Kreuzberger Chronik
Februar 2008 - Ausgabe 94

Straßen

Die Lindenstraße


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von Werner von Westhafen

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Wenige Straßennamen erfreuen sich solcher Popularität wie die »Lindenstraße«. Bereits im Jahr 1985 ist im deutschen Fernsehen die erfolgreichste deutsche Soapopera aller Zeiten angelaufen, mit jetzt schon über 1.000 Folgen. Der Drehort der Alltagsgeschichten liegt in München, auch wenn einige Berliner immer wieder meinen, er müßte in Berlin liegen, weil Kostas Papathanassiou, der griechische Wirt aus der Sendung, tatsächlich Wirt ist und ein Lokal in Berlin hat.

Neben der obengenannten Lindenstraße und zahlreichen anderen Lindenstraßen in anderen Städten gibt es eine Lindenstraße in Berlin-Kreuzberg und eine Lindenstraße in Berlin-Pankow. Hinzu kam früher noch eine Lindenallee, die jetzt aber »Unter den Linden« heißt. Alle diese Straßen erhielten ihre Namen zu Ehren eines in den nördlich gemäßigten Zonen weitverbreiteten Lindengewächses mit dem lateinischen Namen »Tilia«. Die relativ anspruchslosen, doch bis zu 40 Meter hoch und bis zu 1000 Jahre alt werdenden Bäume eigneten sich von jeher gut zur Markierung von Landstraßen und Wegen.

Bereits um 1640 führte ein solcher von Linden gesäumter Weg von Berlin nach dem Dörfchen Tempelhof. Er wurde später zur Teltower Landstraße ausgebaut. Anfang des 18. Jahrhunderts entstanden an diesem »Weg nach Tempelhof« die ersten Häuser, und es war an der Zeit, der Straße einen Namen zu geben. Da auch die große königliche »Lindenbaum-Plantage« neben dem Landgut des Staatsministers Franz von Meinders an dem »Weg nach Tempelhof« lag, war der Name schnell gefunden.

Die Markthalle in der Lindenstraße
Die Lindenstraße ist nicht nur eine der ältesten Straßen Berlins, sie ist zudem die Adresse des ältesten noch erhaltenen Hauses in Kreuzberg. Heute beherbergt dieses Haus das Jüdische Museum. 178 Jahre lang jedoch war es der Sitz des ersten deutschen »Kammergerichtes«. 1945 im Krieg stark zerstört, sollte das Haus zunächst abgerissen werden. Erst nach dem Einspruch des Amtes für Denkmalschutz wurde das Hauptgebäude 1964 wieder hergerichtet.

Das ursprünglich 1733 von Friedrich Wilhelm I. errichtete »Collegienhaus« sollte die verschiedenen Abteilungen der Gerichte, die sich bis dahin in mehreren Gebäuden und oft in der Nähe des Schlosses befunden hatten, unter einem gemeinsamen Dach vereinigen. Die Lage in der Nachbarschaft des Sommerhauses des Herrn von Meinders an der

Die Synagoge
Die Synagoge in der Lindenstraße südlichen Grenze der Friedrichstadt schien dem König die richtige für die Juristerei zu sein. Räte, Advokaten, Schreiber und Boten waren nicht die richtige Gesellschaft für ihn. Es scheint, als konnte sich der König ihrer nicht schnell genug entledigen, und so entstand in nur eineinhalbjähriger Bauzeit nach Entwürfen des Ingenieur-Offiziers Philipp Gerlach das sogenannte »Collegienhaus«.

Ein weiterer Bau an der Lindenstraße hat einige Berühmtheit erlangt: die Berliner Sternwarte. Sie lag an der Lindenstraße Nummer 103 und war eine nicht ganz unbedeutende astronomische Forschungseinrichtung, die unter anderem das Astronomische Rechenzentrum beherbergte, das sich vornehmlich mit der Kalenderberechnung beschäftigte. Erbaut wurde der irdische Beobachtungsposten im Jahre 1835 auf Anraten Alexander von Humboldts, elf Jahre danach entdeckte man von der Lindenstraße aus tatsächlich einen neuen Planeten: den Neptun.

Bis die Lindenstraße im 2. Weltkrieg fast vollständig zerstört wurde, war sie ein Ort pulsierenden Lebens voller Geschäfte, mit einer Markthalle, Druckereien und Verlagshäusern, die sich in der Nähe des Zeitungsviertels niedergelassen hatten. In der Lindenstraße Nummer 3 befand sich die Redaktion des Vorwärts, und in der Lindenstraße Nummer 69 das Israelitische Familienblatt. Jüdisches Leben prägte das Straßenbild, besonders die große Synagoge, die Raum bot für 1.800 Menschen, zog viele Gläubige in die Lindenstraße. Das Gotteshaus mit seinen gewaltigen Säulen aus Sandstein und dem hohen, schon protestantisch wirkenden Kirchenschiff befand sich – wie so oft – im Hinterhof. Doch auch das Vorderhaus der jüdischen Religionsschule in der Lindenstraße Nummer 48 mit dem großen Portal und den zwei turmähnlichen Flanken war eines der eindrucksvollsten Gebäude der Straße.

Doch nicht nur die Architektur der »liberalen Synagoge« in der Lindenstraße wandte sich den Protestanten zu, auch debattierte man heftig über Lockerungen und Neuerungen im Gottesdienst. So zum Beispiel diskutierte man die Frage, ob die Gebete nicht in deutscher Sprache anstatt in hebräischer gesprochen werden könnten. Doch konnte man sich dazu in der Lindenstraße noch nicht durchringen. In der Einweihungsrede am 27. September 1891 betonte der Vorsitzende des Gemeindevorstandes deshalb, »daß unsere Jugend Anspruch hat auf einen Gottesdienst, an welchem sie verständnisvoll mit Herz und Gemüth theilnehmen kann«, und daß es »im eigensten Interesse der Gemeinde liegt, die Jugend nicht dem Gotteshause zu entfremden«. Seine Rede schloß mit der Feststellung, daß »der Fortschritt ein unaufhaltbarer« sei. Doch auch in der liberalen Lindenstraße betete man weiter auf Hebräisch.

Über vierzig Jahre stand die Synagoge im Zentrum der jüdischen Gemeinden im Süden der Stadt. Dann aber nahte das Ende. In der Abendansprache des 4. November 1938 richtet sich der Rabbiner Malvin mit folgenden Worten an seine Gemeinde: »Gehe aus deinem Lande – zu deinem Besten. Sprach Gott zum Stammvater …« Fünf Tage später brannte die Synagoge. Danach betete niemand mehr, 1939 wurde das Gotteshaus beschlagnahmt und zum Getreidespeicher. 1940 wurde die Gemeinde gezwungen, ihre Mitglieder zur Zwangsarbeit zu schicken. 1942 wurde auch die jüdische Schule im Vorderhaus geschlossen. 1945 fiel das jüdische Gotteshaus dem Krieg zum Opfer. Heute erinnert nur noch ein Denkmal an das große Haus in der Lindenstraße.

Werner von Westhafen

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