Mai 2007 - Ausgabe 87
Die Reportage
Die Schattenseite des Landwehrkanals von Hans W. Korfmann |
Sie kommen dienstags und freitags, um den Markt zu besuchen. Er steht in jedem Reiseführer und kommt gleich nach dem Kapitel über »Klein Istanbul«, wie man das Viertel ums Kottbusser Tor herum so gerne nennt. Doch die Reisebusse halten alle in der Hobrechtstraße im berüchtigten Neukölln. An Bord haben sie Deutsche, Japaner, Spanier und Italiener, die nun einmal den Markt am Maybachufer entlangwandern. An der Ankerklause, und endlich wirklich auf Kreuzberger Boden, steigen sie dann wieder ein. Im Gepäck eine Tüte mit Obst, einige Fotos von Stoff- und Gemüsehändlern, und viele flüchtige Sinneseindrücke aus dem Herzen des türkischen Viertels mit seiner orientalischen Luft, den kleinen Hügeln glänzender Oliven und den großen Schafskäsewürfen, den duftenden Zitronen und Orangen, den frisch gebackenen Teigfladen oder den gerösteten Kastanien. Der Wochenmarkt am Maybachufer, das bekannteste Aushängeschild der türkischen Subkultur, die von Konservierern des Status quo gern als unlegitime »Parallelgesellschaft« angeprangert wird, ist zu einer Attraktion für Berlin-Reisende geworden. Doch anders als die über jeden Reisebus und jedes Kamerateam aufgeregten Einwohner am Chamissoplatz nehmen es die Anwohner am Maybachufer gelassen. Es stört sie nicht, wenn die Touristen mit ihren »Digis« den Verkehr aufhalten, nicht selten lächelt der Tomatenhändler freundlich in die Kameras der Touristen. Foto: Dieter Peters
Gewinn macht er nur dienstags und freitags, an anderen Tagen deckt der Umsatz gerade die Kosten für Kühltruhe und Miete. Obwohl er eigentlich seine »Stammkundschaft hat« im sogenannten Reuterkiez mit seinem Ausländeranteil von 30 Prozent. Trotz einer Arbeitslosenquote von 35%! Denn »Türken essen gerne Fisch! Natürlich kommen auch mal Deutsche rein, wenn Markt ist. Die wollen eigentlich gar keinen Fisch, aber dann sehen sie meine frischen Doraden und denken sich: Ach, ich könnte doch mal wieder …! Die kaufen dann zwei Fischlein …« Der Fischhändler macht ein müdes Gesicht. Doch dann erhellt sich sein Blick: »Aber wenn der Türke reinkommt, dann kauft der gleich die ganze Tasche voll! Für die Kinder. Nur muß der Türke immer handeln. Das ist der Nachteil. Obwohl – der Deutsche fängt jetzt auch schon an!« Auch der Stoffhändler nebenan hat die ganze Woche über geöffnet. Er hat sich auf Gardinen spezialisiert und ist kürzlich ein paar Häuser weitergezogen, um das Lager zu vergrößern. Zu ihm kommen sie aus der ganzen Stadt, die Auswahl an Stoffen, Bordüren und Spitzen ist beeindruckend. Und natürlich hat auch das Wettbüro in einem Viertel mit 35 % Arbeitslosen stets geöffnet. Obwohl hier niemand mehr so richtig glauben will ans große Glück, dampft der Samowar neben dem Wettschalter den ganzen Tag vor sich hin. Etwas lebhafter geht es zu in dem kleinen Café einige Meter weiter. Es nennt sich »Begegnungsstätte« und ist selten leer. Die Mischung des Inventars ist so bunt wie das Publikum, neben intarsienreichen Backgammonbrettern stehen deutsche Käse- und Apfelkuchen, an den Wänden hängt eine Fotoausstellung von Kindern aus dem Reuterkiez. Die meisten Gäste in den Rattansesseln sind Frauen, türkische, deutsche, arabische. Sie lesen, unterhalten sich, trinken Kaffee. Zwei Bauarbeiter, die in der Nähe arbeiten, kommen der netten Preise und der netten Atmosphäre wegen jeden Morgen zum Frühstück. In letzter Zeit schauen sogar die Marktfrauen zur Pause herein. »Und freitags kommen die Touristen«, sagt Hürsel Simsek, der Chef im kleinen Café, in dessen Hinterzimmern Vielfalt e. V., ein bezirksübergreifendes Projekt zur Unterstützung insbesondere von Migrantenfamilien, seinen Sitz hat. »Hier hat man das Gefühl von einer Art Miteinander – anstatt des ewigen Nebeneinanders.