März 2007 - Ausgabe 85
Die Geschäfte
Hempel hilft von Michael Unfried |
Wenn die Soldaten auf ihren stolzen Rössern in ihren glänzenden Uniformen, begleitet von zünftigen Kapellen und eskortiert vom Jubel der Bevölkerung, die ehemalige BelleAllianceStraße zum Tempelhofer Feld hinaufzogen, dann dachte niemand an das Elend, das der Krieg mit sich bringt. Wenn die tapferen Soldaten dann zurückkehrten, war der Jubel zurückhaltender, selbst nach den Siegen gaben viele der Soldaten jämmerliche Gestalten ab, nicht selten jammerten Schwerverletzte auf ihren Tragen, getragen von solchen, »die gerade noch laufen konnten«. Seit dem letzten großen Krieg heißt die ehemalige BelleAllianceStraße Mehringdamm, und das einzige Gebäude, das noch erinnert an die Zeit der berittenen Soldaten, ist das Gebäude des Kreuzberger Fiskus. Wo heute die Finanzbeamten über Aktenbergen brüten, zogen einst die Reiter ihre Stiefel aus, und hinter der Kreuzberger Burg, wo heute Gebrauchtwagenhändler und Hinterhofwerkstätten ihren Sitz haben, waren einst die Pferdeställe. An Kneipen, Tanzlokalen und den berüchtigten Tabagien, in denen das Rauchen erlaubt und die Mädchen leicht bekleidet waren, soll es in der Gegend nicht gefehlt haben. Doch auch Ärzte hatten in der Nähe der vielen Verwundeten ihre Praxen eingerichtet, der berühmteste von ihnen war der dichtende Dr. Gottfried Benn mit seiner Praxis in der BelleAlliance Nr. 12. Die Ärzte hatten alle Hände voll zu tun, Amputationen von Gliedmaßen waren in den kriegerischen Zeiten des 19. Jahrhunderts nichts ungewöhnliches. Schnell verloren verwundete Soldaten wegen der miserablen hygienischen Zustände in den Feldlazaretten und den Krankenhäusern ein Bein oder einen Arm. Der Handel mit hölzernen Ersatzteilen florierte, und womöglich ist es kein Zufall, daß ein Geschäft gleich schräg gegenüber dem ehemaligen Quartier des 1. GardeDragonerRegiments, nämlich da, wo die einstige Paradestraße die Gneisenaustraße kreuzt, heute sein 100jähriges Jubiläum feiert: Das Sanitätshaus Hempel. Gegründet 1897 vom ehemaligen »OrthopädieMechaniker« Hempel. Die schweren Holzbeine sind heute ausgestorben, längst gibt es raffinierte Kunststoffprothesen. Chirurgen haben Muskeln und Sehnen verlängert, um die steifen Beine der Kriegsveteranen endgültig zur Vergangenheit zu machen. Doch auch schon damals erforderte ein hölzerner Arm oder ein hölzernes Bein mehr als nur eine saubere Schreiner und Drechslerarbeit. Eine gut funktionierende Prothese erforderte anatomische Grundkenntnisse, weshalb der Beruf des OrthopädieMechanikers ebenso angesehen war wie der des »chirurgischen Instrumentenmachers«. Heute ist die OrthopädieTechnik eine ausgefeilte und kostspielige Angelegenheit. Das beweist auch ein Blick ins Schaufenster des Jubilars. Zwar sind hier keine teuren Attrappen männlicher Unterschenkel mit schwarzen Schnürschuhen und karierten Socken mehr zu sehen, wie sie in den Schaufenstern nach dem Krieg in Mode waren. Doch auch ein Paar ordentlicher und professionell gefertigter Gesundheitssandalen haben durchaus ihren Preis. Bei Hempel im Angebot sind zum Beispiel äußerst sportliche Sandalen, angefertigt nach »MassaiBarefootTechnology«, die auch einem Reinhold Messner durchaus gut zu Fuß stehen würden. Für 200 Euro. 85,90 kosten die nicht weniger sportlichen Sandaletten der nicht weniger bekannten Marke »Sabatini«. Knapp unter 75 Euro liegen die weißen ÄrzteClogs mit ihren dicken hölzernen Sohlen, in denen die Krankenschwestern der Siebzigerjahre barfuß durch die Gänge der Krankenhäuser klapperten. Und ein Paar ordentlicher »Dreizoneneinlagen von Bauernfeind« kosten auch nicht weniger als ein Paar MittelklasseSchuhe bei Karstadt. Dafür aber scheinen die lächelnden Träger orthopädisch wertvoller Sohlen dann auch eher zu schweben als zu laufen. Um die Menschen vor den Schaufenstern von der Leichtigkeit des Seins in guten Schuhen zu überzeugen, hat Hempel die Bilder so bar wie leichtfüßiger Massai zwischen seine TechnologySandalen gestellt – nebst einigen hölzernen, langbeinigen, eleganten Giraffen. Foto: Dieter Peters
Geradezu unerschöpflich ist die Phantasie der orthopädischen Designer auf dem Gebiet der Kissenherstellung. Kissen gibt es bei Hempel in allen erdenklichen Formen und Größen, es gibt runde, ovale, viereckige, wurmähnliche und mondsichelähnliche Kissen. Es gibt das RelaxHeizkissen, das »anatomische Nackenkissen« und das »Sitzkeilkissen«. Und für Sekretärinnen, denen die Kuhle im Bürosessel Rückenschmerzen bereitet, gibt es das sogenannte »Ballkissen« – ein grellbuntes, kreisrundes, frisbeescheibenflaches, aber etwa handbreites Gummikissen. Und für diejenigen, denen im Schlaf die Knie wehtun, das sogenannte Kniekissen. Es schützt jene Schläfer vor »unangenehmem Auflagedruck«, die nur auf der Seite schlafen können. Für die gibt es zusätzlich das sogenannte Seitenschläferkissen, eine Art Ganzkörperkissen zum Ankuscheln, das dem Schläfer etwa vom Knie bis zum Kopf Gesellschaft leistet. Das 47,50 Euro teure Schlafutensil ist mit einem anschmiegsamen Material namens »HygienaFill« gefüllt und soll ein äußerst »entspanntes Liegen und Schlummern« ermöglichen – weshalb es auch den Beinamen »Schlummerschlange« trägt. In Hempels Auslagen jedenfalls ist die Welt noch heil. Kriegsveteranen wie der alte Beckmann Draußen vor der Tür gehören offenbar nicht mehr zur Zielgruppe. Längst geht es auch in der Orthopädie nicht mehr nur um Funktionalität. Den stützenden Bodys für die Damen fehlt es nicht an zierender Spitze. Natürlich ist alles etwas größer und etwas grobmaschiger, und die sogenannten »Höschen« erinnern eher an ausgewachsene Hosen als etwa an die federleichten Tangas der Neuzeit. Den unerotischsten Strumpf der Welt aber sucht man vergeblich im Schaufenster. Den dicken, graubraunen Stützstrumpf für die anschwellenden Beine hat Hempel aus dem Schaufenster genommen. Vor wenigen Jahren noch war er der Star eines jeden Orthopädiegeschäftes. So ändern sich die Zeiten und die Moden. Auch in der Kreuzberger Orthopädiemechanik. Michael Unfried |