Kreuzberger Chronik
Mai 2007 - Ausgabe 87

Der Mensch
Janina Milena Geburzi

Ich hab hier eine gute Wunscherfüllung


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von Ina Winkler

Titelfoto: Dieter Peters

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Ihre Stimme ist zart. So zart und fein wie die Stoffe, mit denen sie arbeitet. Selbst, wenn die Sonne in ihre kleine, wunderschöne Werkstatt gegenüber der Stille der Friedhöfe mit ihren Vögeln und ihren Tannen und schattigen Gräbern fällt, und auch selbst dann noch, wenn die Sonnenstrahlen ihr Gesicht so hell und gleißend ausleuchten wie die gnadenlosen Filmscheinwerfer, dann findet sich kein Makel auf ihrer Haut. Noch immer hat ihr Teint die Farbe und die Oberfläche von matt-poliertem Elfenbein. Keine Sommersprosse, keine Unebenheit, keine Pore, nichts stört die Ebenmäßigkeit dieses Gesichtes. Fast hat es etwas Puppenhaftes, etwas Unwirkliches und Verzauberndes. Etwas von den Feen und Prinzessinnen der Märchen, die sie so liebte, von der Schneekönigin, Dornröschen, Schneewittchen … Jeden Sonntagnachmittag waren die schönen Frauen im Fernsehen, und Milena verpaßte sie nur selten. Ihr Vater hatte die tschechischen Märchenfilme damals für sie aufgenommen, aber als sie kürzlich nach den alten Filmen fragte, mußte sie erfahren, daß er die Märchenkassetten alle mit ganz anderen Filmen überspielt hatte. Da war sie wirklich entrüstet. Wie konnte man all dieses Glitzern und Funkeln, diese zauberhaften Kleider, diese Musik, all diese Schönheit … – wie konnte man all das einfach löschen?

Denn vielleicht waren es diese Filme gewesen, die irgendwann in der Kindheit die Weiche in Milenas Leben stellten. Die dafür verantwortlich sind, daß jetzt in Milena Geburzis kleiner Werkstatt so viele schöne Kleider mit Rüschen und Stickereien wie aus 1001 Nacht hängen. Vielleicht war es dieses makellose, wie geschminkte oder gemalte Prinzessinnengesicht im Spiegel des Kinderzimmers, das sie eines Tages dazu inspirierte, sich an die Nähmaschine zu setzen und Kleider zu nähen, die denen aus den Märchenfilmen eher ähnelten als den Jeans und T-Shirts der Klassenkameradinnen. Schon früh neigte sie dazu, Kleider anzuziehen statt Hosen, und als sie später die Schule wechselte, da sahen die Jungs aus der Klasse ihr eher skeptisch hinterher. Also versuchte sie, sich anzupassen, zog Hosen an, die ihr gar nicht gefielen. »Ich hab gelrecht darunter gelitten!«

Bis sie eines Tages die Nähmaschine entdeckte und damit begann, sich ihre eigenen Kleider zu nähen. Da war sie gerade mal 12 Jahre alt. Aber da stand bereits fest, daß sie einmal Schneiderin werden würde. Gott sei Dank traf sie Liza, die eine ähnliche Leidenschaft hatte. Milena wäre ein hoffnungsloser Einzelgänger geworden ohne Liza, noch heute sind die beiden befreundet. »Mit fünfzehn haben wir ganze Nächte lang zusammen vor der Nähmaschine gesessen und genäht. Auf eine Party gingen wir in langen, goldenen Gewändern, auf der Straße zeigten wir uns im Partnerlook, in kurzen Röcken mit Kniestrümpfen und lauter so verrückte Sachen. Die hielten uns alle für lesbisch. Keiner der Jungs interessierte sich damals für uns!«
Heute ist das anders. Heute, so zumindest erzählt man in der Nachbarschaft, machen der jungen Frau mit den schönen Gewändern im Schaufenster die Männer scharenweise den Hof. Doch die Prinzessin lächelt. Prinzessinnen verlieben sich nicht so schnell. »Obwohl« … – sagt da die Schneiderin – »… obwohl hier in der Stadt einer war, der…« Und dann erzählt Janina Milena Geburzi, die Frau mit den beiden griechischen Vornamen und dem schweizerdeutschen Nachnamen, die eigentlich ein bißchen schüchtern ist, ein bißchen vornehm und vorsichtig, doch noch eine kleine Geschichte aus ihrem Leben. Daß nämlich ihr Vater ein schönes Haus auf der Insel Thassos habe, wo sie schon viele Sommer verlebt habe, und wo sie auf der Terrasse auch eine Nähmaschine stehen habe. »Das ist wunderbar, dort auf der Terrasse zu sitzen und zu nähen.« Schon die Überfahrt mit der kleinen Fähre von Kavala nach Thassos, immer begleitet von einem Schwarm zahmer, gewandter Möwen, die den Passagieren auf dem sonnigen Deck im Vorbeisegeln die Kekse aus den Händen schnappen, ist Urlaub. Eines Tages, als sie dort auf dem Deck der Fähre stand, trat plötzlich ein junger Mann neben sie. Da war Milena 14 Jahre alt.

