April 2008 - Ausgabe 96
Der Kommentar
Der Streit um Tempelhof von Michael Unfried |
Sie sehen aus, als kämen sie aus dem Volk, die Gesichter, die uns da den ganzen Columbiadamm entlang von den Plakaten anschauen, als ginge es um eine vorgezogene Bundestagswahl: Die Frau mit dem Baby auf dem Arm, der Bauarbeiter mit dem Helm, und die Oma, die mit ihren kurzen Haaren an Regine Hildebrandt erinnert und dann auch noch sagt: »Ick fliege uff Berlin, aba nich von Tempelhof!« Doch während die Bürgerbewegung, die für den Erhalt des Flughafens Stimmen sammelt, tatsächlich im Volk entstand, ist die Gegenkampagne mit ihren flächendeckenden Plakaten offensichtlich die Arbeit einer Werbeagentur. Weder die Gesichter sind glaubwürdig, noch die kämpferischen Sprüche, die man den Vertretern der Unterschicht in den Mund gelegt hat: »Flughafen für Superreiche? Wir lassen uns nicht auf den Arm nehmen!«, oder »Ick zahl doch nicht für’n VIPFlughafen«. Anders verhält es sich mit den Planern, Architekten und Immobilienhändlern, die nicht auf dem Plakat, aber womöglich hinter den Politikern stehen. Für sie bedeutet Tempelhof bares Geld. Und nur um sie und nur darum geht es auch bei der großen Wiese am Rande Kreuzbergs. Um Bauland. Die fiktive Mutter mit dem Kind behauptet, Tempelhof sei ein Flugplatz für Reiche. Spätestens, wenn mit der Bebauung des alten Tempelhofer Feldes begonnen wird, wird sie merken, daß erst mit seiner Schließung die wahren Abzocker in Tempelhof gelandet sind. Und wenn sie jemals einen Spaziergang um den Flughafen gemacht haben sollte, dann wird sie eines Tages noch sehnsüchtig daran zurückdenken: An das große freie Feld inmitten der Stadt und die seltene Weite der Sicht. |