Kreuzberger Chronik
November 2007 - Ausgabe 92

Die Geschichte

Oskar Huth


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von Alf Trenk

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Von Oskar Huth ging die Fama, er sei in sämtlichen Wissensgebieten bewandert – vom Klavierbau über alte Maltechniken bis hin zur Seefahrt. In die bunte Szene des gerade eröffneten Leierkasten schien er dennoch nicht so recht zu passen, dieser Vierzigjährige mit Bügelfalte, Fliege, Menjoubärtchen und elegant geschwungenem Spazierstock. Doch sein Gesicht weckte Neugierde. Es war frei von den Spuren des Krieges, voll urbaner Heiterkeit und mit einem frivolironischen Zug in den Mundwinkeln. Wie, und auf welcher Seite, hatte so einer die kritischen Jahre überstanden? Die Antwort liegt in seiner Biographie.

Foto: Alf Trenk


Unter dem strengen Regiment seines Vaters erlernt Oskar Huth zunächst den Klavierbau. Die Kundschaft bietet ihm das, was der proletarischen Enge seines Elternhauses abgeht: Bücher, anregende Gespräche und Umgangsformen. Schnell schließt er Freundschaften, die auch dem Machtantritt der Nazis trotzen. Er liebäugelt gar mit dem Eintritt in die Hitlerjugend, erst ein GestapoVerhör wegen seiner jüdischen Freunde öffnet ihm die Augen: »Für diese Firma«, beschließt er, »ziehe ich nicht in den Krieg…«

1939 bringt er mit schwejkscher List einen grimmigen Oberstabsarzt dazu, ihn dienstuntauglich zu schreiben. Zwei Jahre lang schützen ihn »kriegswichtige Tätig keiten«, dann will man ihn abermals einziehen. Oskar Huth verschwindet aus Berlin und sorgt für Indizien, die ihn zu einem der vielen Bombenopfer werden lassen. Dann fährt er heimlich zurück in die Hauptstadt. Nach einem nomadenhaften Winter überläßt ihm eine abwesende Freundin ihre Wohnung. Oskar Huth alias Haupt organisiert eine zentnerschwere Druckpresse, schafft sie mit Hilfe des Blockwarts in seinen Keller und installiert dort eine perfekt ausgestattete Fälscherwerkstatt. Während die Luftschutzgemeinschaft den fleißigen Mann bewundert, der sogar des Nachts noch »kriegswichtige« Arbeit leistet, entstehen Ausweispapiere und Buttermarken für verfolgte Juden. Huth ist auch Mann genug, sich als Frau zu verkleiden, um die Butter dorthin zu schmuggeln, wo sie gebraucht wird. Glück, Nerven und Schlagfertigkeit begleiten ihn so bis ans Kriegsende, das er im Keller einer Freundin erlebt, umgeben von Flammen, Panik und sinnlosem Sterben.

Nach der Befreiung stehen ihm viele Ämter offen – die Legende berichtet gar von dem des Kultursenators. Doch Amtszimmer und Dienstvorschriften sind dem Überlebenskünstler fremd, lieber ernennt er sich zum »Freischaffenden Kunsttrinker«. Das ist mehr als nur ein selbstironisches Etikett. Oskar Huth beherrscht die Kunst der phantasievollen Rede. Ein Fest, eine Lesung, eine Vernissage in Kreuzberg ohne ihn sind in den frühen Sechzigern schon bald undenkbar, und es verwundert nicht, wenn Günter Grass, Günter Bruno Fuchs, Robert Wolfgang Schnell und andere Maler und Schriftsteller dem Mann, der im August 1991 auf den Jerusalemer Friedhof getragen wurde, in ihren Werken ein Denkmal setzten. Sein Grab liegt nur einen Steinwurf entfernt von jener Straßenecke, an der auch einst der Leierkasten lag.

Alf Trenk


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