Wenig später begann sie mit der Ausbildung. Im Hamburger »Salon« absolvierte sie ihr Praktikum, dann überredete sie den Chef, eine Lehrstelle für sie einzurichten, und schon zwei Jahre später hatte sie das anvisierte Ziel erreicht: Sie war Damenschneiderin. Sie arbeitete noch einige Monate, doch dann beschloß die junge Schneiderin, ihre Schwester in Berlin zu besuchen und am Abend zur »Orientalischen Nacht« ins SO 36 zu gehen. Und da stand der junge Mann plötzlich wieder neben ihr. Sechs Jahre waren seit der Begegnung auf der Fähre vergangen, und der junge Mann war gar kein so junger Mann mehr. So kam sie – wie viele andere auch – vor drei Jahren »der Liebe wegen nach Berlin«. Und sie blieb – wie so viele andere auch –, obwohl die Liebe sich verflüchtigte.

Foto: Dieter Peters
Denn bei ihren Erkundungen der Stadt war sie am Ende der Bergmannstraße auf eine Hutmacherin gestoßen. Und da Janina Milena Geburzi besonderes Augenmerk auf kleine, aber feine Accessoires wie Bordüren, Spitzen, Straß oder den zarten, luftigen Mohairstrickvolant am Saum eines hauchdünnen Rockes legte – »damit kann man durch die Straße schweben!« –, mietete sie im hinteren Teil des Ladens einen Raum an und begann bei Coy art to wear ein Praktikum als Hutmacherin. Sie habe schon immer diese Liebe zum Detail gehabt, den Sinn für schöne, wenn auch kleine Dinge. »Ich bin auf den sonntäglichen Familienspaziergängen immer furchtbar langsam gewesen, weil ich ständig alles mitnehmen mußte: Blumen, Steine, Hölzer …« Auch an den Hüten von Coy finden sich solche Kleinode, und ein Faible für geheimnisvolle Schleier hatte die Schneiderin immer schon.

Als die Hutmacherin in den belebteren Teil der Bergmannstraße zog, übernahm die Praktikantin ihren Laden ganz. Und tauschte Tuch und Schere gegen Hammer und Bohrer. Drei Monate hat sie gearbeitet, nur eine Freundin half ihr. Tagelang hat sie auf der Leiter gestanden und den Stuck saubergekratzt. Sie hat das Eichenparkett abgezogen und neu lackiert, die Wände ausgemalt, Leitungen verlegt. Sie hat ein kleines Schmuckkästchen geschaffen, ein stilles, lichtdurchflutetes, ein bißchen barockes Schmuckkästchen mit Hutschachteln, kleinen, blumendekorierten Schächtelchen voller Knöpfe, Broschen, Nadeln, und mit einigen märchenhaften Kleidern.

»Ich bin viel stärker, als man denkt!«, sagt sie. »Ich hab zwar sonst nur mit ganz filigranen, feinen Stoffen zu tun, und jetzt waren das Steine und Wände. Aber während des Renovierens hab ich oft gedacht: Ich möchte jetzt nichts anderes machen« als diesen Laden einrichten. Es war, genau wie mit den Kleidern auch, »eine Möglichkeit, mich zu artikulieren!« Sie schuf sich ihr kleines Reich, und als sie eines Tages ihr Atelier endlich eröffnete, hatte sie keinen Cent mehr in der Tasche. Aber damit hatte sie gerechnet. Schon beim Existenzgründerseminar hatte man ihr beigebracht, daß man ohne ein Startkapital von 20.000 Euro keinen Laden eröffnen könne. Sie tat es trotzdem. Sie hatte »den Mut der Berufenen«. Dann schien die Sonne, und sie ließ die Tür offenstehen.

