Kreuzberger Chronik
November 2007 - Ausgabe 92

Essen, Trinken, Rauchen

Wiener Blut


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von Saskia Vogel

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In der knallbunten »Tikiund Wild at Heart«Szenerie am »Görli« hat Sas ihr Zuhause, eine waschechte Ofenheizungsbude mit Außentoilette. Abends auf dem Heimweg schlurft sie immer am Wiener Blut mit seinem Glitzervorhang im Fenster vorbei.

Eigentlich ist der Laden eine Fußballkneipe, das verraten die Horden von »Kreuzberger Jungs« in Lederjacke und Wollpulli, die sich regelmäßig zur Bundesliga vor der Großbildwand stauen. Bisher hat Sas das wenig interessiert. Doch eines Nachts mutiert ihre Langeweile zur Spannung, und Sas kann nicht schlafen. Es geht schon auf drei Uhr zu, aber ihr Herz gibt keine Ruhe. Aufgewühlt von dem drängenden Wunsch, noch etwas zu unternehmen, schnappt sie sich ihre DiscoJeans, stellt sich vor den Spiegel und schneidet sich die Haare kurzentschlossen mit einer Nagelschere ab. Mit zerlöcherter Frisur und nichts Gutes im Sinn will sie es wissen: Taugt das Wiener Blut wirklich nur zum Fußball? Oder kann man hier eine Nacht verbringen?

Sas ist nicht die einzige Frau. Auch Araida ist da, eines der ProSiebenTopmodells. Barfuß, die Schuhe hat sie in der Madonna gelassen. Und an der Miss Sixty Jeans hängt knallrot das Schild »Slim«. Als sie Sas sieht, sagt sie: »Schön daß du geboren bist, wir hätten Dich sonst sehr vermißt.« Sas hätte Araidia auch vermißt.

Einen Moment denkt Sas ans Gehen. Doch auf dem Tresen stapeln sich die Bücher und der Gin: Aus Rußland grüßt Nabokovs »Lolita«, aus Frankreich Duras »Liebhaber«. Also schmeißt Sas sich gleich dem ersten Typen an den Hals, ein gewisser – »… äh, wie heißt du noch mal?«, der gerade in einer der weinroten »Sitzmuscheln« abhängt, Reliquien aus einer 70erJahreDisse an der Hasenheide. Der Typ sieht aus, als käme er gerade von ner Fotosession bei Vanity Fair. Mitleidig betrachtet Sas die perfekt manikürten Fingernägel und läßt sich dabei ohne Ende »Flamingo«Cocktails ausgeben, die ganz ohne Alkohol, dafür aber mit viel Grapefruitsaft für günstige drei Euro daherkommen. Überhaupt ist das Wiener Blut regelrecht human – was die Preise angeht.

»Gepflegte Hände gehören zu meiner Tätigkeit als Finanzberater«, belehrt sie der Typ, der frisch aus Österreich kommt, aber daherfaselt wie ein alter Prenzlberger. Sas findet den wienerischen Akzent und die gescheitelte Bubihaftigkeit, mit der sich der Typ in Szene setzt, insgeheim sogar ganz nett. Aber weil »ganz nett« die kleine Schwester von »scheiße« ist, läßt sie ihn eiskalt wieder abblitzen und springt auf die Tanzfläche.

Schließlich ist heute »Dirty Dandy Hipshake«Party. Was genau das bedeutet, weiß Sas auch nicht. Ihre Musikkenntnisse sind eher mangelhaft. Dafür macht sie dem blutigen Namen der Kneipe alle Ehre, denn eine Strähne ihrer losen Haare hat sie an der Schläfe mit dem winzigen Blutstropfen angeheftet, den die Nagelschere ihrer zarten Haut entlockt hatte. Derart harmoniert sie nun mit dem Namen des Lokals und mit dem roten Licht der Deckenlampen, die original schon im Palast der Republik leuchteten.

Sas fühlt sich gut und macht das, was sie am besten kann: eine Show abziehen. Zur Belustigung aller springt sie aufs Sofa und beginnt zu steppen. Alles an ihr ist vertikal, und darauf ist sie stolz. Danach hängt sie bei jedem der Kreuzberger FußballJungs mal im Arm. Sas vergräbt ihre Nase eben lieber in rauen Wollpullis und strubbeligen Haaren als im glatten BankerFummel. Wilde Fotos werden geschossen und gelöscht, die Party eskaliert, die Nacht wird lang. Und am Ende denkt Sas, daß sie nicht nur eine, sondern Tausend! und eine Nacht im Wiener Blut verbringen möchte.

Saskia Vogel


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