April 2008 - Ausgabe 96
Die Geschäfte
Jumbos Fungrube von Saskia Vogel |
Es gibt SecondHandLäden, in denen man nur viel zu grelle Dinge findet. Buntes, das Mädchen sich im Wahn kaufen, dann aber nie anzuziehen trauen, nicht mal auf den abgedroschensten Partys: Kettenhemden, Juwelenslips, bunte Glasperlenröckchen. Und es gibt Läden, in denen richtige Kleidung zu haben ist, Alltagstaugliches, wie man es für das Berliner Wetter braucht: Lederjakken, Wollmützen, Schuhe. Jumbo hat beides: Ausgefallenes und Alltägliches. Jumbo ist nicht nur Warenlager für Kutten aus grobem Leinenstoff und Flokatimäntel, sondern auch eine der größten Fundgruben für die topaktuelle Mode der 80er, nach der jedes modebewußte Kiezbabe sucht. Jumbo zählt ganz zweifellos zu den besten SecondHandLäden Berlins. Gleich beim Öffnen der Tür schlägt dem Shoppenden der Dunst von Lederschuhen entgegen, ein kräftiger Geruch von Altkleidern, getragenen Sohlen und Fell. Menschengeruch, konserviert im Achselteil 30 Jahre alter Synthetikjacken, deren Massen die Kleiderstangen biegen. Vielleicht ist die Trägerin des grobgehäkelten Dreiecktuchs, das eine junge Kundin sich gerade um den Hals legt, schon tot. Abwegig ist das nicht, denn Ismail Kahraman bekommt viele Stücke aus Wohnungsauflösungen. Die goldenen Ringe werden die Verwandten den Verflossenen noch von den wächsernen Fingern gezogen haben, dann überließ man das Hab und Gut der Verstorbenen den Männern der Wohnungsauflösungen. Und die überlassen es jener Nachwelt im Jumbo, die sich nicht bei Karstadt einkleiden möchte. Die das Außergewöhnliche sucht. Vor allem während des Karnevals, da kommen sie plötzlich in Scharen und wollen irren Stoff für einen schmalen Taler. Foto: Michael Hughes
Vielleicht klingt die Beschreibung einer Kleiderkammer mit Ofenstaub düster. Und natürlich ist es im Jumbo eng und voll, aber gerade diese neblige Atmosphäre gibt dem Laden seinen einzigartigen Charakter. Im Jumbo scheint die Vergangenheit mehr Gewicht zu haben als das Hier und Jetzt, das so schnell vorüber ist. Hier ist jedes Stück ein Relikt vergangener Zeiten. Hier umweht die Kleider ein Hauch von Ewigkeit. Aus allen Winkeln scheint es zu raunen und zu flüstern. Ismail wacht über die Zeit. Er sammelt die Vergangenheit. »Erstmal lege ich die Kleider ins Lager, dann sortiere ich sie nach und nach in den Laden hinein.« Einiges sortiert er nie wieder aus. Schaurige Sachen, die wohl Jahrhunderte da liegen werden. Das PaillettenBustier, das Fuchsfell mit Kopf und Pfoten, das wie am Galgen hoch oben in der Ecke über den Lederhosen baumelt. Körbe voller Ketten und Frauenfummel stehen auf dem Tresen zum Wühlen und Glücklichwerden. Ismail mit dem senfgelben Pullover ist ein Mann mit akkurat zurückgekämmten Haaren und meditativer Stimme. Ismail, der Wanderer. Vor 35 Jahren begann er mit einem Laden am Spreewaldplatz, dann zog er weiter, mit seiner Frau Hatice und den zwei Kindern. In fünf Etappen die wenigen hundert Meter Geschäftszeile immer weiter nach links, bis er an der Lausitzer Straße war. Hatice, klein, kurzhaarig, hat auch einen Laden. Der ist gleich nebenan, heißt »Internationaler Supermarkt«, verkauft aber nur Obst und Gemüse und ein paar Dosen Eingelegtes. Und die Schuhe, die im Jumbo keinen Platz mehr finden. Foto: Michael Hughes
Die Finger ineinander vernäht, löst er sie nur, um andächtig über einige Raritäten zu streichen. Das wunderbare Hochzeitskleid aus den 60ern, in dem die Braut noch nichts von den bevorstehenden Qualen ahnte. Altmodisch geschnittene Anzüge und Jacketts, trashig genug, um schon wieder gut zu sein. So gut, daß Schauspieler und Kreative von weither kommen. Jumbo ist eine Institution. Und noch vor kurzem hing an der Tür ein selbstgeschriebenes Zettelchen: »Suche Verkäuferin«. Zwar wohnt Ismail regelrecht im Jumbo und ist »eigentlich immer da«, aber eine Aushilfe braucht er trotzdem. Bislang saß Marina hinter der Kasse, so derart hübsch mit ihrem zartgeschnittenen Gesicht, der ein wenig verwischten Schminke und der lasziven Stimme. Dann ist das junge Mädchen gegangen, warum, weiß Ismail nicht so recht. Vielleicht gibt es anderswo mehr Lohn. Er selbst kann gerade mal fünf Euro zahlen. Nun muß er ein anderes Mädchen suchen. Ein blaues Scheinchen fürs Aufbügeln, fürs Aufhängen, fürs Falten. Fürs Sitzen auf dem Fuchsfell, Händereiben am Ofen und sich in Geduld üben, bis der Feierabend kommt. Herrliche Nachmittage voller Muße und unendlicher Gelegenheiten, ein Kleidchen zu nehmen, an ihm zu riechen und sich für jedes Stück ein schauriges Geschichtchen auszudenken. Ein Job für phantasiebegabte Genießer – und angehende Literaten. Saskia Vogel |