Kreuzberger Chronik
Oktober 2007 - Ausgabe 91

Die Reportage

Geschichten vom Hotel Transit


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von Hans W. Korfmann

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Hotels können Geschichten erzählen. Nicht nur die großen, die seit hundert Jahren auf imposante Plätze und Straßen blicken und immer ganz nah am Geschehen sind. Auch kleine Hotels mit weniger prominenten Gästen und weniger glanzvollen Namen als Adlon oder Excelsior haben ihre Geschichten. Sogar dann, wenn sie so unpoetische Namen tragen wie »HotelTransit.« Das klingt nach Autobahnraststätte, nach Durchreise, Transitabkommen und Grenzübergang. Doch Isa, Jörg und Ulli haben diesen Namen damals ganz bewußt gewählt. Es gibt Hotels in Berlin, da ist »mehr Schein als Sein.« Beim Transit ist es umgekehrt.

Denn das Hotel auf der alten Transitstrecke befindet sich in einem schmucklosen Kreuzberger Hinterhof, in dem einst nsoch die Maschinen ratterten. Immer wieder zweifeln ankommende Gäste, ob sie die richtige Adresse haben. Isa Hanning, Jörg Noll und Ulli Schleimer irritiert das kaum. Sie führen das unkonventionelle Hotel lange und erfolgreich genug, um selbstbewußt zu sein. Auch wenn sie wissen, daß die Erfolgsgeschichte des Transit ohne das Jahr 1989 vielleicht anders aussähe. 1989 war das Hotel gerade zwei Jahre alt, und »da kamen die plötzlich aus aller Welt, Jung und Alt, Dick und Dünn, Mann und Frau und Kinder. Wir waren innerhalb weniger Tage ausgebucht. Es war für viele schön, als die Mauer fiel, aber etwas besseres hätte uns gar nicht passieren können«, sagt Isa Hanning.

Noch immer gibt es Gäste aus den ersten Tagen, die dem Transit die Treue halten. »Die waren damals 20, heute sind sie 40!« Inzwischen kommen deren Kinder längst alleine, bzw. mit Freund und Freundin. Und manchmal stehen plötzlich Gäste mit einer zerknitterten Visitenkarte vor der Rezeption. »Einer 20 Jahre alten Visitenkarte! Die hat sich jemand zwei Jahrzehnte lang aufbewahrt und dann als Empfehlung weitergegeben! Das ist doch toll. Das ist doch noch echte Treue!«

Aber schließlich liegt das Transit auch an allem ganz nah dran: an der Friedrichstraße, am Potsdamer Platz, am Regierungsviertel, am Jüdischen Museum. »Die machen von hier aus das ganze Programm zu Fuß!« Es gibt gute Gründe, im Transit abzusteigen, aber der wichtigste ist, daß hier alles ein bißchen authentischer ist als da, »wo man auf berlinerisch macht«. Hier wird wirklich mal länger getrunken, hier werden wirklich manchmal Partys auf den Zimmern gefeiert. Hier sind wirklich die »Leningrad Cowboys abgestiegen und haben die ganze Nacht kein Auge zugetan, bis sie auf den Stühlen am Tisch einschliefen.« Es gefiel ihnen, daß es hier noch so war wie es immer war. So wie früher, als sie nachts durch die Kreuzberger Straßen zogen.

Begonnen hat die Erfolgsgeschichte des Transit schon zur Studienzeit der drei Geschäftsführer, »Germanistik, Sozialwissenschaften, Anglistik, Medizin …«. Keiner von ihnen dachte daran, ein Hotel aufzumachen. Am wenigsten wahrscheinlich Isa, die sich ihr Studium mit einem Putzjob in einer Pension in der Großbeerenstraße finanzierte. Das war eine dieser typischen Berliner »Etagenpensionen«, eingerichtet auf ein oder zwei Etagen eines einfachen Mietshauses, nur zu erkennen durch kleine Schilder am Eingang. Berlin war keine Stadt, in der man Urlaub machte, Berlin war eine Zwischenstation, und es gab neben ein paar großen Hotels nur diese provisorisch eingerichteten Unterkünfte für jene, die beruflich hier sein mußten. Erst ein katastrophaler Brand am Ku’damm und die daraufhin verschärften Brandschutzbestimmungen ließen die Etagenpensionen allmählich aus dem Stadtbild verschwinden.