Da kamen die Leute tatsächlich herein in ihr Schmuckkästchen. Schon nach wenigen Tagen hatte sie ihre ersten Stammkundinnen. Es war wie im Märchen. Die Schneiderin sagt: »Ich hab hier eine gute Wunscherfüllung!« Überhaupt scheint ein guter Stern zu stehen über dem Leben von Janina Milena Geburzi. Den braucht sie wohl auch. Denn sie ist ein schüchterner, vorsichtiger Mensch, zurückgezogen arbeitet sie da am ruhigen Ende der Bergmannstraße. »Ich bin«, sagt sie selbst, »in vielem sehr unsicher. Nur darin, daß ich den richtigen Beruf habe, darin bin ich mir absolut sicher!« Und jetzt hat sie ihre eigene Schneiderwerkstatt, auf die den ganzen Tag die Sonne scheint, gegenüber liegt der stille Hügel mit den Bäumen, nebenan die zwei Cafés und das Atelier Fluidum mit seinen ewig plätschernden Brunnen – und irgendwo da hinten liegt dann noch die Stadt mit ihren Abenteuern. »Wenn ich mal raus möchte, sind es nur ein paar Meter!« Irgendwann wird sie ihre erste Kollektion präsentieren. Dann werden auch andere auf sie aufmerksam werden. Denn da ist längst »ein Ideenstau«, da sind schon so viele Kleider in ihren Gedanken, die vielleicht niemals geschneidert werden, weil die Zeit dazu fehlt. Weil so vieles Handarbeit ist in diesem Beruf. Da hängen einige halbfertige Gewänder, die haben den Sprung von der Idee zur Verwirklichung schon geschafft, die sind längst stofflicher Natur. Aber noch sind da unzählige ungenähte Nähte, halten Nadeln die Stoffe an einigen Stellen nur lose zusammen, fehlen letzte Details. Die spannenden Schritte sind die vom Gedanken zum Entwurf, und vom Papier zum Stoff. »Danach kommt der Alltag.«

Eine unter den vielen Ideen, die im Stau warten müssen, ist keine Idee zu einem Kleid. Es ist eine Idee, die den Traum vom Schneidern mit einem anderen Traum verbinden soll, der mindestens so alt ist wie der Wunsch, Schneiderin zu werden. Es ist der Traum vom Theater, vom Märchen, und der Traum von Griechenland. Denn manchmal denkt die junge Frau mit den beiden griechischen Vornamen noch immer daran, nach Athen oder Thessaloniki ans Theater zu gehen, um Gewandmeisterin zu werden. Um endlich etwas über diese uralten Schnitte zu lernen, die einst den Gestalten des antiken Theaters Konturen verliehen, den alten Königen und Helden, Königinnen und Göttinnen. Und vielleicht auch, um noch einmal ganz tief ins Reich der Legenden und Geschichten eintauchen zu können – so wie damals, sonntags, vor dem Fernseher.

Doch noch sitzt sie auf ihrer kleinen Prinzessinnenbank vor dem Atelier in der Sonne, Nadel und Faden in der Hand. Drinnen, in ihrem Schmuckkästchen, auf dem großen Schneidertisch liegen luftige, dünne, pastellfarbene Sommerstoffe, die alle noch darauf warten, zu Blusen, Röcken und Kleidern zu werden, die Frauen noch schöner machen, als sie es ohnehin sind. Janina Milena Geburzi weiß, daß sie dabei helfen kann, daß Frauen zu sich finden. Das schweizerdeutsche »Geburzi«, so hat es ihr einmal jemand erzählt, bedeute so viel wie »Geburtshelferin«. Milena Geburzi weiß, welche Rolle sie spielt für die Frauen, die zu ihr kommen. Sie hat es am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet, in einem Kleid zu stecken, das man nicht mag: Es bedeutet, daß man sich selbst nicht mehr mag. Deshalb ist sie hier. Deshalb näht sie. Und deshalb näht sie so schön.

Ina Winkler

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