« Simsek beobachtet das deutsch-türkische Verhältnis schon länger, zehn Jahre führte er das Café Advena in der Wiener Straße. »In der Oranienstraße haben sich die türkischen Geschäftsbesitzer schon ziemlich von den deutschen abgekapselt«. Vom einstigen Miteinander sei nicht viel geblieben. Am Maybachufer sei das anders, hier spräche man noch eine gemeinsame Sprache: nämlich Deutsch. »Ich gehe mal zum Türken!«, sagt Sükram Simsek zu ihrem Mann und zieht die Jacke über. Sie will Kartoffeln holen, »beim Türken«. Der »Türke« ist längst zum Synonym für den Gemüsehändler geworden. Foto: Dieter Peters
Herr Yazdani lächelt. »Natürlich kommen meine Patienten nicht gleich rein. Aber sie merken sich, daß ich hier bin. Und wenn es weh tut, stehen sie dann morgens vor der Tür.« Nur die Deutschen gehen regelmäßig zum Zahnarzt, sagt Yazdani. Was den Zustand türkisch-arabischer Zähne angeht, hüllt sich der Arzt in die ärztliche Schweigepflicht. Und deutsche Patienten aus der ehemals noch deutschsprachigen Gemeinschaftspraxis sind nur wenige geblieben. Heute sprechen die Mitarbeiter der Praxis persisch, arabisch und türkisch. Nur die Bilder der Kinder, die während der Wartezeiten entstanden sind und nun die Wände schmücken, sprechen noch dieselbe Sprache. Auch die Ritterburg mit ihren schmalen Gängen und Treppen und den Stofftieren von der Sesamstraße zwischen den Simsen ist sozusagen multikulturelles Erbgut. Yazdani ist ein wenig enttäuscht von den Berlinern. Er hatte damit gerechnet, daß die Türken ihn als Iraner ignorieren würden, doch es waren die Deutschen, die wegblieben. »Am Bodensee, wo ich mein Praktikum machte, war das überhaupt kein Problem, da kamen Schweizer, Deutsche, Italiener, Österreicher zu uns – das war echtes Multikulti!« Auch Helmut Seeger mit seiner wunderbaren Weinsammlung Les Caves und dem duftenden, naturtrüben Olivenöl ist nach 18 Jahren Maybachufer etwas nachdenklicher geworden. »Mit den alten Leuten hier kamen wir wunderbar klar, auch auf dem Markt gab es nie Probleme«. Aber jetzt wird es allmählich unruhig, der Ton ist aggressiver geworden. Die 3. Generation der Einwanderer findet keine Jobs mehr. Und die Deutschen auch nicht. Doch der Weinhändler hat seine Stammkundschaft, er könnte wahrscheinlich am ehesten auf den Markt verzichten. Die Touristen, die an Markttagen bei ihm hereinschauen, »stehen meistens nur herum und gucken!« Dabei hat er tatsächlich eine schöne Auswahl in seinen selbstgezimmerten Weinregalen, egal, ob es sich dabei um einfache Tischweine aus Frankreich oder prämierte Italiener handelt. Hätte er seinen Laden in Rom oder Paris, oder auf der anderen Seite des Kanals, am sonnigen Paul-Lincke-Ufer, wäre er eine Top-Adresse. So bleibt er, auch nach 18 Jahren und mehrfacher Auszeichnung durch den Feinschmecker, noch immer ein Geheimtip. Foto: Dieter Peters
Hans W. Korfmann |