Kreuzberger Chronik
Mai 2007 - Ausgabe 87

Die Geschichte

Der Bau der Linie 1


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von Erwin Tichatzek

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Kein Zug, keine Straßenbahn, keine S-Bahn in Deutschland ist so berühmt wie die Bahn mit dem Namen Linie 1. Viel besungen und in einem Theaterstück gewürdigt, das nicht nur in Berlin, sondern auch im Fernen Osten zum Kassenschlager wurde, wissen auch die Frankfurter und die Münchner, daß die Linie ganz Kreuzberg durchquert, und daß man nirgendwo in der Stadt so vielen Nationalitäten begegnet wie in den Waggons, die zwischen der Warschauer Straße und Charlottenburg hin- und herschaukeln.

Ebenso bekannt wie die Berliner U-Bahnlinie ist ihr Hersteller, ein Mann, der seine erste Werkstatt im Hinterhof der ehemaligen Zeughofstraße in der Luisenstadt hatte. Bereits 1879 hatte der erfindungsreiche Werner von Siemens auf der Gewerbeausstellung eine elektrische Versuchsbahn vorgestellt und einen Antrag zum Bau einer Hochbahn vom Belle-Alliance-Platz am Ende des heutigen Mehringdamms über die Friedrichstraße bis hin zum Wedding gestellt. Heute verkehrt auf dieser Route die U 6, damals aber wurde der Antrag zum Bau der vier Meter über den Gehsteigen geplanten Trassen abgelehnt. Werner von Siemens gab so schnell nicht auf, sondern beantragte den Bau einer Teststrecke in der Markgrafenstraße. Die Leipziger Straße wollte er »mit einem Brückennetz überspannen, um die Fahrbahn für eine Hochbahn zu gewinnen …« Aber auch diesem Antrag wurde nicht stattgegeben. Doch die Stadtbahn war eines von Siemens’ Lieblingsprojekten, jahrelang suchte er nach kostengünstigen Lösungen und richtete eine eigene Abteilung für den Bau der Hochbahn ein.

1892 starb der Firmengründer, ohne daß das Projekt verwirklicht worden wäre. Hätte er noch ein Jahr gewartet, dann hätte er die langersehnte Wende noch miterleben können. Denn ein Jahr nach dem Tod des Firmengründers erhielt Siemens & Halske tatsächlich die Genehmigung, eine »Elektrische« zu bauen, wie sie bereits in anderen europäischen Metropolen verkehrte. Der Leiter der »Elektrischen Bahnabteilung«, Heinrich Schwieger, der in Budapest bereits mit dem Bau der »Földalatti« begonnen hatte, hatte die diplomatischen Bemühungen seines ehemaligen Chefs erfolgreich fortgesetzt. Doch mit der Berechtigung zum Bau einer elektrischen Hochbahn in Berlin waren noch nicht alle Probleme beseitigt. Lange war man sich nicht darüber im klaren, ob sich diese sogenannte Hochbahn nun über oder unter der Erde bewegen sollte. Bis heute legt die U 1 ein gutes Stück ihres Weges über Grund zurück, bis sie hinter dem Nollendorfplatz endlich untertaucht und ihrem Namen »Untergrundbahn« gerecht wird. Zwar war durch den Bau des Spreetunnels bewiesen, daß sich mit dem sogenannten Schildvortrieb auch im sandigen Boden Berlins stabile Tunnel anlegen ließen, doch eine Bahn in schwindelnder Höhe über dem Verkehr der Automobile und Pferdefuhrwerke hatte nach wie vor etwas Imposantes. Noch immer ist die Linie 1 mit dem eisernen Viadukt über der Gitschiner und der Skalitzer Straße eine Attraktion – und mit Abstand die schönste U-Bahnstrecke Berlins.

Auch bürokratische Hürden standen dem Bau zunächst im Weg. Erst eine Genehmigung vom März des Jahres 1896 berechtigte Siemens & Halske zur Nutzung von Straßen und Plätzen und sogar zur Enteignung etwaiger Privatbesitze für den dem »öffentlichen Wohle dienenden Bahnbau«. Ferner erhielt die Firma das Recht, sowohl den Fahrplan als auch den Fahrpreis zumindest für die ersten Jahre selbst zu bestimmen. Festgeschrieben wurden lediglich der fünfminütige Rhythmus der Züge, sowie eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 50 Kilometern in der Stunde. Geplant waren zunächst eine Strecke von der Warschauer Brücke bis zum Nollendorfplatz sowie eine Nebenstrecke zum Potsdamer Platz. Schon 1902 allerdings wurde die Linie bis zum damaligen Bahnhof Knie, dem heutigen Ernst-Reuter-Platz, verlängert. Inzwischen führt die U 1 quer durch die Stadt bis zur Krummen Lanke.

Zur Regelung der finanziellen Angelegenheiten wurde 1897 unter der Führung der Deutschen Bank, die seit ihrer Gründung eng mit der Familie Siemens verbunden war und eine Zeitlang sogar einen Vetter Werners zum Direktor hatte, eine Tochtergesellschaft »für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin« gegründet. Schon damals wußte die Firma des Werner von Siemens ihre technischen Innovationen auch finanziell optimal auszuwerten.

Doch nicht nur die Pläne zur »Elektrischen« kamen aus Kreuzberg, auch der erste Spatenstich zum Bau der Linie 1 erfolgte auf Kreuzberger Boden. Am 10. September 1896 wurde in Anwesenheit der üblichen Prominenz an der Ecke Gitschiner Straße/Alexandrinenstraße die erste Schaufel Erde ausgehoben. Bis allerdings tatsächlich mit dem Bau der Stahlkonstruktion begonnen wurde, verging nochmals ein ganzes Jahr. Das sogenannte Viadukt wurde nun nicht, wie ursprünglich beabsichtigt, über den Köpfen der Fußgänger errichtet, sondern in der Straßenmitte. Wahrscheinlich traute man dem elektrischen Monstrum noch immer nicht recht.

Foto: Postkarte
Das Kottbusser Tor, 1930, Edition Kreuzberger Ansichten, Dieter Kramer

Am 18. Februar 1902 aber war es dann endlich soweit. Jahre, nachdem in London die »Underground« und in Budapest die »Földalatti« ihren Betrieb aufgenommen hatten – selbst in Athen fuhr die »Metropolitan« bereits bis Piräus –, wurde auch in Berlin die erste Teilstrecke der Berliner U-Bahn eröffnet. Die Jungfernfahrt ging über 8 Stationen vom Strahlauer Tor bis zum Potsdamer Platz. Nur 19 Fahrgäste waren zugestiegen, denn Siemens & Halske hatte für die erste Fahrt den dreifachen Fahrpreis verlangt. Eine der wenigen Fehlkalkulationen der Firma Siemens. Denn einen dreifachen Preis zu zahlen, nur um zu den ersten Passagieren zu gehören, das sahen die eher nüchternen Berliner nicht ein.

Um auch mit der Errichtung der Bahnhöfe noch ein bißchen Geld zu verdienen, gründete Siemens das firmeneigene »Siemens-Baubüro«. Die damals noch ebenerdige Endstation an der Warschauer Brücke und noch einige andere Bahnhöfe gingen auf dieses Büro zurück. Die meisten Stationen jedoch wurden von dem schwedischen Architekten Alfred Grenander entworfen. Fast alle dieser Bauten entlang der Linie 1 wurden bei den Luftangriffen des 2. Weltkrieges zerstört und später wiederaufgebaut. Lediglich der Siemens-Bahnhof am Strahlauer Tor verschwand für immer.

Erwin Tichatchek

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