Oktober 2007 - Ausgabe 91
Straßen
Die Dresdener Straße von Erwin Tichatzek |
Die Dresdener Straße war eine von vielen, die sternförmig vom alten Kottbusser Stadttor abgingen. Im Grunde war sie die konsequente Fortführung einer der wichtigsten Verkehrsschlagadern, nämlich der Kottbusser Straße und des Kottbusser Damms. Damit war sie eine der wichtigsten Straßen, die aus der Stadt hinaus nach Süden führte. Die andere fette Linie auf den alten Stadtplänen war die der Skalitzer Straße mit der schmiedeeisernen S-Bahntrasse der Linie 1. Zwischen diesen beiden Hauptstraßen gingen noch die weniger bedeutende Reichenberger, die Admiral und die Adalbertstraße vom alten Stadttor ab. Etwas weiter nördlich des Kottbusser Tors führte die Dresdener Straße über den Oranienplatz, das einstmals stark pulsierende Herz der historischen Luisenstadt. In der Mitte des rechteckigen Platzes überspannte die verkehrsträchtige Oranienbrücke den Luisenstädtischen Kanal. Knapp 80 Jahre später jedoch füllte man diesen Kanal mit dem Erdaushub einer UBahnbaustelle, und so entstand 1928 zwischen den einstigen Ufermauern und entlang des heutigen Leuschner und Legiendamms der »Kanalpark« mit dem Engelbecken. So groß die Bedeutung der Dresdener Straße einst gewesen sein mag: Die Sechziger Jahre bereiteten ihr ein vorzeitiges und radikales Ende. Indem man quer über das alte Straßenpflaster der »Dresdener« die Mietkaserne des Neuen Kreuzberger Zentrums stellte, brachte man die alte Landstraße nach Dresden um ihren Anschluß an das Kottbusser Tor, an die Kottbusser Straße und den Kottbusser Damm. Während die Adalbertstraße noch komplett unter dem Neubau hindurchgeführt wurde, entschied man sich bei der Dresdener Straße für eine Sackgassenlösung und ließ sie knapp 30 Meter vor dem Neubau enden. Nur noch für die Fußgänger auf der Dresdener Straße ist jetzt ein Durchkommen. Zur Blüte der Dresdener Straße hat die verkehrsberuhigende Maßnahme wenig beigetragen, und auch wenn Christian Ströbele dort einige Jahre sein Büro der Kreuzberger Grünen unterhielt: richtig grün wurde es im Schatten des Betonklotzes nicht. Auch das Kino mit dem prophetischen Namen Babylon, das mit seinem ausgefallenen Programm hin und wieder von sich reden macht, hat »der Dresdener« nicht zur Blüte verholfen. Ebensowenig konnten die poetischen Verkündigungen ihrer gastronomischen Highlights, des Gorgonzola Clubs und des Würgeengels, zum Aufschwung beitragen. Nicht Freunde der italienischen Küche wurden angezogen, sondern Dealer, die nicht nur grünes Blattwerk verkauften, sondern weißes Pulver. Allmählich wurden die Gesichter im Schatten der Mietskaserne immer ernster, und inzwischen hat auch die Wohnungsbaugesellschaft GSW den Ernst der Lage erkannt und bietet zur Rettung der Dresdener Straße jenen, die gute Geschäftsideen haben, Gewerberäume zu extrem günstigen Mietpreisen an. Tatsächlich haben sich bereits einige mutige Existenzgründer gefunden und in der umstrittenen Straße niedergelassen. Im Frühjahr hat ein Modedesigner das Leibwerk eröffnet, schon etwas länger gibt es den Blumenladen Artdoor und die Töpferei #O-Ton, und seit ewigen Zeiten schon den Kunstglaser. Auch einige neue Cafés und Kneipen haben sich in der Dresdener Straße niedergelassen, aber das wahre Leben läßt noch auf sich warten am Ende der Sackgasse. Dresdener - Ecke Luckauer Straße, um 1830 (Edition Kreuzberger Ansichtern, Dieter Kramer)
Womöglich sähe es besser aus für die »alte Dresdener«, hätten sich die Stadtväter beim Bau der Linie 8 auf dem Weg vom Kottbusser Tor zum Gesundbrunnen nicht plötzlich doch noch eines anderen besonnen und die ursprüngliche Streckenführung über die Dresdener Straße wieder verlegt. Obwohl die Hälfte der unterirdischen Gleise zwischen der damaligen Neander und späteren HeinrichHeineStraße bis zum Oranienplatz bereits verlegt und der UBahnhof Oranienplatz bereits fertiggestellt war, entschied man sich plötzlich dafür, statt des Oranienplatzes den Moritzplatz zum Bahnhof auszubauen. Die Pläne verschwanden auf Druck des WertheimKonzerns wieder in der Schublade, der – ähnlich wie der KarstadtKonzern am Hermannplatz – eine direkte Anbindung seiner Filiale am Moritzplatz wünschte. Wertheim soll dafür angeblich fünf Millionen Reichsmark gezahlt haben. Wenige Jahre später wurde das Kaufhaus am Moritzplatz von Bomben komplett zerstört. Der Bahnhof unter der Dresdener Straße wurde nie in Betrieb genommen und diente bis in die 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein der Bewag als Umspannstation. Heute betreten nur noch die Besucher der »Berliner Unterwelten« auf den Führungen durch Bunker, Keller, Kanalisation und stillgelegte UBahnhöfe den geheimnisvollen Bahnsteig unter der Dresdener Straße. Auch die Markthalle VII, heute eine der letzten von einmal insgesamt 14 in Berlin, brachte der Dresdener Straße letztendlich kein Glück. Im Krieg zerstört und nur zum kleinen Teil wieder aufgebaut ist sie längst nicht mehr mit schreienden Markthändlern, sondern mit kleinen Filialen großer Supermarktketten besetzt. Für einen gemütlichen Einkaufsbummel taugt sie schon lange nicht mehr, und an die lebhaften Zeiten einer großen Markthalle erinnert nur noch der von den Bomben verschont gebliebene Haupteingang in der Dresdener Straße Nummer 27. So endet die Geschichte einer Straße, die zu den ältesten und längsten Berlins gehört, als die einer bedeutungslosen, unbeliebten Sackgasse. Die Dresdener Straße aber war eine große. Sie war ein Teil der legendären Heerstraße, die aus Süden kommend schon im 16. Jahrhundert von Mittenwalde über Rixdorf nach Berlin führte. Ein Jahrhundert später führte sie bis nach Dresden. Damals erhielt der letzte Teil des sogenannten Rixdorfer Damms jenen Namen, den er noch heute trägt. Auch wenn längst niemand mehr über die »Dresdener« nach Dresden fährt. |