Die Pension Kreuzberg in der Großbeerenstraße gibt es noch heute. Damals gehörte sie einem Schwaben, »aber der machte um acht auf und um acht wieder zu«. Eines Abends beim Bier sprach er von »Verkaufen«, und da rief Isa ihre alten Freunde an, ob sie nicht Lust hätten, gemeinsam die Pension Engelbrecht zu übernehmen. Als Kollektiv. Schließlich war man mitten in den Siebzigern.

Ulli Schleimer studierte noch in Bonn, Jörg Noll aber war schon fertig und ohnehin gerade in jener Stadt zu Besuch, die Studenten so magisch anzog wie keine andere in Europa. Und hätte Engelbrecht nicht in Kreuzberg gelegen, dann wären sie wohl auch nie auf die Idee gekommen, tatsächlich diese heruntergekommene Pension zu übernehmen. So aber übernahmen die Drei, »verschönerten die Einrichtung mit ein bißchen Ikea«, machten Frühstück, nannten das Ganze Pension Kreuzberg und mieteten später auch noch das Steps dazu, die Kneipe mit den drei Stufen im Souterrain. Es dauerte nicht lange, da begann sich die ehemalige Absteige für Monteure und Leute vom Sozialamt, von denen einige jahrelang blieben, unter den Rucksacktouristen herumzusprechen. Und irgendwann war die Etage ausgebucht.

Leben jedoch konnte das Triumvirat noch immer nicht davon. Deshalb begannen sie auf ihren Spaziergängen durch den Kiez Ausschau nach etwas Größerem zu halten. Ein anderer Standort als Kreuzberg aber kam nicht in Frage, »die Leute, die zu uns kommen, sind alle schwer an Kreuzberg interessiert.« Und irgendwann entdeckten die leidenschaftlichen Wahlkreuzberger dann den Gewerbehof in der Hagelberger Straße.

Natürlich gab es sofort Widerstand gegen die langhaarigen Studenten, die vorgaben, ein harmloses Jugendhotel zu eröffnen. Eine »Interessengemeinschaft Mehringdamm«, ein Zusammenschluß konservativer Geschäftsleute, die bereits einige Jahre zuvor gegen den alternativen Mehringhof Stimmung gemacht hatten, zweifelte an einer Hotelgründung und befürchtete, man wolle in ihrer Nähe ein Asylantenheim einrichten. »Wir mußten glaubhaft nachweisen, daß wir ein Jugendhotel eröffnen wollten, bevor wir anfingen.«

Ein normales Jugendhotel allerdings konnte das Transit nie werden. Schon das Datum seiner Eröffnung ist legendär: Es war der 1. Mai 1987. Die Nacht, als Bolle brannte, die Nacht der 1. Kreuzberger Maischlacht. Noch heute, zwanzig Jahre danach, kommt es vor, daß am 2. Mai besorgte Eltern anrufen und fragen, ob der Sohn auch wohlbehalten von der Demo zurückgekommen sei. Wer im Hotel des Kollektivs wohnt, der ist kein entfernter Zuschauer mehr, der nimmt Teil am Leben Kreuzbergs, der ist mitten drin, 3. Etage, 2. Hinterhof.

Nach dem Sturm auf Berlin im Jahre 1989 kamen zu den großen Einzel und Doppelzimmern die ersten 6-Bettzimmer. Wenig später mußte die frischgebackene KG einen weiteren Teil der 3. Etage dazumieten, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden. Heute weisen zwei Schilder im ehemaligen Lastenfahrstuhl auf das Hotel hin: 4. Stock, Rezeption und Zimmer 26–47, und 3. Stock, Zimmer 1–23. Und heute arbeiten 10 bis 15 Angestellte im Hotel. Sie kommen, genau wie die Gäste, aus aller Welt. Meistens bringen sie irgendwann Freunde und Bekannte zum Arbeiten mit. So hatte das Hotel immer seine Phasen, »die laotischthailändische, die südamerikanische, die polnische… – Jetzt scheint sich gerade eine afrikanische Personalphase anzubahnen.«

