehringhof-Theater verbarg, der zeitgerechte Nachfolger der »Stachelschweine«, als die Welt plötzlich in rotes Licht getaucht wurde. Herr D. suchte im Himmel nach den Leuchtkugeln eines Feuerwerks, doch dann erkannte er, daß er an einer Ampel stand. So hell hatten Verkehrsampeln noch nie geleuchtet, dachte der Herr D. und überlegte, wie viel Schmiergelder Vattenfall wohl bezahlt hatte, damit die Polizei die Leuchtkraft ihrer Ampeln verstärkte. Als das Licht von Rot auf Grün wechselte, wollte Herr D. die Fahrbahn betreten, doch da klingelte es. Der Radfahrer kam knapp vor Herrn D. zum Stehen. »Können Sie nicht aufpassen!«, herrschte ihn der Radfahrer an. Herr D. stotterte: »Ich hab Sie nicht gesehen. Diese neuen Ampeln blenden so …« Er deutete auf das grüne Ampelmännchen jenseits der Fahrbahn.
»Sagen Sie mir nichts gegen unser Ampelmännchen!«, sagte der Radfahrer jetzt in ungebrochenem Sächsisch. »Dieses Ampelmännchen hat uns jahrzehntelang sicher durch die DDR geleitet, und auf einmal solls eine Verkehrsgefährdung sein.«
»Ich meine doch nicht ihr Männchen, ich meine nur die Lichtstärke«, erwiderte Herr D. »Das Männchen mit dem Hut war mir immer sympathisch …«
Der Radfahrer war abgestiegen, in der einen Hand hielt er das Rad, die andere ballte er zur Faust. »Dieses Ampelmännchen, wissen Sie, was das ist? Das ist der letzte Rest der DDR. Das Einzige, was uns noch geblieben ist. Ein Ampelmännchen!«
»Ich habe wirklich nichts gegen Ihren Ampelmann!«, sagte der Herr D. –
»Sagen Sie nicht immer Ampelmann!«, entgegnete der andere. »Das klingt ja wie Hampelmann. Ampelmännchen heißt das. Entworfen von Karl Peglau, 32 Jahre lang Leitender Verkehrspsychologe der DDR. Aber dann kamen Sie und wollten überall Ihre Wessi-Männchen installieren. Aber da haben Sie die Rechnung ohne uns gemacht. Da sind wir auf die Barrikaden gegangen. Und haben ein »Komitee zur Rettung der Ampelmännchen« gegründet. Und jetzt erobert unser Ampelmännchen die Welt! Erst Westdeutschland und dann den ganzen Westen.«
»Ich würde es ihm wünschen!«, beeilte sich Herr D., Solidarität mit dem ausgebeuteten Volk zu bekunden. »Nachdem die Wessis sämtliche Unternehmen im Osten geschlossen und die Leute auf die Straße gesetzt haben, wäre es ja nur fair, wenn der Osten mal was für den Westen produziert, anstatt immer nur umgekehrt.«

Da wurde der Radfahrer leiser. »Naja«, sagte er, »das ist so eine Sache, wissen Sie. Eigentlich machen wir die ja gar nicht mehr. Das macht ja jetzt …«
»Siemens!« rief der Herr D. Siemens war immer richtig, Siemens hatte überall die Finger im Spiel. – »Neinein«, sagte der Sachse, »Siemens hat früher mal die Ampeln gemacht. Das macht jetzt alles Nuon, diese Stromfirma aus Holland. Bau, Planung, Wartung … alles in holländischer Hand.«
»Auch das Ampelmännchen vom Peglau?«, fragte Herr D. – »Nee, das machen die Österreicher. Produzieren aber in Recklinghausen. Wessiland.«
»Woher wissen Sie das alles?«
»Raten Sie mal, was ich früher gemacht habe?«
»Ampeln!«, rief der Herr D. Und während sein erstauntes Gesicht noch einmal im Scheinwerferlicht der roten Ampel aufleuchtete, stieg der Radfahrer in die Pedale und verschwand wortlos in der finsteren Nacht.

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