Februar 2008 - Ausgabe 94
Essen, Trinken, Rauchen
Schicksale im Cafe Mir von Saskia Vogel |
Sas sitzt alleine zu Hause und langweilt sich. Und weil das nicht sein muß, meldet sie sich bei einer »Flirtbörse« im Internet an, in der angeblich zwei Millionen Singles online sind. Immerhin: Zumindest ein Millionstel der liebeshungrigen Männer interessiert sich für Sas, und nach ein paar Klicks hat sie »mal flott« zwei Dates klargemacht: Gerhard und Alex. Beide will sie treffen, erst »den eenen, dann den anderen«. Sas ist selber Produkt einer Dating-Beziehung, hatten sich ihre Eltern doch damals in den quietschorangenen 70er Jahren via Kontaktanzeige in einer Tageszeitung kennengelernt. Nach einem verklemmten Treffen im Schwimmbad beschloß man dann, für die nächsten 60 Jahre zusammenzubleiben. Als Treffpunkt sucht sich Sas das Café MIR in der Lübbener Straße aus, denn das ist mit seinen zwei versetzten Ebenen und dem rustikalen Tresenraum ideal, um jedem Mann das passende Ambiente zu bieten. Mit dem romantischen Traumfrausucher Gerhard mittleren Jahrgangs nimmt Sas auf Erdgeschoßhöhe in der dunklen Ledersessel-Lounge am Nierentisch Platz, um dann akribisch abzuchecken, wie es mit dem Bildungsniveau des potentiellen Partners denn so bestellt sei. Passend dazu servieren die höflichen Kellner ein Gläschen »Königsschaffhauser Vulkanfelsen Grauburgunder« für stolze vier Euro. Und als alle philosophischen Fragen geklärt sind, Sas haushoch verloren hat und auch klar ist, daß man durchaus noch mal gemeinsam Hähnchenleberragout mit Serviettenknödel im MIR essen könnte, sexuell aber nie und nimmer was laufen wird, verabschieden sich Gerhard und Sas galant. »Geschafft«, atmet Sas auf, um sich sogleich auf der oberen, minimalistisch gestylten Ebene zu positionieren. Die gebührt dem Geschäftsmann Alex. Schließlich ist er auch »ganz oben« angekommen und hat im Gegensatz zu Sas richtig Zaster. Natürlich kommt er pünktlich. Auf cleanen Sitzbänken malträtieren internetsüchtige schwarze Rollkragenpulloverträger ihre Apples und rücken gestreßt ihre Kastenbrillen hin und her. Daß das MIR Stil hat, ist unbestritten. Alex findet die gewählte Location geschmackvoll, ganz im Gegensatz zur Frau, die ihm da nun gegenübersitzt. Während der 34jährige »Freshman« sich angezogen hat, wie man sich für ein Date halt so anzieht, nämlich mit steifgebügeltem Hemd und polierten Schuhen, hat Sas es mal wieder nicht für nötig gehalten, ihren alten Baumwollfetzen zu wechseln. Geschweige denn die frisch entzündeten Brandwunden an den Händen zu verbinden, auf die Alex nun die ganze Zeit diskret, aber pikiert schielt. Sas hat in ihrem Flirtbörsen-Profil angegeben, niemandem in die Augen schauen zu können, und starrt entsprechend permanent hoch zu der Deckenlampe aus den 70er Jahren, während Alex sie mit seinem »Der perfekte Schwiegersohn«-Leben langweilt. Vielleicht war es ja genau so eine Lampe, unter der sich die Eltern damals ihre Liebe versprachen – natürlich per Sie und unter strenger Beachtung des Verkuppelungsparagraphen. Doch bei Sas wollen sich keine Liebesgefühle einstellen. Bei Alex auch nicht. Weshalb die obligatorische »Der Abend war schön«-SMS nach dem Abgang des Bewerbers auf sich warten ließ. Und Sas nichts anderes übrigblieb, als traurig auf die unterste Ebene des MIR hinabzusteigen und an der langen Holztheke alleine ihren Absacker zu trinken. Als die Melancholie gerade am größten ist, erreicht sie eine Nachricht auf ihrem Handy. Absender: Papi. Inhalt: »Hab Mami zum Hochzeitstag spontan zum Wellnessen nach Brandenburg eingeladen. Uns geht es suuu..uuuper. Wie geht es Dir?« Knurrend verläßt Sas das MIR. Saskia Vogel |