Auch die Gäste kommen phasenweise. Die einen in den Ferien, die anderen zu den Feiertagen, die nächsten zur Berlinale. So wie die Kunststudenten aus Nottingham, die gerade im Frühstücksraum sitzen. Oder die Architekturstudenten aus Schweden, die gerade den Hinterhof mit seinen gelben und den grünen Kacheln unter den großen Fabrikfenstern studieren, während die Schüler aus Bayern um 12 Uhr mittags im
Foto: Michael Hughes
mer noch bei ihrem Müsli sitzen und Karten spielen. Weil in Kreuzberg, »wenn es wirklich Kreuzberg ist«, es eben auch um 12 noch Frühstück gibt. »Und sowas muß man erst mal suchen in Berlin.« Genauso wie die Bar, die tatsächlich die ganze Nacht besetzt ist. »Dranschreiben tun das viele Hotelbars, aber die Wirklichkeit schaut eben anders aus«.

Und die Wirklichkeit findet man in der Hagelberger Straße. In den ersten Jahren zum Beispiel hatte die PlantaZigarettenfabrik in den Räumen neben der Pension noch ihr Lager, und obendrüber warfen Moerke und Seidel schon früh am Morgen die Maschinen an, »was sich mit den Schlafgewohnheiten unserer Gäste nicht immer vereinbaren ließ«. Auch im ersten Stock liefen die Maschinen von Ruksaldruck die ganze Nacht, immer öfter kamen die Drucker auf ein Bier in die TransitBar. Einmal blieben sie so lange, daß frühmorgens die komplette Auflage in der Mülltonne landete. Danach kamen die Drucker seltener.

Das sind diese kleinen Geschichten, die auch weniger berühmte Hotels erzählen können. Und die das Leben in einem Hotel so lebenswert machen. Geschichten wie die von Jutta, die eines nachts an die Bar kam und von Jörg Noll verlangte, daß er die Heizung aufdrehe, mitten im Juli. Empört streckte sie dem Barkeeper eine so riesige und so eiskalte Hand entgegen, daß der Mann entsetzt aufschrie: »Faß mich nicht an!« Jutta war ein Mann!

Oder die von dem Franzosen, der unbedingt sein Auto im 2. Hinterhof parken wollte, obwohl dort gerade der ganze Boden aufgerissen worden war. Oder die von den Zimmerleuten, die hier drei Nächte umsonst schlafen konnten, denen es aber so gut gefiel, daß sie sämtliche Tische im Frühstücksraum aufgemöbelt haben, um länger bleiben zu können. Oder die von der Kapelle, die sich beim Einchecken noch so befremdet in den Fabrikräumen umgesehen hatte, zum Abschied und zum Dank aber im Hof ein Blaskonzert gab.

»Es ist nie langweilig, es gibt immer Überraschungen, die verrücktesten Gestalten!« Und das ist einer der Gründe, warum Isa, Jörg und Ulli noch immer hier sind. Seit 20 Jahren! Gerne! Seit 20 Jahren täglich zusammen. Sogar den Urlaub verbringen sie manchmal miteinander, »das muß uns erst mal einer nachmachen!«

Jörg Noll jedenfalls hat es nie bereut, den Arztkittel an den Nagel gehängt zu haben. »Ein Leben täglich von 8–16 Uhr im Krankenhaus, das war sowieso nicht mein Traum!« Auch aus Ulli Schleimer wurde kein Englischprofessor mehr. Lesen kann er hier auch. Und Isa hatte neben dem Studium ohnehin schon im Hotel gearbeitet. Doch als sie einmal in der Großbeerenstraße mit der Zimmervermietung begannen, war das für die drei Studenten nicht mehr als ein Nebenerwerb. Heute ist es ihr Lebensmittelpunkt.

Und ihr Lebenswerk. Und das muß man im Auge behalten. Deshalb wohnen sie auch nicht weit entfernt, gleich gegenüber im schönen Vorderhaus, mit Blick auf die Küche des Hotels. Schließlich sind sie echte Kreuzberger. Und schließlich sind echte Kreuzberger Nächte lang. Es passiert nicht selten, daß einer von ihnen mitten in der Nacht noch mal raus muß aus den Federn. Aber so ist das eben, wenn Leben und Arbeiten so nah beieinanderliegen wie in Kreuzberg – in der Hagelberger Straße.


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